Die frohe Botschaft buchstabieren
Die Pfarrerinnen Antje Hedke und Sarah Kannemann predigen dieses Jahr in der Stadtkirche. Eine besondere Herausforderung.
WERMELSKIRCHEN Noch ist das Blatt leer. Auf den Schreibtischen von Antje Hedke und Sarah Kannemann liegen die Notizzettel und Stifte ein paar Tage vor Weihnachten schon bereit. Beide Pfarrerinnen haben sich in den Bibeltext eingelesen, der für den Heiligabendgottesdienst in diesem Jahr vorgeschlagen wird. „Aber ich habe noch nichts geschrieben“, erzählt Pfarrerin Sarah Kannemann am Montagmorgen vor Weihnachten. Kollegin Antje Hedke nickt. Es gebe da ganz unterschiedliche Herangehensweisen, wissen die beiden. „Ich habe einen Kollegen, der kauft sich im Spätsommer die ersten Spekulatius, kocht sich Gewürztee, macht eine Kerze an und beginnt mit seinem Gottesdienst für den Heiligabend“, erzählt Sarah Kannemann.
In Wermelskirchen ist das anders. Aber auch hier spüren die Pfarrerinnen für die Festgottesdienste einen besonderen Erwartungsdruck: „Meine eigene Erwartung an den Gottesdienst ist hoch“, sagt Pfarrer Antje Hedke, „und auch die Menschen kommen doch an Heiligabend mit besonderen Erwartungen in die Kirche.“Und diese Chance wolle man dann auch nicht verstreichen lassen. Größte Herausforderung: Alle sollen für ihr Leben und ihr Fest etwas mit nach Hause nehmen. Das gilt für die Menschen, die jeden Sonntag in die Kirche kommen und denen der Gottesdienst vertraut ist, genauso wie für Besucher, die nur an Weihnachten in die Stadtkirche kommen. „Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass viele jungen Menschen zu Weihnachten zu ihren Eltern nach Hause fahren und vielleicht mit ihnen in die Kirche gehen“, sagt Pfarrerin Kannemann. Eine einmalige Chance. Schließlich sei Kirche sonst „eher etwa milieuverengt“. Junge Menschen kämen selten in die Gottesdienste. „Heiligabend sind sie da“, sagt die Pfarrerin, „und dann wünsche ich mir doch, dass sie etwas Positives mitnehmen und dass sie erleben, dass Kirche relevant und gar nicht langweilig ist.“Also setzen Sarah Kannemann
und Antje Hedke in ihren Gottesdiensten um 16.30 und 18 Uhr eher auf das Gefühl als auf hochtheologische Auslegungen – gleiches gilt auch für die Familienkirche, die an Heiligabend um 14.30 Uhr den Auftakt in der Stadtkirche macht. Im Grunde gehe es darum, jedes Jahr die frohe Botschaft neu zu buchstabieren, sagt Sarah Kannemann: „In das Leben und den Alltag der Menschen hinein.“Das sei natürlich eine
Herausforderung.
Dann müsse man sich zum Beispiel zwischen dem alten Luthertext und dem modernen Text der Basisbibel entscheiden. „Ich glaube allerdings, dass Weihnachten auch viel mit Heimat zu tun hat“, sagt Pfarrerin Hedke, „und die Luthertexte sind vielen Menschen seit ihrer Kindheit vertraut. Das gleiche gilt für die Lieder.“Auch für Menschen, die selten in die Kirche gehen, klingen die Zeilen
dann vertraut: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.“Die alten Texte haben Kraft – ebenso wie die Lieder. Wenn am Ende der Gottesdienste das Licht ausgeschaltet wird, der Weihnachtsbaum leuchtet, die Gemeinde in den Reihen steht und das „Oh du fröhliche“angestimmt wird, sei Weihnachten für viele spürbar und vertraut. Dann sind im besten Fall auch Menschen berührt, die an anderen Tagen eher wenig mit Kirche und Religion zu tun haben.
Und gleichzeitig sitzen in den Reihen der Stadtkirche auch die Besucher, die sich jede Woche mit Bibeltexten und geistlichen Gedanken auseinandersetzen. Kommen sie an Heiligabend zu kurz? „Ich glaube, sie sind darauf eingestellt, dass wir Heiligabend niederschwelliger predigen“, sagt Sarah Kannemann,
„so ging es mir zumindest selbst als Gemeindeglied“. Wer sich eine vertiefende Auslegung wünsche, komme zu den Gottesdiensten an den Weihnachtstagen wieder. Im zweiten Corona-Jahr gebe es übrigens noch eine ganz andere Herausforderung, erinnern die beiden Pfarrerinnen. „Wir wollen auch die Menschen erreichen, die alleine Zuhause sitzen“, sagen sie. Deswegen entstehen in diesen Tagen auch zwei Online-Gottesdienste und eine Hörfassung aus dem Hünger, mit denen die Menschen Zuhause mitfeiern können.
Das leere Papier wird sich also in diesen Tagen füllen. Fest steht: Es geht um den alttestamentlichen Text Micha 5, um Frieden und Sehnsucht und um jenen Moment, in dem die kleine Stadt Betlehem zum Zentrum der Hoffnung werden würde. „Und wenn ich mir dann zu viel Druck mache“, sagt Sarah Kannemann, „dann erinnere ich mich daran, dass ja nicht ich Weihnachten mache.“Kollegin Antje Hedke nickt und sagt: „Das ist die beste Hilfe für überfrachtete Erwartungen: Gott macht Weihnachten.“