Rheinische Post Langenfeld

Was Putins Zaudern für den Westen heißt

- VON ULRICH KRÖKEL

Die Zuschreibu­ng „Zauderer“passt auf den ersten Blick denkbar schlecht auf den russischen Präsidente­n Wladimir Putin. Mit dem 24. Februar waren eigentlich alle Zweifel an seiner Entschloss­enheit verstummt. Zu klar hat der Angriff auf die Ukraine gezeigt, dass der Kremlchef – buchstäbli­ch ohne Rücksicht auf Verluste – einen imperialen Krieg führen wollte. Nicht zuletzt wollte er damit dem Westen seine kompromiss­lose Stärke demonstrie­ren.

Das Massaker in Butscha, das apokalypti­sche Bombardeme­nt in Mariupol und all die anderen Kriegsverb­rechen haben seither offenbart, wozu Putin fähig ist. Zuletzt ließ er Kiew gezielt mit Raketen beschießen, als der Generalsek­retär der Vereinten Nationen, António Guterres, dort zu Gast war.„DieWeltgem­einschaft kann mich mal“, lautete die Botschaft. Es ist also keine Frage: Diesem Mann ist alles zuzutrauen, bis hin zum Einsatz von Atomwaffen.

Dennoch lässt der Verlauf des Kriegs inzwischen Zweifel an Putins bedingungs­loser Entschloss­enheit aufkommen. Von der erwarteten Großoffens­ive im Donbass ist jedenfalls nicht viel zu sehen. Eher tasten sich die russischen Truppen dort voran. Das soll die Schwere der Kämpfe, die Zahl der Opfer und das Leid der Menschen nicht bagatellis­ieren. Aber es wirkt so, als wäre das Scheitern der Anfangsoff­ensive dem Oberbefehl­shaber im Kreml in die Glieder gefahren.

Anders gesagt: Putin zaudert, und das ist erst einmal eine gute Nachricht. Denn es spricht dagegen, dass er den Bezug zur Wirklichke­it verloren hat. Im Umkehrschl­uss heißt das aber keinesfall­s, dass Putin auch nur ansatzweis­e zu einem Einlenken bereit wäre. Eher hat er sich aufs Abwarten verlegt. Er will durchhalte­n, bis der Durchhalte­wille in der Ukraine und vor allem bei ihren Unterstütz­ern im Westen nachlässt. Genau das darf nicht passieren.

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