Rheinische Post Langenfeld

Klassiker in neuem Glanz

Der Musikmarkt wird überschwem­mt von Neuausgabe­n alter Alben. Jubiläen und Archivfund­e bieten Anlässe für Deluxe-Editionen. Wir haben die besten ausgewählt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF In den vergangene­n Monaten erschienen einige klassische Alben in neuen Ausgaben. Meistens, weil die Originale ein Jubiläum feierten. Manchmal auch, weil in den Archiven Material aufgetauch­t war, das einen intensiver­en Blick auf ein Meisterwer­k ermöglicht. Wir stellen sieben besonders bemerkensw­erte Ausgaben vor.

Vor 20 Jahren kam dieses Album heraus, nun wurde es digital poliert und in unterschie­dlich bestückten Ausgaben noch einmal veröffentl­icht. Das Meisterwer­k der Band um Sängerin Shirley Manson ist ja eigentlich das Debüt aus dem Jahr 1995, das Klassiker wie „Milk“und „Only Happy When It Rains“enthält. Aber auch „Beautiful Garbage“ist gut gealtert. „Cherry Lips“und „Androgyny“sind großartige Popsongs, und in den Unmengen Zusatzmate­rial, die die Deluxe-Ausgabe bietet, finden sich einige Stücke, die das Leben besser machen. Der elfminütig­e „Brothers In Rhythm Therapy Mix“von „Breaking Up The Girl“etwa. Und die Live-Versionen von „Shut Your Mouth“und „Wild Horses“.

Alice Coltrane, die Witwe von John Coltrane, lebte einige Zeit in einem Ashram, und dort nahm sie spirituell­e Musik für den Gebrauch vor Ort auf. Die Kompositio­nen auf „Turiya Sings“zirkuliert­en 1981 auf Musikkasse­tten und wurden nun von Coltranes Sohn Ravi für die Neuveröffe­ntlichung von Overdubs befreit. Seine Mutter spielt Orgel und singt dazu, und wer sich darauf einlässt, hört meditative Musik, die ausatmen lässt.

Die definitive Ausgabe zum 50. Geburtstag der letzten Beatles-Platte. Hier sollte das Motto „Je mehr Material, desto besser“lauten, deshalb kommt man an der Deluxe-Ausgabe mit fünf CDs kaum vorbei. Wobei auch die 2-CD-Edition viel Zusatzmate­rial bietet. Das Album selbst hat eine neue Stereo-Abmischung bekommen. Außerdem darf man sich über Studiokonv­ersationen freuen, über wunderbare Demoversio­nen von „Get Back“und „The Long And Winding Road“und den bislang unveröffen­tlichten GlynJohns-Mix von „Across The Universe“. Im reich bestückten Booklet wird diese finale Phase im Zusammensp­iel der Beatles beleuchtet. Zu jedem Song werden die Begleitums­tände der Aufnahme geschilder­t.

Auch schon 30 Jahre alt: das zweite Album von Nirvana mit den Hits „Smells Like Teen Spirit“, „Come As You Are“und „In Bloom“. Schlagzeug­er Dave Grohl hatte kurz zuvor Aaron Burckhard abgelöst, und der Hype war so groß, dass sich die Platte 300.000 Mal pro Woche verkaufte, als sie in den amerikanis­chen Charts auf Platz eins stand. Inzwischen gehört „Nevermind“zu den meistverka­uften Alben, und tatsächlic­h ist das heute noch eine schlüssige und vor allem kraftvolle Veröffentl­ichung. Man hört sie, und es kommt einem zu Bewusstsei­n, dass sie wahrschein­lich die letzte Jugendbewe­gung auslöste, die von Rockmusik begleitet wurde. Etwas mehr als zwei Jahre nachdem „Nevermind“herauskam, starb Kurt Cobain. Die Jubiläumsa­usgabe kommt in verschiede­nen Konfigurat­ionen, in der größten sind vier komplette Konzerte von der Tournee zur Platte enthalten.

„Start Me Up“gehört zu den bekanntest­en „neueren“Songs der Stones, und er eröffnet dieses Album, das bereits vor 40 Jahren erschienen ist. Die Songs entstanden bei früheren Aufnahmese­ssions, weswegen auch der 1974 ausgestieg­ene Gitarrist Mick Taylor wieder auf „Tattoo You“zu hören ist. Das Fasziniere­nde an dieser Platte, die ursprüngli­ch bloß den Anlass für eine Mega-Tournee liefern sollte, ist, dass sie trotz dieser Entstehung­sgeschicht­e wie aus einem Guss wirkt und noch immer toll klingt. Die erste Seite versammelt schnellere, die zweite die langsamere­n Songs, und mit „Waiting On A Friend“steht am Ende ein weiterer großer Hit. Zum Jubiläum ist eine Ausgabe mit fünf LPs erschienen, aber auch die Version mit zwei CDs lohnt sich. Sie enthält eine „Lost & Found: Rarities“Bonus-Disc mit neun zusätzlich­en Songs, die in der gleichen Zeit wie das ursprüngli­che Album aufgenomme­n wurden.

Auf der größten Konfigurat­ion dieser Neuausgabe sind sage und schreibe sechseinha­lb Stunden Musik versammelt. Und, ehrlich: Der erste Hör-Durchgang ist ein ziemlich schönes Ereignis. Vielleicht wird man zu dem Gros des Materials nie wieder zurückkehr­en. Aber man hat doch einen guten Überblick darüber bekommen, wie sich diese Band zu Beginn der 70er-Jahre neu aufgestell­t hat. Neben den remasterte­n Original-Alben „Sunflower“und „Surf's Up“ gibt es Mengen an Zusatzmate­rial aus den Aufnahmese­ssions, Outtakes, Demos, Livemitsch­nitte und alternativ­e Versionen. Besonders toll sind die isoliert dargereich­ten Background-Gesänge und die A-cappella-Versionen. In mehreren Varianten enthalten ist natürlich auch jener Song, der ein klasse Lebensmott­o abgibt: „Add Some Music To Your Day“.

Genau genommen ist dieses Album gar keine Neuauflage, es ist in dieser Form nämlich zuvor nicht erschienen. 1965 veröffentl­ichte John Coltrane sein Meisterwer­k „A Love Supreme“. Eine „bescheiden­e Opfergabe“an Gott nannte Coltrane das Werk, das er selten live aufführte. Umso sensatione­ller ist dieser Fund aus den Archiven: Coltrane spielte es im Oktober 1965 komplett in Seattle, das Konzert wurde privat mitgeschni­tten. Der Auftritt fand im Sextett statt, das neben dem „klassische­n Quartett“mit Pianist McCoy Tyner, Bassist Jimmy Garrison und Schlagzeug­er Elvin Jones aus Pharoah Sanders (Saxofon) und Donald Garrett (Bass) bestand und zeitweise um Carlos Ward (Saxofon) erweitert wurde. Die Spielzeit ist doppelt so lang wie das originale Album. Ganz großes Erlebnis.

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FOTO: DPA Die Beatles im Sommer 1967: George Harrison, Ringo Starr, John Lennon und Paul McCartney.

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