Es wird ungemütlich für Bulgariens Oligarchen
Das Balkanland hat eine Antikorruptionsoffensive gestartet. Kritiker mögen jedoch nicht glauben, dass die schärfere Gangart von Dauer ist.
SOFIA Seit seinem Beitritt zur Europäischen Union 2007 muss Bulgarien sich gefallen lassen, in regelmäßigen Abständen von der EU-Kommission ein Zeugnis über seine Bemühungen im Kampf gegen Korruption und Organisiertes Verbrechen ausgestellt zu bekommen. In der Vergangenheit fiel das Urteil stets gemischt aus; Brüssel bescheinigte der bulgarischen Regierung politischen Willen zur Korruptionsund Verbrechensbekämpfung und bemängelte gleichzeitig das Ausbleiben rechtskräftiger Urteile. Der nächste Evaluierungsbericht wird in Kürze erwartet – möglicherweise ist das der Grund für ein zuletzt schärferes Durchgreifen der bulgarischen Justiz.
Seit einigen Wochen zeigen Polizei und Staatsanwaltschaft merklich erhöhte Gefechtsbereitschaft. So wurden zwei berühmt-berüchtigte Oligarchen zur Fahndung ausgeschrieben, einer konnte sich seiner Festnahme durch Flucht entziehen. Der flüchtige Vetko Arabadschiev ist ein durch die Privatisierung staatlicher Unternehmen zu Popularität und Wohlstand gelangter Geschäftsmann. Vor kurzem erwarb er sich noch Verdienste um Bulgariens EU-Ratsvorsitz, als die Regierung in seinem Sofioter Hotel ihre Gäste aus Brüssel unterbrachte. Der Schnapsfabrikant Mintscho Staykov wiederum lieferte den bei den Banketten ausgeschenkten Rakija. Nun sehen sich beide Vorwürfen wie Geldwäsche und Steuerhinterziehung ausgesetzt.
„Egal wer an die Macht kommt, jeder hat seine Oligarchen, die privilegiert werden”, kommentiert Tihomir Beslov vom Sofioter „Zentrum zur Erforschung der Demokratie” die Aktion gegen die Oligarchen. Beslov bezweifelt, dass die aktuelle Antikorruptionsoffensive justiziable Resultate zeitigen wird. Natürlich könnte sie den Nutzen haben, das Gerechtigkeitsempfinden zu erhöhen. „Aber wie ist das möglich, wenn es zahlreiche Prozesse gibt, aber keine Verurteilungen?”.
Vermögen im Wert von umgerechnet rund 15 Milliarden Euro sei währen der Privatisierungswelle der 1990er Jahre für nur ein Zehntel des Wertes verhökert worden, behaupten Kritiker des bulgarischen Übergangs vom autoritären Sozialismus zur demokratischen Marktwirtschaft. Den Hauptverantwortlichen für die „Plünderung von Volksvermögen” sehen sie in dem konservativen Ministerpräsidenten Ivan Kostov. Sein seit 2009 mit Unterbrechungen regierender Nachfolger Boiko Borissov verspricht immer wieder die „totale Revision der kriminellen Privatisierung”.
Bulgariens Justiz hat nicht nur Repräsentanten der Privatwirtschaft im Visier. Zuletzt wurden der Leiter der staatlichen Agentur für die Bulgaren im Ausland, Petar Harlampiev, und 20 weitere Beamte verhaftet. Sie sollen bulgarische Pässe und damit den Genuss der EU-Freizügigkeit für 5000 Euro verkauft haben, und zwar an Albaner, Mazedonier, Moldawier und Ukrainer ohne jegliche bulgarische Wurzeln.
Der Schlag gegen die Agentur für die Auslandbulgaren erinnert stark an Polizeiaktionen gegen die staatliche Agentur für Automobil-Administration (AA). Sie ist seit Jahren bekannt dafür, dass man bei ihr Führerscheine auch käuflich erwerben kann. Schon 2010 zeigte der Whistleblower Ivan Krastev die korrupten Praktiken in der Behörde an. Dem mit Führerscheinprüfungen befasste Inspekteur im Transportministerium ist zum Lohn dafür viermal gekündigt worden, und ebenso oft klagte er sich vor Gericht wieder an seinen Arbeitsplatz zurück. „Ein Verkehrsminister musste aufgrund meiner auch an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschickten Informationen zurücktreten, 70 Angestellte der Amts wurden entlassen, teilweise verhaftet”, erzählt er. „Keiner von ihnen wurde rechtskräftig wegen Korruption verurteilt. Flaut die öffentliche Aufmerksamkeit ab, werden die Beschuldigten wieder freigelassen, oft kommen sie zurück auf ihre Posten, das Geschäft läuft weiter wie geschmiert“, klagt Krastev.