Hits gegen Hass
Chemnitz ist nach der Machtdemonstration rechter Gruppen verunsichert. Bericht aus einer Stadt zwischen Angst, Scham und Wut.
Er müht sich um Verständnis. Er will die aufgebrachten Chemnitzer Bürger von denen trennen, die Hass und Gewalt in die Stadt bringen. Doch Ministerpräsident Michael Kretschmer bekommt an diesem Abend in der Fußball-Arena in Chemnitz kaum ein Bein auf den Boden. Immer wieder wird er ausgebuht. Ganz besonders, als er sagt, er freue sich auf das Konzert „Wir sind mehr“am Montag mit der regionalen Kultband „Kraftklub“und auch den „Toten Hosen“aus Düsseldorf. Pfiffe, Buhrufe, „Linksextremisten“-Rufe. Bei der anschließenden Diskussion erklärt eine Chemnitzerin die geplante Musik-Kundgebung zur „linken Provokation“. Die Stimmung schaukelt sich weiter hoch in Sachsen.
„Das hätte Daniel niemals gewollt“, sagt der Mitdreißiger zwei Kilometer von der Arena entfernt. Er bezeichnet sich als den „besten Freund“des Mannes, der am Wochenende bei einer Messerstecherei starb – und will anonym bleiben. Wie viele andere, die zum Tatort an der Brückenstraße in Chemnitz kommen. Hunderte Kerzen und Blumen liegen hier vor Sparkasse und Tanzschule, neben einem SED-Denkmal: „Der Einzelne kann vernichtet werden, die Partei kann nicht vernichtet werden, denn sie ist der Vortrupp der Massen“, steht in Stein gemeißelt. Wo die SED-Diktatur derart präsent ist – das riesige Karl-Marx-Monument prangt nur zwei Steinwürfe entfernt – bekommen die Sprüche von früher eine schale Bedeutung. Denn rechtes Gedankengut nimmt den Tod des 35-jährigen Schreiners zum Vorwand, um in Chemnitz zu zeigen, wie stark und gut organisiert es ist. Wie sehr es sich hier als „Vortrupp der Massen“empfindet.
„Ich bin kein Nazi, aber...“. Sätze wie diese werden fast im Minutentakt im Angesicht des Blumenmeeres gesprochen. Der Tatort ist für einige aber zu allererst Gedenk- und Trauerort. Sie legen mit feuchten Augen weitere Blumen nieder, gehen still in die Hocke, um ein paar Minuten das gerahmte Bild des in Chemnitz geborenen Deutsch-Kubaners zu betrachten. Es zeigt Daniel H. als einen kräftigen, fröhlichen Mann mit milchkaffeebrauner Hautfarbe. Wo er Sonntag früh um 3.15 Uhr mit tödlichen Messerstichen niedergestreckt wurde, hat sich jedoch auch ein Kommunikations-, Protest- und Wut-Ort entwickelt. Davon zeugen die schwarz-rot-goldenen Kranzschleifen von jenen, die hier Sonntag und Montag die ersten rechten Demos auf die Straße brachten. An diesem Donnerstag wollen sie erneut aufmarschieren.
Nichts weiter sagen mag die schlanke ältere Dame, Typ Erika Steinbach, die meint, ihre in Klarsichtschutz eingepackte DinA-4-Seite spreche doch für sich: „Wie viel Tote, Verletzte, Vergewaltigte braucht es noch, bis der Staat seine Bürger vor ,Schutzsuchenden’ schützt?!“steht darauf in dicken, fetten Buchstaben. Auf der anderen Seite eine schlichte Trauer-Botschaft in einem eingeschweißten Blatt von den „Hausgeistern“, dem Chemnitzer Hausmeister- und Gebäudedienst, für die Daniel H. als Schreiner Fenster und Türen reparierte.
Seine Kumpels beschreiben ihn als „klasse Typ“, der bei aufkommenden Streitigkeiten stets den Part des Beschwichtigers übernommen habe und von vielen bewundert worden sei: Wie er seine Ausbildung packte, eine Familie gründete und seinen Freundeskreis pflegte. Samstagnacht besuchte er seine Skatrunde, drehte auch noch ein paar Runden über das Stadtfest. Was dann in der Brückenstraße passierte, konnte er der Polizei noch sagen, bevor er starb. Die Polizei nahm daraufhin einen 22-jährigen Syrer und einen 23-jährigen Iraker fest. Letzterer mit etlichen Vorstrafen, auch wegen Körperverletzung.
In Chemnitz heizen Informationen wie diese die Stimmung weiter an. „Deutsche Straftäter in den Knast, ausländische Straftäter sofort abschieben, dann haben wir wieder Ruhe“, sagt Harald Wagner (62) neben dem Blumenmeer. „Da vorne“, erklärt er und deutet auf die Straße der Nationen, sei er 1989 vom Regime eingekesselt worden. Das sei beängstigend gewesen. Jetzt habe er wieder dieses Angstgefühl. Wegen der vielen Ausländer. Beim Einkaufen in der Roter-Turm-Passage um die Ecke würden junge Mädchen von ausländischen Jugendlichen unflätig und ordinär angemacht. Die lasse der Staat gewähren, während ein guter Freund, ein „fähiger Lackierer, der immer seine Steuern zahlte“, in den Irak abgeschoben worden sei. „Das läuft doch alles total schief hier“, stellt er kopfschüttelnd fest.
Die Demo der Rechten am Sonntag habe er von seinem Fenster aus gesehen. Wie es plötzlich Schreie gegeben habe und einzelne Gruppen gerannt seien, berichtet Wagner. Die AfD behauptet nun, es habe gar keine Jagd auf Migranten gegeben. Im Café International, einem Treff für Flüchtlinge, wissen sie es besser. Doch die Attackierten trauten sich nicht, zur Polizei zu gehen. Es liegt eine tiefe Verunsicherung über der Stadt.
Besonders dort, wo sich die 247.000-Einwohner-Kommune mit ihren 20.000 Ausländern international gibt. Die Technische Universität, die sich als die internationalste in Sachsen empfindet, fürchtet massive Standortfolgen. Die Bewerbung von Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas 2025 könne man nun sicher knicken, heißt es in der Kommunalpolitik. Die Ballett-Chefin hat die ausländischen Ensemble-Mitglieder sogar angewiesen, möglichst nicht mehr alleine durch die Stadt zu gehen.
Naji el-Ali, ein Palästinenser, der als Student in die damalige DDR kam, hat diese Bedenken nicht. Er kommt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen zum Tatort, legt einen Strauß weißer Rosen nieder. Auch er habe den Daniel „gut gekannt“. Und wie Daniel fühle auch er sich zu Hause in Chemnitz. „Haut ab“, brüllt plötzlich ein leicht schwankender Mann, die Bierdose in der Hand. Er schimpft auf die „zionistischen“Medien. Der Alkohol beschleunigt den Antisemitismus. Mehrere junge Leute reden sofort auf ihn ein. „Denk an Daniel, das hätte der nicht gewollt“, sagen sie wiederholt.
Die sächsische Polizei hat Verstärkung aus fünf Bundesländern und vom Bund angefordert, um neue Ausschreitungen am Abend vor der Arena zu verhindern. Hunderte sind einem Aufruf der rechten „Pro Chemnitz“-Organisation gefolgt. Als Kretschmer das „Sachsengespräch“mit einer Gedenkminute für Daniel H. beginnt, dringen Parolen wie „Deutschland den Deutschen“von draußen in den Saal. Drinnen gibt es massive Kritik. Die Politik könne doch nicht „zwei Kulturen aufeinander prallen lassen und dann im Regen stehen lassen“, klagt eine Frau unter lebhaftem Applaus. Chemnitz steht vor weiteren schwierigen Tagen.