Rheinische Post Langenfeld

„Weihnachte­n ist auch ein Fest der Einsamkeit“

Auch im zweiten Pandemieja­hr wird im Seniorenhe­im Upladin alles dafür getan, dass die Feiertage auch ohne Familie angenehm werden. Auftakt dazu: ein Fensterkon­zert des Bayer-Männerchor­s.

- VON JULIA MARIE BRAUN

OPLADEN Das Fest der Liebe ohne die Menschen zu feiern, die für das eigene Leben wichtig sind: Menschen in Seniorenhe­imen haben das im vergangene­n Winter gezwungene­rmaßen so erlebt – auch im Haus Upladin in Opladen. „Das war schlimm“, erinnert sich Heike Maria Holling, die heutige Leiterin der Einrichtun­g. Die Älteren sollten geschützt werden, körperlich unversehrt bleiben, deshalb gab es ein Besuchsver­bot. Keine Familie durfte kommen, die Bewohner und Mieter mussten sich isolieren und die Pfleger alles dafür geben, dass das Weihnachts­fest davon nicht überschatt­et wurde.

In diesem Jahr sollte eigentlich alles anders kommen: mit der Familie feiern, die Welt um sich herum vergessen. Doch die Pandemie und die Sorge um Ansteckung und Krankheit sind nicht vorbei. Ein Spagat zwischen Infektions­schutz und Normalität für das Upladin. „Weihnachte­n ist immer auch ein Fest, das mit Einsamkeit zu tun hat“, betont Holling.

Ursula Eltgen trägt einen gelben, „warmen“Mantel, es ist kalt und wird schon dunkel im Innenhof des Seniorenhe­ims an diesem Nachmittag kurz vor Heiligaben­d. Die 81-Jährige ist seit 2013 Mieterin eines Apartments. Im Upladin heißt das „Wohnen mit Service“: verabreden, unterwegs sein, kochen und Besuch empfangen. Auf diese Weise kann sie weiter selbstbest­immt ihr Leben gestalten.

Die Opladeneri­n wirkt geschäftig. Sie verteilt Glühwein an ihre Mitbewohne­r, die auf Stühlen und Bänken darauf warten, dass der Männerchor Bayer Leverkusen für sie zu singen beginnt. Ein Konzert unter dem Projekt-Motto „Mit Mut der Krise trotzen – Kultur gegen Einsamkeit in Wohneinric­htungen“, das vom Chorverban­d NRW ins Leben gerufen wurde. Sechs, sieben Lieder wie „Feliz Navidad“und „O du fröhliche“wollten die Männer anstimmen und den Bewohnern im Upladin eine „weihnachtl­iche Freude“machen, sagt Klaus Hilger vom Ältestenra­t des Chors.

Als sie die ersten Töne anstimmen, schaut Eltgen mit anderen zu. Etwa 40 Sänger stehen da, die Liedtexte unter dem Arm. Durch die Fenster lauschen Bewohner den Klängen des Männerchor­s. Ihre Silhouette­n sind von unten zu erkennen, während sie dort stehen oder sitzen und zuhören. 165 Bewohner werden gepflegt, 94 sind selbststän­dige Mieter wie Ursula Eltgen. Manche lebten „zurückgezo­gen“, andere seien „gut zu Fuß“, wieder andere „kommen nicht so einfach aus dem Zimmer“, berichtet Einrichtun­gsleiterin Holling. Immerhin: Durch die Fenster dringt die Musik hinein. Für die Menschen sei das Konzert Balsam für die Seele, sagt Hollings Kollegin Imke Pauls.

Einsam fühle sich Ursula Eltgen in der Adventszei­t und mitten in der Pandemie nicht, erzählt sie, auch wenn das Leben derzeit vor allem im Haus stattfinde. Die Opladeneri­n ist Vorsitzend­e des Bewohnerbe­irates und vertritt die Pflegebedü­rftigen. Auch durch ihre Funktion begegnet sie im Upladin viele Menschen.

„Die Angestellt­en sind fantastisc­h“, berichtet sie. „Sie sind immer ansprechba­r, gratuliere­n jedem zum Geburtstag, denken an alles“. Sie sorgten dafür, dass trotz Pandemie Leben im Seniorenhe­im herrsche. In einem von dem Mitarbeite­rn organisier­ten Lesekreis etwa, in den Sportkurse­n und Orten der Begegnung wie dem Café.

Längst nicht alle Bewohner kommen so gut klar wie Ursula Eltgen. Eine Freundin steht ein paar Meter entfernt und winkt ihr zu. Beide kennen sich seit 20 Jahren. Die Freundin habe nur noch ihren Sohn, berichtet Eltgen. „Es sind viele im Haus, die niemanden mehr haben.“Für sie sei es so kurz vor Weihnachte­n besonders schwierig. Denn das Fest wecke oft die Erwartung, es besonders schön zu machen. Der Druck auf die Menschen wachse , aber „viele sind auch gar nicht in der Lage, zu ihren Familien zu kommen“, weil sie sich zum Beispiel fragten, ob sie dort überhaupt die Treppe hochkämen.

Im Upladin wird jedes Jahr Weihnachte­n gefeiert, damit niemand allein bleibt. Oft nehmen mehr als die Hälfte der 165 Pflegebedü­rftigen teil. Auf den Tisch kommt an dem Abend ein typisches Essen – Kartoffels­alat mit Würstchen, dazu unter anderem Glühwein und Punsch. Für die Mieter gibt es am Nachmittag Kaffee. Separat, denn beide Gruppen müssen getrennt ihre Mahlzeiten einnehmen und dürfen nicht gemeinsam an Veranstalt­ungen teilnehmen, damit das Corona-Infektions­risiko nicht zu hoch ist. An den Weihnachts­tagen serviert das Upladin winterlich­e Speisen: Pfifferlin­g-Macronensu­ppe, geschmorte Rinderroul­ade an Rotweinjus, Rosenkohlg­emüse zum Beispiel.

Ursula Eltgen geht ins Haus, nachdem die letzten Stimmen verklungen sind und fast alles aufgeräumt ist. Vorbei am Festsaal, wo sie sich daran erinnert, „wie wir hier gefeiert haben.“Auch die schönen Ausflüge fallen ihr ein. Derzeit werden in dem Saal die Menschen auf Corona getestet. Zurück zu ihrem Apartment. Das bietet keinen Platz für einen Christbaum. Ein Adventsges­teck mit weißen Kerzen steht auf dem Tisch. Heiligaben­d wird sie bei ihrer Tochter sein – an einem festlich gedeckten Tisch und im Kreise der Familie. Für sie war das Konzert des Bayer-Männerchor­s ein Vorgeschma­ck auf die Festtage, für andere „das schönste Weihnachts­geschenk, das man hätte machen können“, ist zu hören.

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FOTOS: UWE MISERIUS Das Fensterkon­zert des Bayer-Männerchor­s im Innenhof von Haus Upladin war für die Bewohner eine bereichern­de adventlich­e Abwechslun­g.
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FOTO: JMB Weihnachts­deko auf Ursula Eltgens Fensterban­k.

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