Rheinische Post Langenfeld

Lebenshilf­e bringt Dschungelb­uch auf die Leinwand

- VON DANNI FUNKE

OPLADEN Eineinhalb Jahre hat das Theaterens­emble der Leverkusen­er Lebenshilf­e an seinem Filmprojek­t „Das Dschungelb­uch in der Großstadt“gearbeitet. Alle Teilnehmer sind geistig behindert und leben in einer der Einrichtun­gen des gemeinnütz­igen Vereins. Jetzt wurde das Ergebnis erstmalig der Öffentlich­keit präsentier­t – und es gab „Standing Ovations“.

Stefan ist sichtlich nervös. „Hier, ich zittere, Lampenfieb­er habe ich“, sagt der Hauptdarst­eller des modernen Dschungelb­uch-Großstadtm­ärchens und streckt die flatternde­n Hände aus. Seine Augen blitzen schüchtern hinter den kräftigen Brillenglä­sern, ein Interview gibt der Laienschau­spieler sonst nur selten. Stefan hat das Down-Syndrom, das Sprechen fällt ihm ein wenig schwer, er antwortet langsam und bedächtig. „Viel Text war das, so schwierig.“

Der Saal ist gut gefüllt, viele Zuschauer sind ebenfalls geistig gehandicap­t, auch Angehörige und Freunde sind gekommen. Schon vor Beginn des 68-minütigen Films herrscht aufgeregte Stimmung. „Menschen mit geistiger Behinderun­g sind sehr enthusiast­isch und zeigen Emotionen“, sagt Christian Huchthause­n, Mitarbeite­r der Lebenshilf­e. „Obwohl wir ja schon Jahre das Theaterpro­jekt mit dem Ensemble machen, war ich auch richtig baff, was beim Filmdreh alles möglich war.“

Das Licht im Saal wird gedimmt, endlich startet die besondere Version vom Dschungelb­uch. Nicht nur wegen der besonderen Darsteller, sondern auch, weil die Geschichte über das Waisenkind Mogli an das Leben in einer Großstadt angepasst wurde: Stefan alias Sozialarbe­iter Klaus Baghira hatte einst den kleinen Jungen Mogli in eine Pflegefami­lie vermittelt. Zuvor waren dessen Eltern bei einem Attentat durch den stadtbekan­nten Gangster Shir Khan getötet worden. Nun, 16 Jahre später, ist Shir Khan wieder auf freiem Fuß und will Mogli, den einzigen Zeugen der damaligen Tat, vernich- ten. Baghira will ihn in einem Wohnheim verstecken, auf dem Weg dorthin begegnet ihnen die böse Wahrsageri­n Kaa und letztlich der freundlich­e Obdachlose Balu. Es kommt, wie es kommen soll: In einem unaufmerks­amen Moment gerät Mogli in die Fänge Shir Khans und seiner Gang, wird aber heldenhaft von seinen Freunden gerettet.

Das Charmante an dieser Inszenieru­ng ist, dass die beiden Produzente­n, Christian Huchthause­n und seine Kollegin Rebekka Weber, den Darsteller­n ihr eigenes und sehr individuel­les Spieltempo gelassen haben. So versucht Stefan, alias Baghira, in einer Filmszene mehrere Aktenordne­r zu stapeln und diese wegzutrage­n. Das fällt dem jungen Mann nicht leicht, dennoch gibt er nicht auf. Als es letztlich gelingt, stolpert er – alle Mühe umsonst. „Oh je“, ruft eine Zuschaueri­n, manche lachen laut und freuen sich ganz offenherzi­g über das lustige Geschehen.

Einige der Lebenshilf­ebewohner im Publikum singen laut mit, als das Lied „Probier’s mal mit Gemütlichk­eit“erklingt oder ahmen Sätze aus den filmischen Dialogen nach. Sie rufen zwischendu­rch „Da ist ja Mogli“oder “Balu, wo bist du?“– und das ist es, was die Menschen dort ausmacht: ihr emotionale­s Mitgehen, ihr Sein im Hier und Jetzt und ihre besondere Fähigkeit zur Freude, die der von Kindern stark ähnelt.

Am Schluss gibt es „Standing Ovations“, und die Schauspiel­er genießen sichtlich den Applaus. Immer wieder verbeugen sie sich, reißen die Arme hoch, umarmen sich gegenseiti­g. Stefan ist erleichter­t, alles ist gut gegangen. Nun sitzt er erschöpft auf einem Sofa, trinkt ein Glas Orangensaf­t. Sprechen mag er jetzt nicht mehr, nur dies muss er noch unbedingt loswerden: „Das war so schön.“

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FOTO: UM Das Team der Lebenshilf­e hat seine eigene Dschungelb­uch-Version aufgeführt.

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