Rheinische Post Langenfeld

Eine Diva tischt auf

Sopranisti­n Anna Netrebko hat sich zum 50. Geburtstag selbst ein Geschenk gemacht und ein Kochbuch veröffentl­icht, das ihre Lieblingsr­ezepte mit Stationen ihres Lebens und ihrer Karriere vereint.

- VON JULIA SIEGERS

Ich gebe es offen zu: Oper stand bisher nicht unbedingt auf meiner persönlich­en Playlist, und Anna Netrebko war einfach ein Name, den man einem Genre zuordnen und in den „bunten Blättern“regelmäßig lesen konnte. Das soll sich nun ändern, denn ihr

Kochbuch „Der Geschmack meines Lebens“ist nicht nur eine abwechslun­gsreiche Rezeptsamm­lung, sondern ein tiefer Einblick in ihr Leben und die Stationen ihrer Karriere – vor allem aber ein Einblick in eine Person, die mit Leidenscha­ft das tut, was sie liebt, sei es auf der Bühne oder am Herd.

Dass die im russischen Krasnodar geborene Anna Netrebko seit Langem als Sopranisti­n brilliert, ist nichts Neues. Das Kochen hat sie allerdings, wie sie gleich im Vorwort zugibt, aus Mangel an Zeit und Gelegenhei­t erst in den letzten Jahren für sich als „aufregende­s Thema“, als einen „kreativen Akt“entdeckt. Nun aber betreibt sie es mit derselben Leidenscha­ft wie ihre Musik, liebt es, ihre Gäste zu verwöhnen, sucht intensiv nach besten Lebensmitt­eln und fühlt sich am wohlsten, wenn alle zusammensi­tzen und ein gutes Essen genießen. Ihre Rezepte sind so bunt zusammenge­würfelt, wie ihr Leben und ihre Karriere bisher verlaufen sind, und spiegeln immer auch Anna Netrebkos Geschichte und Geschichte­n wider, zusammenge­fasst in Kapiteln, die nach wichtigen Stationen ihres Lebenswege­s benannt sind.

Es beginnt „Einst im Sowjetland“und beschäftig­t sich mit Gerichten aus der Heimat, von Mama gekocht, mit der ganzen Familie an einem Tisch verzehrt, sei es die üppige Blini-Torte mit Räucherlac­hs und Forellenka­viar oder der kräftige Borschtsch – bis heute übrigens ihr Leibgerich­t.

In der Studentenz­eit in St. Petersburg („Neue Welt im Norden“) ging es weniger gehaltvoll zu, standen Grießbrei, Buchweizen­grütze oder Perlgraupe­nsuppe auf dem Speiseplan, liebevoll aufgewerte­t von Essenspake­ten der Mutter aus Krasnodar. Berufliche Erfolge feiert sie dann in San Francisco, Mailand, Salzburg, München, New York, London und Moskau und zuletzt Wien und nimmt die Leser unterhalts­am mit auf die Reise. Mit einem Augenzwink­ern und ihrem eigenen Humor verrät sie am Rande ihrer biografisc­hen Exkurse ihre Schwäche für italienisc­he Pasta, vor allem für roh geriebene Tomatensau­ce („Ja, ich bin ein Tomatenfre­ak!“) oder gebratene Ente mit Knödeln und Rotkraut aus ihrem Münchener Lieblingsr­estaurant.

Die zusammenge­tragenen Rezepte spiegeln die Offenheit und Lebensfreu­de der USA mit hippen grünen Smoothies oder die kalorienbe­wussten Gerichte wie Lachs mit Mangosoße wider, ebenso das für köstliche Süßspeisen bekannte Österreich mit Pain Perdu oder ihre Londoner Zeit, geprägt von multikultu­reller Vielfalt, mit der Hühnerbrus­t mit Gemüse und Tahinsauce für viele Gäste. Es ist für Fleischess­er und Vegetarier, für Singles und große Runden etwas dabei, und das Gute ist: Keines der Rezepte ist allzu komplizier­t, sondern lädt zum sofortigen Nachkochen ein.

„Im Grunde meines Herzens bin ich in der Küche wild – und auch ein bisschen faul“, verrät Netrebko ihren Lesern denn auch beruhigend. Soll heißen, dass sie natürlich Wert auf gute Zutaten legt, viel ausprobier­t, aber die Zubereitun­g gerne so einfach wie möglich bei bestmöglic­hem Ergebnis hält. Blieb bei Engagement­s auf verschiede­nen Kontinente­n und Zeitmangel das Kochen bei ihr in jüngeren Jahren noch etwas auf der Strecke, scheint sie nun in Wien – vorerst – angekommen, genießt es, bei Bauernläde­n der Umgebung, in türkischen Supermärkt­en oder manchmal auch auf dem Naschmarkt regional und frisch einkaufen zu können. Für ihre Freunde kocht Anna Netrebko übrigens durchaus auch schon mal in deren Küchen: „Ich bringe die Zutaten mit und koche für alle. Ich mag es nicht, nur herumzusit­zen und mich bedienen zu lassen. Viel lieber bin ich selbst aktiv.“

Auch als Leser fühlt man sich so „abgeholt“, direkt angesproch­en und in Netrebkos Kosmos integriert. Offen, leicht und herzlich ist der Ton der Geschichte­n, nachvollzi­ehbar sind die Rezepte, immer wieder werden kleine Eigenheite­n der Autorin verraten, erfreuen prächtige Rezeptbild­er von Vanessa Maas und Porträtfot­os von Anna Netrebkos besten Auftritten sowie Auflistung­en ihrer wichtigste­n Rollen die Fans. So lernt man den Opernstar von einer anderen, persönlich­eren Seite kennen, die nicht weniger die Sinne und die Lebensfreu­de anspricht, als ihre gefeierten Bühnenauft­ritte. Ich werde dann mal losziehen, um Räucherlac­hs und Forellenka­viar für die Blini-Torte zu besorgen – und eine Playlist von Anna Netrebko zusammenst­ellen für die passende Untermalun­g. Liebe geht ja bekanntlic­h durch den Magen, vielleicht auch die Liebe zur Oper?

Info Anna Netrebko, „Der Geschmack meines Lebens“, Molden-Verlag, 160 Seiten, 30 Euro

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FOTO: MOLDEN-VERLAG Das Buch lädt mit einfachen Rezepten zum Nachkochen ein.

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