Das EU-Strafverfahren wird Orbáns Kurs nicht ändern
BUDAPEST Wegen „systematischer Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte“hat das Europaparlament für ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Ungarn gestimmt. Doch Premier Viktor Orbán wird dies nicht von seinem bisherigen anti-europäischen Kurs abbringen.
Orbáns Rede im Europaparlament tags zuvor war ein Zeugnis von fortgeschrittener Machtblindheit. Das belegen Sätze wie: Die EU wolle mit diesem Strafverfahren „die Ehre des ungarischen Volkes verletzen“, „das ungarische Volk demütigen“, „dem konstruktiven Dialog einen Schlag versetzen“. Sein Europa-Bild gleicht einer auf den Kopf gestellten Realität: Er unterstellt der EU diktatorisches Verhalten, während er „sein“Ungarn als Vorbild der Demokratie preist und den Rest der Gemeinschaft mit der sowjet-kommunistischen Diktatur vergleicht, die vier Jahrzehnte lang Osteuropa unterdrückte: Ungarn, so Orbán, „hat mit seinem Blut zur großartigen Geschichte Europas beigetragen“, 1989 sei es Wegbereiter für die Einheit Deutschlands gewesen. Doch Ungarn werde, drohte er, „seine Grenzen schützen, und wenn es sein muss, auch Ihnen gegenüber“. Als ob die EU plane, das Land militärisch zu besetzen wie 1956 die Rote Armee.
Doch die Wahnhaftigkeit ist Machtkalkül des derzeit wohl abgefeimtesten Demagogen Europas. Die Rede galt nicht den Abgeordneten des Europaparlaments, sondern dem eigenen Volk, dem er seit Jahren die EU als Feindbild präsentiert. Ungarn werde nur deshalb bestraft, weil es in der Migrationspolitik eigene Wege gehe und sich gegen jegliche Einwanderung entschieden habe, lautet Orbáns Zentralbotschaft. Und nur diese werden die mittlerweile auf Regierungspropaganda getrimmten Medien den Ungarn vermitteln.
Jedes andere Thema spitzt Orbán auf seine Opferrolle zu: Man danke es ihm nicht, dass er mit seiner Abschottungspolitik Europa vor muslimischen Heerscharen schütze. Mit keinem Wort ging er auf die Kritik im Report des Europaparlaments ein, der in Ungarn den Rechtsstaat akut bedroht sieht. Für Orbán „lauter Lügen“. Als ihm der sozialdemokratische Fraktionschef Udo Bullmann vorwarf, er stehe „für das korrupteste System innerhalb der EU“, verzog Orbán keine Miene, als ginge ihn das nichts an. Die EU-Kommission und vor allem die konservative Parteifamilie (EVP), der auch die ungarische Regierungspartei Fidesz angehört, haben jahrelang selbst mit Unentschlossenheit und Tatenlosigkeit die Uneinsichtigkeit Orbáns gefördert, wenn auch unabsichtlich.
Deshalb sieht Orbán vorerst keinen Grund, in die Fraktionsgemeinschaft der anti-europäischen Rechtsradikalen zu wechseln, die ihn zum „Helden Europas“stilisieren und mit offenen Armen empfangen würden. Als ihn der britische Brexit-Haudegen Nigel Farage süssholzraspelnd lockte, es würde ihm „in unserem Club gefallen“, reagierte Orbán mit säuerlichem Grinsen. Es war und bleibt vergebliche Mühe, an seine Einsicht zu appellieren. Die Strafmaßnahmen kommen zu spät, und Orbán kann nicht mehr zurückrudern, ohne das Gesicht und die Macht zu verlieren.
Orbán müsste seinem Volk gestehen, dass er es jahrelang irregeführt und angelogen hat. Er muss weitermachen wie bisher, hat bereits die Europawahl im nächsten Jahr im Visier, da werde „über die Zukunft Europas entschieden“. Thema ist die Migrationspolitik, was sonst. Und die EU wird ihn weiterhin mit jährlich 4,5 Fördermilliarden alimentieren, ohne die Ungarn längst pleite und Orbáns System gescheitert wäre.