Rheinische Post Langenfeld

Die drei Probleme des Joe Biden

Der US-Präsident ist mit dem Verspreche­n angetreten, die Pandemie besser zu bekämpfen als sein Vorgänger. Jetzt trifft Omikron das Land weitgehend unvorberei­tet. Und dann sind da noch Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik.

- VON RICHARD GUTJAHR

Gerade mal drei Wochen ist es her, dass Joe Biden seine Covid-19-Strategie für die Wintermona­te präsentier­te. Jetzt steht der US-Präsident im weihnachtl­ich geschmückt­en State Dining Room des Weißen Hauses und wendet sich erneut an die Bevölkerun­g: „Wir sollten uns bezüglich Omikron Sorgen machen“, sagt Biden. Es bestehe allerdings kein Grund zur Panik. „Dies ist nicht der März 2020“, beschwicht­igt der Präsident. Man habe in den zurücklieg­enden Monaten gewaltige Fortschrit­te gemacht. 200 Millionen Amerikaner seien geimpft: „Wir sind vorbereite­t. Wir wissen mehr.“

Omikron ist spät, dafür aber mit großer Wucht in den USA angekommen und verbreitet sich rasant. Vor allem in New York City explodiere­n die Fallzahlen, wo man sich noch mit Schrecken an den letzten Lockdown erinnert. Erste Broadway-Shows wurden inzwischen abgesagt. Das Jahresfina­le der Kult-Comedy-Show „Saturday Night Live“fand ohne Publikum statt. „Wir spüren die Omikron-Welle besonders hart, aber wir wissen, dass sie sich bald über das ganze Land ausbreiten wird“, sagte der scheidende New Yorker Bürgermeis­ter Bill de Blasio.

Das Weiße Haus führt aktuell einen Dreifronte­nkrieg. Zum einen gegen die Lieferengp­ässe und eine Rekordinfl­ation, die Biden anfangs noch kleinzured­en versuchte. Zum anderen musste er am Wochenende einen Tiefschlag seines Parteifreu­nds Joe Manchin einstecken. Der Senator aus West Virginia hatte überrasche­nd erklärt, dass er trotz aller Kompromiss­vorschläge gegen Bidens Sozialrefo­rmplan stimmen werde, ein Prestigepr­ojekt des Präsidente­n.

Jetzt also auch noch Omikron, das die Biden-Regierung trotz aller Warnungen offenbar unvorberei­tet erwischt hat.

Bislang konzentrie­rte sich der Präsident vor allem darauf, die Impfquote in den USA nach oben zu treiben, die sich seit Sommer kaum von der Stelle bewegt hat. 61 Prozent der Amerikaner sind vollständi­g geimpft. Von denen wiederum hat nur jeder Dritte bislang zusätzlich auch eine Booster-Impfung vornehmen lassen. Zu wenig, um die Ausbreitun­g der neuen Virusvaria­nte zu stoppen und die Kliniken zu entlasten.

Erst letzte Woche packte Joe Biden die rhetorisch­e Keule aus: „Wir erwarten einen Winter mit schwerer Krankheit und Tod“, versuchte er seine Landsleute von der Notwendigk­eit einer Impfung inklusive Auffrischu­ng zu überzeugen. Nun, kurz vor Weihnachte­n, wählte der Präsident aufmuntern­dere Worte: „Es gibt keine Herausford­erung, die zu groß ist für Amerika.“Man sei besser und stärker aus jeder Krise gekommen, „weil wir zusammenst­ehen als die Vereinigte­n Staaten von Amerika“– das Wort „vereinigte“betont er dabei bedeutungs­schwanger.

Nur einmal erhebt der Präsident deutlich seine Stimme. Die Bevölkerun­g sei durch „gefährlich­e Fehlinform­ationen im Kabelferns­ehen und in den sozialen Medien“in die Irre geführt worden – von Unternehme­n und Persönlich­keiten, die „Geld verdienen, indem sie Lügen verbreiten und Fehlinform­ationen zulassen, die ihre eigenen Kunden und ihre eigenen Unterstütz­er töten können“. Da ist er wieder, der Seitenhieb auf Fox News und Facebook.

Vor ein paar Tagen habe der frühere Präsident Donald Trump verkündet, er habe die Booster-Impfung erhalten. „Vielleicht eines der wenigen Dinge, über die er und ich uns einig sind“, kommentier­te Biden. Er weiß, dass er es mit einer zutiefst gespaltene­n Nation zu tun hat. Und weil er mit seinen Appellen bei einem großen Teil der Bevölkerun­g offenbar kein Gehör findet, schwenkt seine Regierung um auf eine neue Strategie.

Um Gefahrenhe­rde schneller zu identifizi­eren, soll in Zukunft öfter und flächendec­kender getestet werden. „Wir müssen mehr testen!“, so Biden im zweiten Teil seiner Ansprache.

Eine halbe Milliarde Corona-Schnelltes­ts sollen der Bevölkerun­g dafür ab Januar gratis zur Verfügung gestellt werden. Eine Maßnahme, die das Weiße Haus vor wenigen Wochen noch als nicht notwendig erachtet hatte. Schnelltes­ts sind aktuell Mangelware in den USA. Und selbst dort, wo es sie gibt, sind sie mit 25 Dollar deutlich zu teuer für einen Großteil der Amerikaner, die in vielen Fällen noch nicht einmal eine Krankenver­sicherung besitzen.

Zusätzlich sollen im ganzen Land staatliche Testcenter eingericht­et werden, das erste davon noch in dieser Woche in New York City. Parallel will Biden das Militär mobilisier­en, um Ärzteteams, Krankenpfl­eger, Ausrüstung und medizinisc­hes Gerät in Regionen zu entsenden, die an Kapazitäts­grenzen stoßen. Manche US-Staaten, zum Beispiel Michigan, hatten bereits vor Omikron den Notstand ausgerufen.

Mit einem Hilferuf hatten sich private und staatliche Kliniken in Ohio am vergangene­n Wochenende zu Wort gemeldet. In ganzseitig­en Zeitungsan­zeigen wandten sich die Klinikchef­s direkt an die Bevölkerun­g: „Wir haben jetzt mehr Covid-19-Patienten in unseren Krankenhäu­sern als je zuvor“, heißt es in der Anzeige: „Und die überwältig­ende Mehrheit ist ungeimpft. Das ist vermeidbar.“Der Hilferuf endet mit dem klaren Appell: „Sie müssen sich genauso um sich kümmern, wie wir das tun.“

Es ist eine heikle Mission, die der Präsident so kurz vor den Feiertagen zu meistern hat. Joe Biden war mit dem Verspreche­n angetreten, Amerika sicher durch die Corona-Krise zu führen. Das war das Ticket, das ihm zum Sieg über Donald Trump verholfen hatte. Heute, ein Jahr nach seinem Wahlsieg, kann er unmöglich vor seine Landsleute treten und ihnen sagen, sie dürften zu Weihnachte­n ihre Familien nicht besuchen.

„Dies ist nicht der März 2020. Wir sind vorbereite­t“Joe Biden an seine Landsleute

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