15 Jahre Haft für Pflegekraft
Eine 52-Jährige hatte in einem Wohnheim in Potsdam vier behinderte Menschen getötet. Der Richter spricht in seiner Urteilsbegründung von einer enormen inneren Wut und erdrückender Arbeitslast bei der Angeklagten.
POTSDAM (dpa) Die 52-Jährige habe abgewartet, bis die Kollegin auf der Station einen anderen Patienten versorgt habe, „um unbemerkt ihren gewaltsamen Plan umzusetzen“: So schildert der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter das Geschehen in dem Potsdamer Behindertenwohnheim am Abend des 28. April dieses Jahres. Die Pflegekraft habe dann vier Morde an wehrlosen Bewohnern verübt, die heimtückisch gewesen seien. Wegen der Morde sowie mehrfacher versuchter Morde und Misshandlung von Schutzbefohlenen hat das Landgericht Potsdam die 52-Jährige am Mittwoch zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Deutsche die vier Bewohner im Alter zwischen 31 und 56 Jahren auf ihren Zimmern mit einem Messer angegriffen und tödlich verletzt hatte. Alle Opfer seien in ihren Betten verblutet. Nach Angaben eines Pathologen waren drei der Todesopfer vollständig und eines halbseitig gelähmt. Eine 43-jährige Bewohnerin überlebte den Angriff nach einer Notoperation. Ein „glücklicher Umstand“, so der Richter, dass die Angeklagte ihr nicht die Halsschlagader durchtrennte.
An dem Tatabend habe „pflegerische Routine“auf der Station geherrscht, so der Richter. Die Angeklagte, die viele Jahre in der Einrichtung des diakonischen Trägers Oberlinhaus gearbeitet hatte, wählte den Spätdienst, wie so häufig, da dieser weniger hektisch sei. „Das kam ihr entgegen“, sagte
Horstkötter. Gegen 16 Uhr habe sie das Abendbrot für die Bewohner zubereitet, gegen 18.30 Uhr eine Raucherpause auf der Dachterrasse gemacht. Nichts sei auffällig gewesen. Doch, so der Richter zu der Angeklagten: „An diesem Tag scheint die Arbeitslast Sie zu erdrücken.“Die „enorme innere Wut“, die die 52-Jährige seit Langem in sich getragen habe, sei aus ihr herausgebrochen.
Erst habe sie versucht, einen Bewohner zu erwürgen und eine Bewohnerin zu erdrosseln, schilderte Horstkötter den Ablauf der Tat. Als dies nicht klappte, habe sie ihr mitgebrachtes Messer geholt. Ein scharfes Keramikmesser, das sie eigentlich zur Selbstverteidigung mit sich geführt habe. Gegen 20.15 Uhr ist dann alles vorbei. Die Angeklagte sei nach Hause gefahren und habe ihrem Mann von der Tat erzählt. Der rief die Polizei.
Eine „emotional instabile Persönlichkeitsstörung“hatte die Gerichtspsychiaterin Cornelia Mikolaiczyk bei der Angeklagten festgestellt. Ihrem Gutachten folgte das Gericht. Aus Sicht der Strafkammer kann sich die Angeklagte in besonderen Belastungsmomenten
nicht angemessen entlasten. Unter Druck komme es zu Impulsen, die in Gewalt ausarteten. Auch in Zukunft sei mit solchen Gewalttaten zu rechnen. Im Prozess hatte die Gutachterin von Gewaltfantasien berichtet, die die Angeklagte immer wieder gehabt habe – gegenüber ihrem behinderten Sohn, gegenüber ihrer Mutter, vor der sie Angst hatte, und gegenüber den Bewohnern und Bewohnerinnen der Einrichtung. Medikamente hatten sie davon abgehalten – bis zum Abend des 28. April.
Es sei schwer erklärlich, wie die
Angeklagte, ein Mensch, der viele Jahre mit Hingabe gepflegt habe, in der Lage sei zu dieser Tat, so Horstkötter. Die Angeklagte wurde von Kollegen als mütterlich, liebevoll und pflichtbewusst beschrieben, die den Bewohnern auch „ein Lächeln aufs Gesicht“zauberte. Ein Impuls für die Tat, so der Richter, sei auch von der hohen Arbeitsbelastung gesetzt worden, die auch Kollegen im Prozess schilderten. Horstkötter sprach von „Angst vor den ZweierDiensten“auf der Station mit zehn schwerst behinderten Bewohnern. Durch die Aufarbeitung der Tat sei das Oberlinhaus nun zu einer besseren personellen Ausstattung gekommen.
Verteidiger Henry Timm überlegt nach eigenen Worten, gegen das Urteil Revision einzulegen. Seine Mandantin sei „erschüttert“über das Urteil, sagte er.