Basel setzt auf kritische Kunst
Das Geschäft läuft rund bei der Kunstmesse. Sie integriert Markt und Zeitgeist.
BASEL Auf der Art Basel versammelt sich die Crème de la Crème der Galerienelite. Trotzdem ist man sich nicht zu schade, für eine gesunde Blutzufuhr zu sorgen: 16 Neuzugänge verzeichnet die 49. Ausgabe der internationalen Kunstmesse unter den 290 teilnehmenden Galerien, darunter auch Max Mayer aus Düsseldorf. Kadel Willborn steigen sogar nach einigen Jahren in den Nebensektionen in die Hauptschau auf. Sie gehören damit zu den glücklichen Nachwuchsgaleristen, die in der Lage sind, die astronomisch hohen Standkosten zu stemmen.
Kadel Willborn absolvierten ihre Premiere zwar versteckt in der Ecke eines hinteren Gangs, dafür verkauften sie gleich am ersten Preview-Tag eine „Composition 8 T“von Barbara Kasten für 32.000 Dollar. Ganz nebenbei sorgten sie mit den wie Mini-Reihenhäuser wirkenden „Hundehütten (Dog Houses)“der Beuys-Schülerin Inge Mahn für einen Eyecatcher. Die Bildhauerin erfreut sich gerade verstärkter Aufmerksamkeit.
Nicht nur das Militär nahm USKünstler Robert Longo mit seiner Goldkugel „Death Star“ins Visier. Die 40.000 stacheligen Patronen verweisen auf die steigende Zahl von Amok-Läufen in seiner Heimat. Die kritische Botschaft hat nicht zuletzt ein Museum motiviert, das hängende Ungetüm für 1,5 Millionen Dollar zu erwerben. Damit ist die neu erblühte Debattenkultur lange noch nicht erschöpft. Auffäl- lig viele angebotene Werke greifen heiße Eisen auf. Wie die Südafrikanerin Candice Breitz, die in einer Videoinstallation das Für und Wider von Sex-Arbeit diskutiert, oder der Ire Richard Mosse, der im gleichen Medium mit einer Wärmebildkamera aufgenommene Bilder einer Rettungsaktion zeigt. Polizisten, Feuerwehrmänner und Migranten agieren darin wie Entkommene eines surrealen Infernos.
Dass man auch in Basel neuerdings die Dominanz weißer Männer brechen möchte, beweisen viele Werke von schwarzen Künstlern. Lubaina Himid, geboren in Sansibar, zog als Kind nach Großbritannien, wo sie 2017 den Turner Prize gewann. In der Sektion Feature ist sie mit Fotos von Schwarzen vertreten, die in der Zeitung „Guardian“ gehäuft im Kontext negativer Ereignisse abgelichtet wurden. Oder Kehinde Wiley, der von Elton John und Denzel Washinton gesammelt wird und Barack Obama zu seinen Modellen zählt. Der Afroamerikaner war am Stand der Galerie Templon mit einem brandneuen Porträt in der Hauptsektion vertreten. Dass der abgebildete Haitianer die Pose von Goyas „Papst Gregor der Große“einnimmt, zeugt vom wachsenden Selbstbewusstsein.
Und das ist auch zunehmend bei der Galeristinnen-Zunft zu vernehmen. 30 Prozent Frauenanteil am Kunstmarktplatz der Superlative ist zwar noch weit entfernt von einem Gleichgewicht. Rückenwind war aber trotzdem dank der #MeTooDebatte gefühlt an jedem zweiten Stand zu spüren. Fast wirkte es so, als möchten sich die meisten Händler so frauenfreundlich wie noch nie geben. Davon profitieren selbst Künstlerinnen, die längst ihren Platz in der Kunstgeschichte sicher haben. Zwei Großkünstlerinnen ließen die Kasse klingen. Louise Bourgeois’ „Die drei Grazien“von 1947 wechselten für 4,75 Millionen Dollar den Besitzer. Die polnische Auschwitz-Überlebende Alina Szapocznikow, die im Juli in der Kunsthalle Baden-Baden mit einer großen Retrospektive geehrt wird, ist für ihre surrealen Lampen aus menschlichen Körperfragmenten berühmt. Bei einem Exemplar von 1967 schlug ein Liebhaber für 950.000 Dollar zu. Keine Frage, das Sammler-Paradies namens Art Basel ist in Bewegung geraten.