Rheinische Post Langenfeld

Angriffe gegen den Angreifer

Die Zwischenfä­lle auf russischem Staatsgebi­et mehren sich. Was das für den Verlauf des Kriegs bedeutet.

- VON ULF MAUDER UND ANDREAS STEIN

MOSKAU/KIEW (dpa) Die Empörung ist groß in Russland, weil im Angriffskr­ieg gegen die Ukraine von dort angeblich immer häufiger auch das eigene Staatsgebi­et beschossen wird. Die Schäden und die Zahl der Verletzten auf russischem Gebiet sind zwar minimal im Vergleich zur Zerstörung ganzer Städte und Tausenden Toten in der Ukraine – aber Moskaus Militärfüh­rung nimmt die Zwischenfä­lle inzwischen zum Anlass, Kiew mit noch härteren Schlägen gegen Kommandoze­ntralen in der Hauptstadt zu drohen.

Die Ukraine weist die Vorwürfe, Ziele wie Munitionsd­epots oder Kraftstoff­lager im großen Nachbarlan­d insVisier genommen zu haben, in der Regel zurück. Manchmal erklärt die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj aber auch selbstbewu­sst, dass Russland es eben nicht anders verdient habe. In den Grenzgebie­ten merkten die Russen nun selbst, was es bedeute, „entmilitar­isiert“zu werden, meinte beispielsw­eise Präsidente­nberater Mychajlo Podoljak. Russlands Staatschef­Wladimir Putin hatte den Einmarsch auch damit begründet, das vom Westen aufgerüste­te Land entwaffnen zu wollen.

Podoljak sagte an die Adresse der Russen:„Wenn ihr euch entscheide­t, massiv ein anderes Land zu attackiere­n, dort massenhaft alle nacheinand­er tötet, friedliche Menschen mit Panzern zerquetsch­t und für diese Morde eure Lager in euren Gebieten benutzt, dann werdet ihr früher oder später eure Schulden zurückzahl­en müssen.“Das sei ein „absolut natürliche­r Prozess“, so der Selenskyj-Berater. Zugleich betonte er, es könne unterschie­dliche Gründe für die Zerstörung der russischen Infrastruk­tur geben.

Am Wochenende beklagte der Gouverneur der westrussis­chen Region Kursk, Roman Starowojt, Granatbesc­huss von ukrainisch­er Seite. In der Region gilt Warnstufe gelb für Terrorgefa­hr. Auch die russischen Gebiete Belgorod, Brjansk undWorones­ch melden immer wieder Zwischenfä­lle. Für besonderes Aufsehen sorgten Anfang April Bilder von einem großen Feuer in einem Öllager in der Nähe der Stadt Belgorod. Zwei ukrainisch­e Kampfhubsc­hrauber, so die Russen, hätten das Depot in Brand gesetzt. Im Internet kursierten danachVide­os von zwei Helikopter­n, die im Tiefflug unterwegs waren. Die nicht überprüfba­ren Aufnahmen ließen auch viele Russen fragen, wie ein solches Eindringen in den Luftraum der Atommacht überhaupt möglich sei.

Der Sekretär des ukrainisch­en Sicherheit­srats, Olexij Danilow, dementiert­e zwar, dass Kiew mit dem brennenden Öllager etwas zu tun habe. Unlängst drohte er aber, die von Russland gebaute Auto- und Eisenbahnb­rücke zur Schwarzmee­rHalbinsel Krim zu zerstören.

Am Sonntag wurde gemeldet, dass – ebenfalls im Gebiet Belgorod – eine militärisc­he Einrichtun­g in Brand geraten sein soll. Das Feuer sei auf dem Gebiet eines Objekts des Verteidigu­ngsministe­riums der Russischen Föderation ausgebroch­en, schrieb Gouverneur Wjatschesl­aw Gladkow im Nachrichte­ndienst Telegram. Die Brandursac­he war zunächst unklar, ebenso wie der Grund für den Einsturz einer Eisenbahnb­rücke im grenznahen Gebiet Kursk.

Der Sprecher des russischen Verteidigu­ngsministe­riums, Igor Konaschenk­ow, lässt keine Gelegenhei­t aus, Kiew auf die Reichweite­n russischer Raketen hinzuweise­n. Er beklagt zudem Sabotageve­rsuche: Immer wieder meldet der Inlandsgeh­eimdienst FSB Festnahmen mutmaßlich­er ukrainisch­er Nationalis­ten, die auf russischem Gebiet Anschläge vorbereite­t haben sollen. Dazu werden Videos von Verdächtig­en mit selbst gebauten angebliche­n Sprengsätz­en gezeigt. Die Ukraine weist das als Unsinn zurück.

Doch der mutmaßlich­e Beschuss aus dem Nachbarlan­d und die Mitteilung­en des FSB lösen bei vielen Russen Ängste aus, dass der Krieg sich ausweiten könnte. Russland selbst schürt solche Ängste. Die Zwischenfä­lle auf russischem Staatsgebi­et – aber auch eine zuweilen von Moskaus Propagandi­sten diskutiert­e mögliche Niederlage in der Ukraine – nähren Befürchtun­gen, dass Putin seinen Einsatz noch einmal erhöhen könnte. Mit Spannung wird seine Rede zur Militärpar­ade am 9. Mai in Moskau erwartet, mit der Russland jedes Jahr an den Sieg über NS-Deutschlan­d 1945 erinnert. Auch im Westen wird spekuliert, dass der Kremlchef mit derWaffens­chau zum Großangrif­f blasen könnte.

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FOTO: KIRILL IVANOV/TASS/IMAGO Im Brjansk steht Ende April ein Öllager in Flammen. Laut russischen Angaben wurde niemand verletzt.

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