Eltern am Rand des Nervenzusammenbruchs
Familie kann Eltern schon mal Nerven kosten. Unter dem Hashtag #ehrlicheeltern reden sie Klartext auf Twitter.
DUISBURG Wer Kinder hat, kann sich glücklich schätzen, sind sie doch für viele die Kirsche auf der Sahnehaube des perfekten Lebens. Dass Familie aber auch Schattenseiten hat, darüber sprechen Eltern nur ungern. Lieber erzählen sie stolz, welche Fortschritte die Wonneproppen machen, welche tollen Eltern-Kind-Kurse sie besuchen und dass das Lächeln der Kinder unbezahlbar sei.
Doch was ist mit Wutanfällen, Streitereien, schlaflosen Nächten wegen Fieber, Durchfall, Zähnen, was mit der Einsamkeit in der Elternzeit, der Überforderung und Versagensängsten? Darüber sprechen Eltern jetzt auf Twitter unter dem Hashtag #ehrlicheeltern. Ungeschönt geht es dort zur Sache. „Manchmal darf mein Sohn fernsehen, weil ich aus Überforderung in der Küche heule und er das nicht mitbekommen soll“, schreibt eine Mutter. „Ich hasse das Wort ,Mutterschaftsurlaub’. Als ob das irgendwas mit Urlaub zu tun hätte. Es ist harte Arbeit“, moniert eine andere. Auch fehle oft die nötige Anerkennung, twittert eine Mutter: „Ich wollte immer, dass meine Eltern stolz auf mich sind. Meine Kinder zu bekommen, hat mich das gekostet – weil ich in ihren Augen vier Jahre lang nichts geleistet habe.“
Doch obwohl es gerade die Mütter sind, die via Twitter ihr Leid klagen, haben auch Väter mit dem Dasein als Elternteil zu kämpfen: „Ich bin der Vater, der ein schlechtes Vorbild ist, weil er sein Smartphone ständig in der Hand hat. Ohne wird mir mit den Kindern alleine schnell langweilig“, schreibt einer. „Kinder drei Jahre zu Hause zu behalten, ist alles andere als Heile-Familie-Romantik“, berichtet ein anderer. „Es ist harte Arbeit, und dein Universum kollabiert förmlich auf einen Radius von wenigen hundert Metern.“Nicht nur schonungslos, sondern auch witzig ist es, wenn Eltern über die Tricks schreiben, mit denen sie den Nachwuchs im Zaum halten: „Habe das Baby letztens bewusst nicht bei dem Versuch unterbrochen, einen Karton aufzuessen, weil es damit gut beschäftigt war und ich dann in Ruhe kochen konnte.“
Natürlich gibt es auch Kritik an der Aktion. Einige Nutzer beschweren sich, dass nur über die negativen Seiten berichtet wird, nicht aber über die positiven. Doch bei #ehrlicheeltern geht es darum, sich Luft zu machen – und das sei immens wichtig, sagt die Düsseldorfer Familientherapeutin Anke Meissner. „Eltern stehen unter ziemlich großem Druck, deutlich mehr als noch vor einigen Jahrzehnten.“Das gesellschaftliche Bild habe sich gewandelt, Frauen seien gleichberechtigt, wollten perfekt sein im Job, als Mutter und Partner. „Die Latte hängt wahnsinnig hoch, und dann stellen Eltern häufig fest, dass sie scheitern“, sagt Meissner.
Als Therapeutin beobachte sie oft eine Art Eltern-Burn-out, wie man es sonst nur von Managern kenne. Wer sein Kind vor den Fernseher setze, obwohl er wisse, dass es pädagogisch falsch ist, der sei am Ende. Das, was derzeit unter #ehrlicheeltern
geschehe, sei deshalb ein gesunder Schritt, den sich Eltern häufig gar nicht erlaubten, sagt Meissner. „Bei Sicherheitsinstruktionen in einem Flugzeug wird immer gesagt, dass man sich erst um sich selbst kümmern sollte und dann erst um andere, wenn die Sauerstoffmasken von der Decke fallen. Eltern haben ein Fürsorge-Gen. Sie würden sich sonst erst um die Kinder kümmern und dann vor Sauerstoffmangel umkippen.“Und jeden Tag kippten Eltern um, weil sie verlernt haben, „eine gesunde Spur an Egoismus an den Tag zu legen“.
Somit sei #ehrlicheeltern nicht nur amüsant, sondern auch hilfreich. Zu wissen, dass man nicht alleine ist, nähme eine große Schuld von den Eltern, sagt die Familientherapeutin. Am Ende fasst es eine Twitter-Nutzerin ganz gut zusammen: „Wir alle lieben unsere Kinder und würden sie für nichts auf der Welt hergeben. Aber wir sind auch Menschen, nicht nur Eltern. Menschen die so gerne perfekt wären, es aber leider nicht sind. Deshalb ist #ehrlicheeltern so wichtig.“