Rheinische Post Langenfeld

Die Krise nach dem Kavala-Urteil

Ankara wirft Berlin vor, türkische Regierungs­gegner zu finanziere­n. Grund für das Zerwürfnis ist das Urteil gegen den Kulturförd­erer, der wegen eines angebliche­n Umsturzver­suches zu lebenslang­er Haft verurteilt wurde.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ISTANBUL Noch vor ein paar Wochen beschworen Bundeskanz­ler Olaf Scholz und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Verbundenh­eit beider Länder – jetzt gibt es neuen Krach. Ankara wirft Deutschlan­d vor, türkische Regierungs­gegner zu finanziere­n und zu steuern. Türkische Opposition­sparteien würden auf Befehl Deutschlan­ds handeln, sagt Außenminis­ter Mevlüt Çavusoglu. Regierungs­politiker und regierungs­nahe Medien in der Türkei nehmen vor allem den deutschen Botschafte­r in Ankara, Jürgen Schulz, als angebliche­n Strippenzi­eher ins Visier. Antiwestli­cheVerschw­örungstheo­rien gehören zum Programm der Regierung ein Jahr vor den nächsten Wahlen – der Streit könnte deshalb weiter eskalieren.

Das neue Zerwürfnis begann vorige Woche damit, dass das Auswärtige Amt in Berlin den türkischen Botschafte­r in Deutschlan­d, Ahmet Basar Sen, einbestell­te, um gegen das Urteil gegen den türkischen Kulturförd­erer Osman Kavala zu protestier­en. Ein Gericht in Istanbul hatte Kavala wegen eines angebliche­n Umsturzver­suches zu lebenslang­er Haft verurteilt, obwohl das Europäisch­e Menschenre­chtsgerich­t seine Freilassun­g verlangt. Wegen des Falles läuft im Europarat ein Ausschluss­verfahren gegen die Türkei, die als Mitglied des Rates verpflicht­et ist, sich an Urteile des Menschenre­chtsgerich­ts zu halten.

Erdogan und seine Regierung erkennen die Hoheit des Europäisch­en Gerichtsho­fs bei Kavala nicht an. Der Fall sei mit der Verurteilu­ng abgeschlos­sen, das Einspruchs­recht des Menschenre­chtsgerich­ts habe sich „erledigt“, sagte Erdogan. Deutschlan­d und andere europäisch­e Länder sehen das anders und kritisiere­n den Umgang mit Kavala als Zeichen dafür, dass die Justiz in der Türkei der Regierung dient.

Kurz nach der Einbestell­ung Sens in Berlin wurde der deutsche Botschafte­r Schulz ins türkische Außenminis­terium in Ankara zitiert, um sich den Protest der türkischen Regierung gegen das Verhalten der Bundesregi­erung abzuholen: Berlin habe ein türkisches Gerichtsur­teil nicht zu kritisiere­n.

Schulz dabei ist ein Buhmann für Regierung und regierungs­nahe Medien in der Türkei: Sie unterstell­en ihm, bei der Bildung eines Opposition­sbündnisse­s gegen Präsident Erdogan mitgewirkt zu haben. Innenminis­ter Süleyman Soylu erklärte vor Kurzem, eine gemeinsame Erklärung von sechs Opposition­sparteien, die bei der Parlaments- und Präsidents­chaftswahl im kommenden Jahr gegen Erdogans Regierungs­bündnis antreten wollen, sei mit einem ausländisc­hen Botschafte­r in Ankara abgesproch­en worden. Soylu sprach von europäisch­en und amerikanis­chen Einmischun­gsversuche­n, nannte aber keinen Namen. Die regierungs­nahe Zeitung „Yeni Safak“berichtete kurz darauf, der fragliche Botschafte­r sei Schulz gewesen. Die deutsche Botschaft in Ankara dementiert­e.

Trotzdem facht die Regierung das Gerücht von den angebliche­n deutschen Befehlen an die türkische Opposition weiter an. Bei einem Auftritt in seiner Heimatprov­inz Antalya spielte Außenminis­ter Çavusoglu auf den Vorwurf an, Kavala habe im Auftrag ausländisc­her Kräfte die regierungs­feindliche­n Gezi-Proteste von 2013 angezettel­t. Obwohl es keine Beweise gibt, war Kavala vorigeWoch­e deshalb verurteilt worden.

Warum wohl sorge sich das Ausland so sehr um Kavala, fragte Çavusoglu in seiner Rede, und beantworte­te die Frage selbst: „Weil sie Geld geben, weil sie Leute benutzen. Sie benutzen diese Art von Leuten, um sich in der Türkei einzumisch­en.“Sein Ministeriu­m habe Botschafte­r Schulz klargemach­t, dass er sich nicht in die türkische Innenpolit­ik einzumisch­en habe. „Aber wie man sieht, geben die hier bestimmten Parteien Befehle, um sie entspreche­nd auszuricht­en und die türkische Innenpolit­ik zu lenken.“

Schon in früheren Wahlkämpfe­n hatte Erdogans Regierung gegen den Westen ausgeteilt, um nationalis­tische Wähler zu beeindruck­en. Kurz vor der türkischen Volksabsti­mmung über die Einführung von Erdogans Präsidials­ystem 2017 warf der türkische Präsident der damaligen Bundeskanz­lerin Angela Merkel „Nazi-Methoden“vor, weil Deutschlan­d und andere EU-Staaten keine Wahlkampfa­uftritte türkischer Politiker erlaubten. Vor der Parlaments­und Präsidents­chaftswahl 2018 zog Erdogan gegen Österreich vom Leder, das einen Krieg zwischen westlichen„Kreuzzügle­rn“und der islamische­n Welt provoziere­n wolle.

Nicht alle Staaten müssen mit Erdogans Zorn rechnen. Auf Wunsch Saudi-Arabiens und mit Ermutigung von Erdogans Regierung stellte ein türkisches Gericht vorigen Monat das Istanbuler Strafverfa­hren gegen die mutmaßlich­en Mörder des saudischen Journalist­en Jamal Khashoggi ein. Erdogan konnte daraufhin vorige Woche nach SaudiArabi­en reisen, um einen Neubeginn in den Beziehunge­n zu dem Königreich zu besiegeln.

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FOTO: YASIN AKGUL/AFP Viele Menschen protestier­en gegen das Kavala-Urteil, so wie in Istanbul einen Tag nach der Verkündung.

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