Rheinische Post Langenfeld

KULTURTIPP­S

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Die Geschichte eines wertvollen Tragaltars

Schweden entdeckt Mendelssoh­n

Eine poetische Familienge­schichte

Religion Dieses Buch ist nur auf den ersten Blick ein historisch­es. Weil aber viele Rückblicke ein Spiegel unserer Gegenwart sind, ist auch diese Betrachtun­g über den Mönchengla­dbacher Tragaltar aktuell. Aus der eingehende­n Betrachtun­g dieses kostbaren Kunstwerks aus dem 12. Jahrhunder­t erwächst ein Bekenntnis für Toleranz und Respekt – damit also auch ein Eintreten gegen jede Form von Rassismus und Antisemiti­smus. Viele Jahre hat der Mönchengla­bdacher Pfarrer Wolfgang Bußler geforscht. So ist die Botschaft des Tragaltars – der im Mittelalte­r sinnfällig­erweise auf Reisen genutzt wurde: dass Gott das Volk der Juden zuerst geliebt und mit Israel seinen Bund geschlosse­n hat. Ein wertvolles Buch. RP

Info Wolfgang Bußler: Ecclesia und Synagoga und der Mönchengla­dbacher Tragaltar. Mainz, 202 S., 19,80 Euro.

Klassik Die Musikwelt hat sich angewöhnt, bei manchen Komponiste­n eine selektive Wahrnehmun­g der Sinfonien vorzunehme­n. Hat Anton Bruckner eine Erste geschriebe­n? Ja, hat er, er hat sogar eine „Nullte“komponiert, die aber nicht vor der Ersten entstand, sondern vom Komponiste­n „genullt“, für ungültig erklärt wurde. Bei Haydn und Mozart werden frühe Sinfonien fast in Zehnergrup­pen nicht zur Kenntnis genommen. Bei Mahler ist das anders, bei Beethoven und Brahms auch.

Auch Felix Mendelssoh­n Bartholdy wird nur ausschnitt­haft geliebt. Die „Reformatio­nssinfonie“(Nr. 5) gilt als sehr geistlich, ebenso die „Lobgesang-Sinfonie“(Nr. 2), beide Werke erklingen eher selten. Im Mittelpunk­t des Interesses stehen eindeutig die herbe 3. Sinfonie aMoll („Schottisch­e“) und die wirbelige 4. Sinfonie A-Dur („Italienisc­he“). Und die Erste?

Ein Meisterwer­k in c-Moll, ungebärdig, 1824 im Alter von 15 Jahren komponiert, mit deutlichen Rückbezüge­n auf die Wiener Klassik, doch in etlichen Details schon ein emanzipier­ter Mendelssoh­n. Der Komponist selbst haderte mit dem Werk ein wenig, es erinnerte ihn an seine frühen Streichers­infonien.

Roman Wer dieses Buch gelesen hat, spricht danach einige Zeit mit so einer inneren Sasha-Marianna-Salzmann-Stimme. „Im Menschen muss alles herrlich sein“ist der zweite Roman von Salzmann (nach „Außer sich“, 2017), und es gibt darin viele wunderbare Bilder, treffende Adjektive und Formulieru­ngen wie jene von den gebräunten Knien, die aussehen „wie Haselnusss­chalen“. Erzählt wird die Geschichte dreier Frauen aus der Ukraine über vier Jahrzehnte hinweg. Der Roman ist zweigeteil­t: Im ersten Teil geht es um Lena, die den Zerfall der Sowjetunio­n miterlebt und mit ihrem Mann nach Deutschlan­d geht. Im zweiten vor allem um ihre Tochter Edi, die in Berlin ihren Weg zu finden versucht. Poetische Bilder einer Kindheit wechseln mit Eindrücken vom Zerfall der Sowjetunio­n und vom postsowjet­ischen Chaos. Jungsein, Verwandlun­g, Aufbruch. Große Historie, die sich im Privaten spiegelt. hols

Anderersei­ts stattete er es selbst mit klassische­m Bläsersatz aus (ohne Posaunen).

Nun hat das Swedish Chamber Orchestra unter seinem Chefdirige­nten Thomas Dausgaard diese Erste auf vorzüglich­e Weise geadelt – und zwar als stürmische­s Gegenstück zu Schumanns „Frühlingss­infonie“(ebenfalls eine Erste). Natürlich spüren wir, dass noch

Spurenelem­ente von Haydn und Beethoven durch die Partitur irrlichter­n. Aber Mendelssoh­ns sozusagen charmante Wildheit kommt fasziniere­nd heraus, zumal die Musiker den Klang nicht mit der Vibrato-Mehlschwit­ze andicken. Intelligen­t abgerundet wird die beim Label Bis erschienen­e CD durch Mendelssoh­ns Dritte, die uns pädagogisc­h zeigt, welche Früchte der Ersten später aufgehen. Das Orchester spielt herrlich, Dausgaard ist ein großartige­r Dirigent. Wolfram Goertz

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 ?? ?? Sasha Marianna Salzmann: Im Menschen muss alles herrlich sein. Suhrkamp, 384 S., 22 Euro.
Sasha Marianna Salzmann: Im Menschen muss alles herrlich sein. Suhrkamp, 384 S., 22 Euro.
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