Eine Diva tischt auf
Sopranistin Anna Netrebko hat sich zum 50. Geburtstag selbst ein Geschenk gemacht und ein Kochbuch veröffentlicht, das ihre Lieblingsrezepte mit Stationen ihres Lebens und ihrer Karriere vereint.
Ich gebe es offen zu: Oper stand bisher nicht unbedingt auf meiner persönlichen Playlist, und Anna Netrebko war einfach ein Name, den man einem Genre zuordnen und in den „bunten Blättern“regelmäßig lesen konnte. Das soll sich nun ändern, denn ihr
Kochbuch „Der Geschmack meines Lebens“ist nicht nur eine abwechslungsreiche Rezeptsammlung, sondern ein tiefer Einblick in ihr Leben und die Stationen ihrer Karriere – vor allem aber ein Einblick in eine Person, die mit Leidenschaft das tut, was sie liebt, sei es auf der Bühne oder am Herd.
Dass die im russischen Krasnodar geborene Anna Netrebko seit Langem als Sopranistin brilliert, ist nichts Neues. Das Kochen hat sie allerdings, wie sie gleich im Vorwort zugibt, aus Mangel an Zeit und Gelegenheit erst in den letzten Jahren für sich als „aufregendes Thema“, als einen „kreativen Akt“entdeckt. Nun aber betreibt sie es mit derselben Leidenschaft wie ihre Musik, liebt es, ihre Gäste zu verwöhnen, sucht intensiv nach besten Lebensmitteln und fühlt sich am wohlsten, wenn alle zusammensitzen und ein gutes Essen genießen. Ihre Rezepte sind so bunt zusammengewürfelt, wie ihr Leben und ihre Karriere bisher verlaufen sind, und spiegeln immer auch Anna Netrebkos Geschichte und Geschichten wider, zusammengefasst in Kapiteln, die nach wichtigen Stationen ihres Lebensweges benannt sind.
Es beginnt „Einst im Sowjetland“und beschäftigt sich mit Gerichten aus der Heimat, von Mama gekocht, mit der ganzen Familie an einem Tisch verzehrt, sei es die üppige Blini-Torte mit Räucherlachs und Forellenkaviar oder der kräftige Borschtsch – bis heute übrigens ihr Leibgericht.
In der Studentenzeit in St. Petersburg („Neue Welt im Norden“) ging es weniger gehaltvoll zu, standen Grießbrei, Buchweizengrütze oder Perlgraupensuppe auf dem Speiseplan, liebevoll aufgewertet von Essenspaketen der Mutter aus Krasnodar. Berufliche Erfolge feiert sie dann in San Francisco, Mailand, Salzburg, München, New York, London und Moskau und zuletzt Wien und nimmt die Leser unterhaltsam mit auf die Reise. Mit einem Augenzwinkern und ihrem eigenen Humor verrät sie am Rande ihrer biografischen Exkurse ihre Schwäche für italienische Pasta, vor allem für roh geriebene Tomatensauce („Ja, ich bin ein Tomatenfreak!“) oder gebratene Ente mit Knödeln und Rotkraut aus ihrem Münchener Lieblingsrestaurant.
Die zusammengetragenen Rezepte spiegeln die Offenheit und Lebensfreude der USA mit hippen grünen Smoothies oder die kalorienbewussten Gerichte wie Lachs mit Mangosoße wider, ebenso das für köstliche Süßspeisen bekannte Österreich mit Pain Perdu oder ihre Londoner Zeit, geprägt von multikultureller Vielfalt, mit der Hühnerbrust mit Gemüse und Tahinsauce für viele Gäste. Es ist für Fleischesser und Vegetarier, für Singles und große Runden etwas dabei, und das Gute ist: Keines der Rezepte ist allzu kompliziert, sondern lädt zum sofortigen Nachkochen ein.
„Im Grunde meines Herzens bin ich in der Küche wild – und auch ein bisschen faul“, verrät Netrebko ihren Lesern denn auch beruhigend. Soll heißen, dass sie natürlich Wert auf gute Zutaten legt, viel ausprobiert, aber die Zubereitung gerne so einfach wie möglich bei bestmöglichem Ergebnis hält. Blieb bei Engagements auf verschiedenen Kontinenten und Zeitmangel das Kochen bei ihr in jüngeren Jahren noch etwas auf der Strecke, scheint sie nun in Wien – vorerst – angekommen, genießt es, bei Bauernläden der Umgebung, in türkischen Supermärkten oder manchmal auch auf dem Naschmarkt regional und frisch einkaufen zu können. Für ihre Freunde kocht Anna Netrebko übrigens durchaus auch schon mal in deren Küchen: „Ich bringe die Zutaten mit und koche für alle. Ich mag es nicht, nur herumzusitzen und mich bedienen zu lassen. Viel lieber bin ich selbst aktiv.“
Auch als Leser fühlt man sich so „abgeholt“, direkt angesprochen und in Netrebkos Kosmos integriert. Offen, leicht und herzlich ist der Ton der Geschichten, nachvollziehbar sind die Rezepte, immer wieder werden kleine Eigenheiten der Autorin verraten, erfreuen prächtige Rezeptbilder von Vanessa Maas und Porträtfotos von Anna Netrebkos besten Auftritten sowie Auflistungen ihrer wichtigsten Rollen die Fans. So lernt man den Opernstar von einer anderen, persönlicheren Seite kennen, die nicht weniger die Sinne und die Lebensfreude anspricht, als ihre gefeierten Bühnenauftritte. Ich werde dann mal losziehen, um Räucherlachs und Forellenkaviar für die Blini-Torte zu besorgen – und eine Playlist von Anna Netrebko zusammenstellen für die passende Untermalung. Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen, vielleicht auch die Liebe zur Oper?
Info Anna Netrebko, „Der Geschmack meines Lebens“, Molden-Verlag, 160 Seiten, 30 Euro