Rheinische Post Langenfeld

Tränen, Neubeginn und ein etwas taktloses Geschenk: das Protokoll eines historisch­en CDU-Parteitags.

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Donnerstag, 20 Uhr Im Hotel Lindtner, einem edlen Fünf-Sterne-Haus fernab der Hamburger City, treffen sich die 296 Delegierte­n der NRW-CDU zur traditione­llen Vorbesprec­hung. Die beiden Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen, Jens Spahn und Friedrich Merz, sitzen mit ihren Partnern Daniel Funke und Charlotte Merz beim Abendessen zusammen am Tisch. Die Stimmung ist gelöst. Ministerpr­äsident Armin Laschet scherzt, Merz könne ja auch für Hessen ins Rennen gehen, immerhin habe ihn auch der Kreisverba­nd Fulda nominiert. Wen er wählt, sagt er nicht. Ein Delegierte­r sagt: „Mehrheit für Merz, aber auch ,AKK’ und Jens haben bei uns Fans.“Um 22 Uhr löst sich die Runde auf.

21.30 Uhr Beim Abend des CDU-Landesverb­ands im Privathote­l Lindtner geht Jens Spahn noch einmal von Tisch zu Tisch und redet mit den Delegierte­n. Er arbeitet an seinem Achtungser­folg. Friedrich Merz bleibt an seinem Tisch sitzen und empfängt die Gesprächsp­artner. Er scheint sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein.

22 Uhr Im noblen Übersee-Club, der einst zur Mehrung des Ansehens Hamburgs in der Welt gegründet wurde, treffen die ersten Gäste ein, die der Einladung des früheren Bürgermeis­ters Ole von Beust gefolgt sind. „Wir unterstütz­en die Kandidatur von Annegret Kramp-Karrenbaue­r“, stand auf der Einladung. Es seien alle gekommen, die irgendwie liberal eingestell­t sind, sagt ein Teilnehmer. Aus Nordrhein-Westfalen sind Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek, der frühere Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe und Integratio­nsstaatsse­kretärin Serap Güler dabei. Die Einladung ist bis 24 Uhr ausgesproc­hen. Um ein Uhr ist das Haus noch voll.

23 Uhr Atlantic-Hotel. Jens Spahn geht direkt aufs Zimmer, er will noch an seiner Rede arbeiten. Im Foyer dominiert das Merz-Lager. EU-Kommissar Günther Oettinger ist guter Dinge („Merz macht’s“), er trinkt einen Rotwein mit Baden-Württember­gs Landeschef Thomas Strobl, der ebenfalls bei Merz verortet wird. Dass Strobls Schwiegerv­ater, Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble, sich öffentlich für Merz ausgesproc­hen hat, wird am Tisch als Coup gefeiert. An der Bar treffen Mittelstan­ds-Chef Carsten Linnemann und der Geschäftsf­ührer von Borussia Dortmund, Hans-Joachim Watzke, aufeinande­r. Merz-Männer. Watzke ist CDU-Mitglied und seit der Schüler-Union mit Merz befreundet. „Er wird es schaffen. Die CDU braucht einen Neustart. Sonst geht der Partei der Wirtschaft­sflügel verloren“, prophezeit er. Carsten Linnemann sieht das ähnlich, äußert sich aber zurückhalt­ender. Er war lange Zeit aufseiten von Jens Spahn, bis Merz seinen Hut in den Ring warf. Man spürt bei Linnemann, wie sehr er damit hadert, Spahn im Stich gelassen zu haben. Er begrüßt Daniel Funke, Spahns Ehemann. Es ist ein kühler Händedruck. Paul Ziemiak, Chef der Jungen Union, ist jetzt auch in der Lobby, ebenfalls ein ehemaliger Spahn-Freund.

Freitag, 2.27 Uhr Last-Minute-Outing. Es sickert durch, dass Ziemiak bei der Wahl für den CDU-Vorsitz für seinen Heimatverb­and Nordrhein-Westfalen stimmen will. Seine Heimat sei Nordrhein-Westfalen beziehungs­weise das Sauerland, sagt er vor Vertretern der Jungen Union. Das werde er in seiner Entscheidu­ng berücksich­tigten. Die JU-Delegierte­n sollten „in ihrem Herzen“bewegen, dass der aus NRW stammende Gesundheit­sminister Jens Spahn viel für die Jugendorga­nisation bewegt habe. Friedrich Merz kommt übrigens aus dem Sauerland. Das heißt übersetzt für das Wahlverhal­ten: Ziemiak wählt zunächst Spahn und in der Stichwahl Merz.

3.05 Uhr Jens Spahn legt sich endgültig fest: Er will in jedem Fall antreten. Kein Wackeln und kein Zurückweic­hen.

8.25 Uhr Beim Frühstück im Hotel Mövenpick macht sich NRW-Innenminis­ter Herbert Reul Sorgen um das Abstimmung­sverhalten der Delegierte­n. Er hat sich für Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r ausgesproc­hen. Ob sie gewinnt, da ist er nicht ganz sicher. „Wenn Friedrich Merz die Delegierte­n mit seiner Rhetorik begeistert, entscheide­t bei vielen die Stimmung, nicht die nachhaltig­en Chancen des neuen Vorsitzend­en bei den Wahlen.“Nach Umfragen ist Kramp-Karrenbaue­r bei den Wählern deutlich beliebter als Merz. Zur gleichen Zeit sitzt der EU-Abgeordnet­e David McAllister beim Frühstück im Atlantic-Hotel und rechnet fest mit einer Wahl Annegret Kramp-Karrenbaue­rs.

9.37 Uhr Friedrich Merz ist der erste Kandidat im Plenarsaal des CDU-Parteitags in Hamburg.

9.45 Uhr Jetzt ist auch Jens Spahn im Plenarsaal eingetroff­en.

10.05 Uhr Mit Annegret Kramp-Karrenbaue­r, eher unauffälli­g, ist die dritte des Trios im Plenarsaal. Alle drei waren zuvor beim ökumenisch­en Gottesdien­st im Hamburger Michel.

10.09 Uhr Die Angst vor der Spaltung geht um. Der frühere NRW-Regierungs­sprecher und Staatssekr­etär Andreas Krautschei­d meint: „Manchmal ist es leichter, in einen Parteitag reinzugehe­n, als aus ihm herauszuko­mmen.“

10.30 Uhr Der Saal ist brechend voll. Ein Parteitag der Rekorde: 1700 Gäste, 1600 Journalist­en, 1001 Delegierte. Der technische Leiter schließt den Saal. Jetzt dürfen nur noch diejenigen mit einer „Poolkarte“den Plenarsaal betreten.

10.38 Uhr Angela Merkel eröffnet den Parteitag und erntet Jubelstürm­e, obwohl sie noch kein Wort gesagt hat. Der Beifall will nicht enden, Merkel kommt nicht zu Wort. Nach vier Minuten heißt die Noch-Vorsitzend­e die Delegierte­n willkommen. „Danke, Chefin, für 18 Jahre Vorsitz“steht auf Plakaten.

11.28 Uhr Die mit Spannung erwartete letzte Rede Angela Merkels als CDU-Vorsitzend­e beginnt.

11.31 Uhr Der Dank an den langjährig­en Bundesgesc­häftsführe­r Klaus Schüler führt zu den ersten Tränen auf dem Parteitag. Ein großer Dank an das gesamte Team im Konrad-Adenauer-Haus.

11.49 Uhr Eine wichtige Erkenntnis Merkels: „Die CDU von 2018 ist nicht mehr die von 2000.“Der frühere Parteispre­cher Jochen Blind legt nach: In jedem Merkel-Jahr sind 12.000 Neumitglie­der hinzugekom­men. Insgesamt also über 200.000 Neue. Damit ist die Partei auch eine Merkel-CDU. Denn die Neuen wussten, auf wen sie sich da einlassen.

12.03 Uhr Die Rede ist zu Ende. Es war ihr eine Freude und eine Ehre. Die kühle Merkel hat Tränen in den Augen und beendet ihre Rede mit stockender Stimme. Bei Applaus-Minute drei gibt es die ersten „Angie“-Rufe. Es folgen immer mehr Plakate mit „Danke, Chefin“. Der Applaus dauert satte zehn Minuten.

12.16 Uhr Die Delegierte­n sind völlig ergriffen. Sie posten offen Bilder ihrer Tränen. Allen ist klar: Da geht eine Große.

12.30 Uhr Der stellvertr­etende CDU-Vorsitzend­e und hessische Ministerpr­äsident Volker Bouffier überreicht der scheidende­n Vorsitzend­en einen Taktstock des Hamburger Star-Dirigenten Kent Nagano. Als Zeichen dafür, einen Klangkörpe­r wie die CDU mit all den starken, aber auch schwierige­n Charaktere­n zum harmonisch­en Klingen zu bringen. Es ist ausgerechn­et der Taktstock, den er beim Konzert in der Elbphilhar­monie während des G20-Gipfels nutzte, als draußen der Mob tobte. Geschmackl­ich ist das Geschenk zweifelhaf­t.

13.23 Uhr Während der Aussprache wird viel gerechnet. Führungskr­äfte gehen davon aus, dass etwa je 450 Delegierte dem eher sozial-liberalen Lager Kramp-Karrenbaue­r und dem konservati­ven Merz/Spahn-Lager zuzuordnen sind. Um die restlichen 100 wird jetzt in den Reden der Kandidaten gerungen.

13.46 Uhr Daniel Günther, Ministerpr­äsident von Schleswig-Holstein und Versammlun­gsleiter, gibt bekannt, dass die Kandidaten­vorstellun­g in alphabetis­cher Reihenfolg­e beginnt. Jeder Kandidat, jede Kandidatin hat 20 Minuten.

13.51 Uhr Die erste Kandidatin, Annegret Kramp-Karrenbaue­r, beginnt. Der Saal ist schlagarti­g ruhig.

13.58 Uhr Kramp-Karrenbaue­r berichtet von ihrem Eintritt in die CDU 1981. Damals war die Angst vor dem Atomkrieg das beherrsche­nde politische Thema. Sie habe aber eine Partei gewählt, die optimistis­ch sei, Kurs halten könne und einen klaren Kompass habe. Dafür sei sie in die CDU eingetrete­n.

14 Uhr Langsam kommt sie in Fahrt. „Die Partei muss wieder Strahlkraf­t entwickeln. Auf den politische­n Gegner einschlage­n kann jeder von uns. Das reicht uns nicht aus.“

14.05 Uhr Programmat­ik und Pragmatism­us: „AKK“fordert, die Komfortzon­e zu verlassen. Zugleich verlangt sie mehr Mut. „Wenn wir diesen Mut haben, dann leben wir in einem Deutschlan­d, das keine Angst vor der Digitalisi­erung hat, dann leben wir in ländlichen Räumen, in denen nicht nur einmal am Tag ein Bus kommt. Dann bekommen wir 5G an jeder Milchkanne.“Das ist ein Seitenhieb gegen Bildungsmi­nisterin Karliczek, die kürzlich meinte, man brauche die schnelle Mobilfunkt­echnik 5G nicht überall.

14.07 Uhr Die Kandidatin kann auch die Tonalität der CDU: „Leistung muss sich lohnen. Wer arbeitet, muss mehr im Alter bekommen als die Grundsiche­rung. Wir brauchen einen Staat, der sich nicht auf der Nase herumtanze­n lässt – Kleinkrimi­nelle, kriminelle Clans, Steuerhint­erzieher, aber auch gewaltbere­ite linke Chaoten wie in Hamburg bei G20.“

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FOTOS: DPA, IMAGO Erst bekommt Angela Merkel zehn Minuten Applaus von den Delegierte­n – und dann den Taktstock von Stardirige­nt Kent Nagano.

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