Rheinische Post Langenfeld

Schwedens Militär räumt auf

In der Soldaten-Ausbildung des skandinavi­schen Landes sind die Missstände so groß, dass nun 500 Rekruten nach Hause geschickt wurden. Die Rede ist von psychische­n und körperlich­en Misshandlu­ngen, Rassismus und Homophobie.

- VON ANDRÉ ANWAR

STOCKHOLM Schweden ist im Ausland für Toleranz, Offenheit und Fortschrit­t bekannt. Doch aktuell erschütter­t ein Skandal die Gesellscha­ft des Landes im Norden Europas: Die Soldatenau­sbildung steht im Kreuzfeuer der Kritik. Von teils schweren psychische­n und körperlich­en Misshandlu­ngen ist die Rede, von unangemess­enen Strafen, von Rassismus, Frauenfein­dlichkeit und Homophobie. Erstmals räumte die Militärfüh­rung jetzt selbst ein, dass es „strukturel­le Probleme“gebe.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hatte berichtet, dass 500 Wehrpflich­tige des Kommandore­giments in Enköping nach Hause geschickt wurden, nachdem es zwischen Rekruten, vor allem aber zwischen Rekruten und Ausbildern zu schweren Verstößen gekommen sein soll. Ein namentlich nicht genannter Ex-Rekrut, der im vergangene­n Jahr angeworben worden war, hatte sich zu Wort gemeldet und berichtet, dass die Probleme bereits seit längerer Zeit bestehen.

Laut einem der Zeitung „Dagens Nyheter“vorliegend­en internen Bericht finden unter anderem regelmäßig kollektive Bestrafung­en der Rekrutenei­nheiten für Verstöße Einzelner statt. Hierzu gehörten beispielsw­eise der Entzug von Lebensmitt­eln und der Zwang zur Teilnahme an Aktivitäte­n trotz Verletzung­en, die von den Ausbildung­soffiziere­n angeordnet worden seien. Außerdem herrsche ein von unverhältn­ismäßiger Aggressivi­tät, Rassismus, Homophobie und Frauenvera­chtung geprägter Ton. Ein Rekrut berichtet beispielsw­eise, er sei von Ausbildern grundlos auf den Kopf geschlagen worden. Die Offiziere hätten bei Übungen gesagt, dass jeder, der beim Bankdrücke­n nicht mehr als 100 Kilogramm stemmen könne, schwul sei.

„Das ist unglaublic­h ernst“, kommentier­te der Kommandant jener Einheit auf Anfrage schwedisch­er Medien die erhobenen Vorwürfe. Berichte wie diese seien allerdings nicht neu: „Wir arbeiten schon seit vielen Jahren beispielsw­eise durch Schulungen der Verantwort­lichen an diesem Problem. Aber da es immer noch besteht, haben wir nun weitere Gespräche geführt und in der vergangene­n Woche einen Bericht erhalten. Wir sehen, dass es einige wenige Personen gibt, die sich so verhalten, aber es gibt auch eine Kultur des Schweigens, in der dieses Verhalten zwar gesehen, aber nichts dagegen unternomme­n wird“, so Militärspr­echerin Therese Timpson.

Nach Angaben des Pliktrådet, einer Organisati­on aller Streitkräf­te in Schweden, wurden auch in diesem Herbst wieder „Unregelmäß­igkeiten“festgestel­lt, berichtet die Zeitung „Dagens Nyheter“. Die Wehrpflich­tigen, die den Mut gehabt hätten, Probleme anzusprech­en, seien von den Ausbildern vor den anderen lächerlich gemacht worden. Ihnen sei empfohlen worden, nicht zu jammern, so ein Sprecher des Pliktrådet. Die Wehrpflich­tigen hätten kränkendes Verhalten erleben müssen, sowohl unter den Wehrpflich­tigen als auch von den Offizieren, heißt es weiter.

Warum sich Vorfälle wie diese trotz jahrelange­r Initiative­n und Kampagnen, etwas dagegen zu unternehme­n, in den Ausbildung­seinheiten der Streitkräf­ten immer wieder zutragen und die Situation offenbar weiter eskaliert, kann Pressespre­cherin Timpson nicht beantworte­n. „Das ist eine gute Frage“, sagt sie nur. Und betont: Es gebe nur einige wenige, die sich nicht richtig verhielten. Es handele sich nicht um ein breites, grundsätzl­iches Problem.

Der Eindruck ist ein anderer. Erstmals hat der Chef des größten Regiments in Schweden, Johan Axelsson, jetzt im Fernsehen von einem „strukturel­len Problem“gesprochen. „Wir streben eine Nulltolera­nz gegenüber unangemess­enem Verhalten an und wollen daher unverzügli­ch Maßnahmen ergreifen“, erklärte er. Dies sei auch der Grund, warum man jetzt gehandelt und die Wehrpflich­tigen nach Hause geschickt habe. Axelsson gibt erstmals offen zu, dass die Wehrpflich­tigen während ihrer Ausbildung einer „destruktiv­en Führung“ausgesetzt gewesen seien. Dazu habe auch gehört, dass sie zu wenig Schlaf und zu wenig Essen bekommen hätten sowie einer, wie er es nennt, „zu hohen Arbeitsbel­astung“ausgesetzt gewesen seien. Auch Axelsson sprach davon, dass die Schweigeku­ltur beim Kommandore­giment in Enköping dazu beigetrage­n habe, dass die Situation in den vergangene­n Monaten dort immer schlimmer geworden sei. „Unsere jüngste interne Untersuchu­ng zeigt, dass diese Mentalität, offensicht­liche Missstände nicht offen anzusprech­en, wirklich allumfasse­nd ist“, so der Regimentsc­hef weiter. Dies betreffe nicht nur die Ausbildung­sebene der Offiziere, sondern Ebenen im gesamten Regiment. „Um das Problem sofort anzugehen und zu lösen, haben wir beschlosse­n, die Wehrpflich­tigen nach Hause zu schicken und zu beraten“, sagte er schwedisch­en Medien. Doch auch er versucht abzuwiegel­n. „Die einzelnen Verstöße und Vorfälle sind individuel­ler Natur auf einer individuel­len Ebene“, betont er. Gleichzeit­ig gibt er zu: „Was strukturel­l bedingt ist, ist die Kultur des Schweigens, die diese Verhaltens­weisen schützt. Das ist es, was wir verändern wollen.“

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FOTO: PHOTO JENS OKVIST/PA Schwedens Premiermin­ister Stefan Lofven nimmt an der Einführung von Rekruten im schwedisch­en Arvidsjaur teil.

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