„Stechuhr“im Job hat Vor- und Nachteile
Wenn Privat- und Berufsleben zunehmend verschwimmen, soll eine Zeiterfassung der Entgrenzung der Arbeitszeit Einhalt gebieten. Aber wie sind die Regeln? Und ist das für Beschäftigte immer das Beste?
Im Homeoffice arbeiten Beschäftigte oft länger als ihr Arbeitsvertrag vorsieht – und dieses Problem dürfte sich während der Corona-Krise verstärkt haben. Laut Hannes Zacher, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig, hätten Menschen im Homeoffice mehr gearbeitet als nötig – und das zu „unmöglichen Zeiten“.
Eine Zeiterfassung im Betrieb kann eine Entgrenzung der Arbeitszeit mit überlangen Arbeitstagen und ausgefallenen Pausen verhindern. Die rechtliche Grundlage dafür ist allerdings etwas kompliziert, denn eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur minuziösen Arbeitszeiterfassung gibt es nicht. Im Arbeitszeitgesetz ist lediglich vorgeschrieben, dass Mehrarbeit erfasst werden muss. „Jedenfalls ist das die derzeit vorherrschende Meinung“, sagt Doris-Maria Schuster, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein.
2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil (Az. C-55/18) entschieden, dass Arbeitszeiten durch technische Vorgaben kontrolliert werden müssen. Demnach sind die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, ein System zu errichten, in dem nachvollziehbar und fälschungssicher die Arbeitszeiten von Mitarbeiter erfasst werden. Passiert sei bisher aber nichts, sagt Schuster. Sprich: In Deutschland ist bislang nicht entschieden, ob diese Entscheidung in Form eines nationalen Gesetzes umgesetzt werden muss.
Dabei kann eine Arbeitszeiterfassung Beschäftigte schützen. „Für die Arbeitnehmer ist eine Arbeitszeiterfassung nicht nur nachteilig“, sagt die Fachanwältin für Arbeitsrecht. So ließe sich leicht erkennen, wer stets im Grenzbereich arbeitet, also Überstunden schiebt, und gezielt gegensteuern. Und solche Systeme würden denjenigen
Struktur bieten, die selbst dazu neigen, Arbeit zu entgrenzen. „Es wird eine Grenze gezogen zwischen Arbeit und Freizeit oder Familie“, sagt Hannes Zacher.
Gleichzeitig gibt es Kritik am System der Arbeitszeiterfassung. In der Tat wird damit genau erfasst, ob man zu spät kommt, länger Pause macht oder früh in den Feierabend
verschwindet: „Man ist transparenter als Mitarbeiter“, sagt Doris-Maria Schuster. Ihrer Ansicht nach dient die Arbeitszeiterfassung aber vorwiegend dem Gesundheitsschutz und weniger einem übertriebenen Kontrollbedürfnis der Arbeitgeber.
Wie sinnvoll ein solches System ist, sei von der Branche abhängig, findet Psychologe Zacher. Ihm zufolge ist die Arbeitszeiterfassung generell von Misstrauen geprägt: „Die Zeit wird erfasst, weil Unternehmen nicht davon ausgehen, dass die Menschen von sich aus die Arbeitszeit leisten, die sie leisten sollen.“
Die Forschung rät laut Zacher, eher ergebnis- als zeitorientiert zu arbeiten. Unternehmen sollten ihren Angestellten Vertrauen schenken und davon ausgehen, dass sie dazulernen und ihre Aufgabe gut erledigen wollen. „Wenn sie die Ziele erreicht haben, ist es in Ordnung, eine Stunde früher nach Hause zu gehen“, sagt er.
In manchen Unternehmen gebe es schon so etwas wie eine Vertrauensarbeitszeit. Allerdings sei diese nur schwer mit den Vorgaben des EuGH in Einklang zu bringen, gibt die Juristin zu bedenken.