Fit fürs Gefecht
Die Bundeswehr sorgt sich um die Leistungsfähigkeit ihrer Rekruten und hat deswegen ein spezielles Trainingsprogramm aufgelegt.
HAGENOW Die ersten 100 Meter sind überragend, die zweiten 100 Meter sehr gut. Noch wären Panzergrenadier Stetzuhn und Panzergrenadier Fey an der Seite vonWilson Kipsang, wenn der kenianische Weltklasseläufer einen sehr ruhigen ersten Kilometer eines Marathons anläuft. 36 Sekunden auf 200 Meter, doch es kommen noch 800.
Es geht hier um die Frage, die die militärische Führung der Bundeswehr seit Monaten umtreibt: Wie fit ist der deutsche Rekrut? Und wenn er nicht fit genug ist, wie kriegen wir ihn fit? Ein neues Trainingsprogramm für die Bundeswehr soll es möglich machen, das, wenn es erfolgreich ist, womöglich auf die gesamte Truppe übertragen wird: Heer, Marine, Luftwaffe, Sanität, Streitkräftebasis. Darüber müsste der Generalinspekteur entscheiden. Bis dahin könnte noch einige Zeit ins Land gehen.
Und noch sind es ja 800 Meter bis ins Ziel. Stetzuhn und Fey schwitzen in ihren Trikots: Bundesadler auf hellblauem Grund, dunkelblaue kurze Sporthose, uniform.
Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne, Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern, Außentemperatur 28 Grad, Sonnenschein. Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Jörg Vollmer, steht am Rande der 400-Me- ter-Bahn. Der Drei-Sterne-General ist gekommen, um sich persönlich ein Bild vom „Pilotprojekt zur Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit in der Grundausbildung“zu machen. Am Ende geht es hier auch um Jobs, um den immer härteren Wettbewerb um qualifizierte und motivierte junge Menschen, dem sich die Bundeswehr als Arbeitgeber stellen muss.
IT-Fachleute zum Beispiel werden dringend gesucht. Problem: „ITler sind oft ziemlich unfit“, sagt ein Rekrut. Den Panzergrenadieren Stetzuhn und Fey werden derweil die Beine schwer. Trotzdem duellieren sie sich über die letzten 30 Meter noch im Sprint. Zielzeit: 3:31 Minuten. Top-Wert.
Sportlehrer Philipp Zimmermann vom Landeskommando Niedersachsen sagt: „Ich bin stolz auf meine Jungs.“Zimmermann gehört zu jenen Leuten bei der Bundeswehr, die Rekrutinnen und Rekruten fit machen sollen für den Truppendienst – Ernährungsberatung inklusive. In der Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne des Panzergrenadierbataillons 401 läuft dazu gegenwärtig das bislang einzige Pilotprojekt der Bundeswehr. 46 Rekruten, eingeteilt in drei Leistungsklassen.
Statt bislang 70 Stunden Sport in der Grundausbildung sind es jetzt 110. Dafür dann weniger Gefechtsdienst: knapp 90 Stunden statt rund 120. Irgendwo muss die Fitnesszeit ja herkommen. Die Disziplinen: Pendelsprint aus der Liegeposition von einer Matte um einen Pylon, zurück zur Matte, ablegen, Hände auf dem Rücken abklatschen, nächster Sprint. Fünfmal gegen die Uhr. Klimmhang an der Stange, wenigstens sechs Sekunden. Und 1000-Meter-Lauf, unter sechs Minuten.
Doch der Kommandeur des Bataillons, Oberstleutant Alexander B. Radzko, sagt: „Alleine durch Sport ist es nicht getan.“Es gebe auch die militärische Fitness: Rekruten in Uniform mit Schutzweste ziehen einen 50 Kilogramm schweren Sack über den Sportplatz um eine Pylonen- bahn. Die Übung simuliert, wie sie einen verletzten Kameraden aus der Schusslinie bringen.
Bei allen Übungen schwingt im Hintergrund mit: Die Bundeswehr ringt mit der Welt da draußen um die besten Kandidaten. GeneralVollmer:„Wer einmal zu uns gekommen ist, den wollen wir auch halten.“In Nordrhein-Westfalen und auch im deutschen Osten habe man auch bei den Mannschaftsdienstgraden keine oder kaum Rekrutierungsprobleme. In Baden-Württemberg, wo die Bundeswehr mit Porsche oder Mercedes in Konkurrenz um Fachkräfte steht, sehe es schon anders aus.
Das neu aufgelegte Fitnessprogramm soll auch den Ausbildern „Verhaltenssicherheit“geben, was sie den Soldaten körperlich abverlangen können. Bisher habe in Hagenow noch kein einziges Mal der Sanitäter eingreifen müssen. Und mancher Rekrut habe in sechs Wochen acht bis zehn Kilo abgenommen, erzählt Kommandeur Radzko.
Heeresinspekteur Vollmer umschreibt das Ausgangsproblem mit dem Nachwuchs mit denWorten des militärischen Führers:„Wir müssen die jungen Menschen da abholen, wo sie stehen.“Das ist – gemessen an der körperlichen Fitness – oft ziemlich weit unten. Zu wenig für den Soldatenberuf. Eigentlich. Aber bitte: Was nicht ist, soll möglichst noch werden. Vollmer: „Wir können es uns nicht leisten, jemanden nicht zu nehmen, nur weil er zunächst die körperlichen Anforderungen nicht erfüllt. Wer einmal weg ist, der kommt nicht wieder.“
Ein Ausbilder schimpft über das „Hotel Mutti“, das junge Frauen und Männer zu lange sorgenfrei halte. Vollmer sagt, es bringe nichts, darüber zu diskutieren, „ob unsere Generation vielleicht fitter war. Sie war anders.“Einfach weniger Playstation, mehr Bewegung. Aber das sagt Vollmer nicht. Er betont: „Wir müssen unsere Soldaten so ausbilden, dass sie im Gefecht bestehen.“Mali, Afghanistan, Irak. Der nächste Einsatz kommt bestimmt.