Merkels kleine Schritte hin zu Macron
BERLIN Er liebt die große Geste, sie nicht. Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im September seine große, pathetische Rede zur Erneuerung Europas in der Pariser Sorbonne-Universität hielt, wurden seine Worte überall in Europa gesendet und wahrgenommen. Angela Merkel ließ sich mit ihrer Antwort auf Macrons Ideen nicht nur neun Monate Zeit. Die Kanzlerin überbrachte ihre Botschaften auch nur schriftlich – am Sonntag in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“(„FAS“).
Die Unterschiede im politischen Stil dieser beiden finden im Inhalt ihrer Botschaften ihre Entsprechung: Während Macron den großen Wurf versuchte, geht Merkel in kleinen, überlegten Schritten voran – wie man es von ihr nach zwölfjähriger Regentschaft gewohnt ist. Diese Rollenverteilung muss für Europa nichts Schlechtes bedeuten: Der eine entwirft Maximalforderungen, die andere schrumpft diese auf realistische und hoffentlich umsetzbare Größen. So könnte die deutschfranzösische Achse funktionieren, vorausgesetzt Merkel schafft es, für ihre Pläne die notwendige Mehrheit im Bundestag zu sichern. Vor allem in der Unionsfraktion wird da noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten sein.
Wer Europa stärken will, weil Partner wie die USA nicht mehr verlässlich sind, Mächte wie China Märkte erobern und die Gewalt im Nahen Osten die Welt immer unsicherer macht, der muss zunächst mal einig darüber werden, wie er dieses Ziel erreicht. Fest steht, Europa muss nicht nur krisenfester werden, sondern überall für ein solides, dauerhaftes Wirtschaftswachstum sorgen. Es muss seine Außengrenzen besser schützen, um unkontrollierte Migration zu verhindern, und seine Verteidigung besser organisieren, weil andere Europa künftig weniger unterstützen werden.
Macron hat dafür weitreichende Ideen präsentiert. Dabei sind vor allem die wirtschafts- und finanzpolitischen Reformvorschläge von zentraler Bedeutung, weil: ohne wirtschaftlichen Erfolg ist alles nichts. Macrons Pläne zielen darauf, die Unterschiede zwischen armen und reichen Euroländern zu glätten – vor allem durch mehr Umverteilung finanzieller Ressourcen. Das Stichwort lautet „Konvergenz“: Dafür sollen neue Geldtöpfe geschaffen werden, damit schwächere Euromitglieder endlich besser mit den stärkeren mithalten können. Macron schwebt unter anderem eine „Fiskalkapazität“in üppiger, dreistelliger Milliardenhöhe vor, aus der Eurostaaten direkte Transfers für wachstumsfördernde Investitionen erhalten können, wenn sie dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Merkel teilt zwar die Auffassung, dass die Unterschiede innerhalb der Staatenfamilie verringert werden müssen, um den Euro zu sichern und Europa dauerhaft nach vorne zu bringen. Allerdings bleibt sie bei der vor allem von Wolfgang Schäuble geprägten deutschen Linie, dass Konvergenz nicht in erster Linie durch Umverteilung mit Transfers, sondern durch nationale Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit entsteht. Dabei geht es etwa um den Abbau unfinanzierbarer Sozialleistungen, um bessere Institutionen, funktionierende Steuersysteme, mehr Rechtsstaatlichkeit und Bürokratieabbau.
Dieser Gedanke – und nicht nur die Angst vor der Unionsfraktion oder dem deutschen Verfassungsgericht – bringt Merkel dazu, Macrons Idee der „Fiskalkapazität“auf einen „Investivhaushalt“in „niedriger zweistelliger Milliardenhöhe“zu schrumpfen. Nach dem Motto: Ein bisschen Geld werden wir für Macrons Baby übrig haben, mehr aber wollen wir nicht für ein Instrument hergeben, von dem wir nichts halten.
Ihr Baby dagegen soll der Umbau des Euro-Rettungsschirms ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) zu ei- nem Europäischen Währungsfonds (EWF) werden, wie er schon Schäuble vor einem Jahrzehnt vorgeschwebt hatte. Nach dem Vorbild des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington soll der EWF künftig die wirtschaftliche Lage der Euroländer aus eigener Kompetenz beurteilen können, die Schuldentragfähigkeit der Staaten bewerten und über geeignete Kredit-Instrumente verfügen, um diese Schuldentragfähigkeit wieder herzustellen, sagte Merkel in dem „FAS“-Interview.
Der EWF solle überdies als zwischenstaatliche Institution gleichberechtigt neben der EU-Kommission stehen und von den Regierungen und den nationalen Parlamenten gesteuert werden. Wie der ESM heute schon soll der EWF Ländern in Krisensituationen auch künftig mit langlaufenden Hilfskrediten unter die Arme greifen, wenn die Eurozone als Ganzes bedroht ist. Er soll aber auch einzelnen, klammen Euroländern – und das ist neu – Kredite mit kürzerer, fünfjähriger Laufzeit gewähren, „wenn sie durch äußere Umstände in Schwierigkeiten geraten“, so Merkel. Sie greift damit die Idee von IWF-Chefin Christine Lagarde und ESM-Chef Klaus Regling auf, eine Art Notfallfonds für die Eurozone („Rainy Day Fund“) zu schaffen.
Bei allem setzt Merkel weiter auf „Konditionalität“: Der EWF würde Geld nur gegen staatliche Reformen überweisen, und auch nur in Form rückzahlbarer Kredite. Die Kanzlerin will so weiterhin Reformen erzwingen, deshalb sieht sie im EWF das zentrale Instrument. „Der EWF sollte nicht nur ein Instrument zur Krisenbewältigung sein, sondern die Eurozone auch im Normalbetrieb durch konditionierte Kredite zur investiven Begleitung von Strukturreformen unterstützen“, erklärt Holger Bahr, Europa-Experte der Dekabank. In Südeuropa wird das nicht gerade auf Beifall stoßen. Macron hält auch deshalb mehr von Umverteilung und direkten Transfers, seine Betonung liegt auf der „Fiskalkapazität“. Doch gegen Merkels mächtigen EWF wäre Macrons auf eine niedrige Milliardensumme geschrumpftes Eurozonen-Budget tatsächlich nur noch Peanuts.
Macron entwirft Maximalforderungen,
Merkel schrumpft diese auf hoffentlich umsetzbare Größen