Venezuelas Kampf gegen die Nullen
Mit einer gigantischen Abwertung des Bolivar versucht das Land in Lateinamerika die Hyperinflation zu bekämpfen. Die Wirtschaft liegt nach vielen Verstaatlichungen am Boden, das Land erlebt eine gewaltige Flüchtlingswelle.
CARACAS Aus dem „starken Bolivar“wird ein „souveräner Bolivar“. So zumindest hat es Venezuelas sozialistischer Staatspräsident Nicolas Maduro versprochen. Quasi über Nacht werden wegen der astronomischen Inflation fünf Nullen auf den Geldscheinen verschwinden. Ob genügend neue Scheine gedruckt wurden, ist fraglich, denn auch das Papier ist knapp in Venezuela. Bislang kostete eine Flasche Mineralwasser zwei Millionen Bolivar, allerdings bekamen die Venezolaner bei den Banken nur maximal 500.000 Bolivar auf einmal ausgezahlt. Und der monatliche Mindestlohn reichte gerade einmal für ein Stück Butter.
Für Dienstag hat die Opposition nun ihrerseits zu einem Generalstreik aufgerufen. Es ist nicht das erste Mal, dass die Venezolaner eine solche Währungsreform erleben. Schon der verstorbene Revolutionsführer Hugo Chavez griff zu diesem Trick, die Symptome zu bekämpfen, nicht aber die Ursachen der Krise.
Venezuelas Wirtschaft (oder besser gesagt: das, was von ihr übrig geblieben ist) befindet sich seit Jahren im freien Fall. In den ersten Jahren des Chavismus, wie die Ära seit Beginn der Machtübernahme durch Chavez genannt wird, profitierte das Regime vom hohen Ölpreis. Venezuela lebte über seine Verhältnisse, schlimmer noch: Die sozialisitische Regierung erklärte der Unternehmerlandschaft im eigenen Land den Krieg. Branche für Branche, Unternehmen für Unternehmen wurde verstaatlicht, kompetente Führungskräfte wurden durch loyale, aber ahnungslose Parteibuchträger ersetzt.
Am schlimmsten erwischte es die Ölindustrie. Der staatliche Erdölkonzern PDSVA entließ kritische Mitarbeiter und stürzte ab. Die Raffinerien sind in einem katastrophalen Zustand. Trotzdem verschenkte Venezuela den Sprit an seine Bevölkerung, was ökologisch und ökonomisch in die Katastrophe führte. Nun sollen die Venezolaner für Sprit bezahlen.
Der Streit um die Benzinpreise hat vor fast zwei Jahrzehnten Hugo Chavez und seine Idee vom„Sozialismus des 21. Jahrhunderts“in Venezuela an die Macht gespült. Besser geworden ist nichts, und verschärft wurde die Krise vor Jahren durch Entscheidungen wie die Einführung von„gerechten Preisen“mit denen die Regierung die Inflation stoppen wollte. Die Preise für die noch in Venezuela hergestellten Produkte wurden so vom Staat festgelegt. „Preisspitzel“kontrollierten in den Supermärkten die Einhaltung der vorgegebenen Preise, bei Zuwiderhandlungen droht den Händlern dieVerhaftung. Weil durch die Inflation die Kosten für die Produktion schneller stiegen als die „gerechten Preise“festgelegt werden konnten, standen die Händler im Lande vor dem Ruin.
Das Ergebnis: eine fast komplett zusammengebrochene Produktion. Lange konnte das Land diesen Makel durch die überschüssigen Öleinnahmen ausgleichen, aber seit der Ölpreis sank, fehlt das Geld für teure Importe von Lebensmitteln und Medikamenten. Dafür blüht der Schwarzmarkt.
Und: Venezuela ist zu einem Flüchtlingsstaat geworden. Nach Angaben der Vereinten Nationen haben mehr als 2,3 Millionen Menschen das Land verlassen. Die Mehrheit der Venezolaner glaubt nicht mehr an die Versprechungen des Regimes. Allein nach Ecuador reisten in diesem Jahr rund 570.000 Venezolaner. Kolumbien und Brasilien, direkte Nachbarn Venezuelas, tragen die Hauptlast der Fluchtbewegung. In Brasilien kam es jüngst zu schweren Ausschreitungen. Der Mob machte in der Grenzstadt Pacaraima Jagd auf Flüchtlinge. Rund 1200 Venezolaner flohen zurück in ihre Heimat.