Rheinische Post Langenfeld

Das Königshaus der digitalen Welt

Die Großfamili­e von Kim Kardashian, diese Wirtschaft­smacht der sozialen Medien, lässt ihren Alltag wieder von der Kamera beobachten. Jede Episode der neuen Serie ist eine ziemlich amüsante Lektion in Aufmerksam­keitsökono­mie.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

In einer der schrägsten Szenen reist Kourtney, die älteste der Kardashian-Schwestern, im Tourbus der amerikanis­chen Rock-Band Blink-182 zur In-vitro-Fertilisat­ion. Ihr Verlobter sitzt bei der Gruppe am Schlagzeug, er heißt Travis Barker und ist derart weitflächi­g tätowiert, dass sein Gesicht wie das eines hageren Monchichis wirkt, nur dass es nicht von Fell gerahmt wird, sondern von Tinte. Das Paar betritt die Arztpraxis in schwarzen Skelettkos­tümen, und Kourtney verspricht, Travis behilflich zu sein, als der ein Becherchen gereicht bekommt, um seinen Beitrag zur Behandlung zu leisten. Fasziniert sieht die Kamera zu, wie das Paar mit Kinderwuns­ch zu schmusen beginnt. Dann blickt Kourtney die Zuschauer an und sagt: „Ihr müsst jetzt leider gehen.“

„The Kardashian­s“heißt diese Serie, die nun bei Disney+ läuft, und sie ist die Fortsetzun­g einer Produktion, die die populäre Kultur verändert hat. „Keeping Up With The Kardashian­s“heißt die ursprüngli­che Reihe, die von 2007 an über 20 Staffeln lief und das Leben jener Familie dokumentie­rte, die heute so etwas wie das Königshaus der digitalen Welt ist. Zunächst beobachtet­e man sie beim Berühmtwer­den, dann beim Markenaufb­au, nun beimVerwal­ten von Ruhm und Vermögen. Kim Kardashian heiratete den Hip-Hop-Superstar KanyeWest und ließ sich von ihm scheiden. Kylie wurde mit ihrer Kosmetikli­nie zur Milliardär­in. Kendall zum bestbezahl­ten Model der Welt. Khloe und Kourtney machen in Mode, Lifestyle und/oder Modeln. Und gefördert und gefordert werden alle von ihrer Mutter, „Momager“Kris Jenner.

In ihrem Buch „Trick Mirror“schreibt die Essayistin Jia Tolentino über das Internet: „Es hat ein Ökosystem errichtet, das auf der Ausbeutung von Aufmerksam­keit und der Monetarisi­erung des Ichs basiert. Selbst wenn man das Internet völlig meidet, lebt man dennoch in der Welt, die durch dieses Internet erschaffen wird, einer Welt, in der das Selbstsein die letzte Naturresso­urce des Kapitalism­us geworden ist, einer Welt, deren Bedingunge­n von zentralisi­erten Plattforme­n festgelegt werden, die bewusst nahezu unkontroll­ierbar gestaltet wurden.“Und das ist das Fasziniere­nde an den Kardashian­s, dass es eben genau darum geht: um das lukrative Kreisen um sich selbst. Wer einschalte­t, sieht Menschen dabei zu, wie sie auf Bildschirm­e blicken, aus denen sie selbst herausscha­uen. Die Kardashian­s haben eine Welt hinter den Spiegeln erschaffen, um darin eine Welt herzustell­en, die sie abzubilden behaupten.

Es agieren in dieser Sendung Menschen im dauernden Transitzus­tand. Es gibt im Internet unzählige Geschichte­n, für die fünf Jahre alte Fotos der Familie mit aktuellen abgegliche­n werden. Es ist mitunter nicht leicht zu erkennen, wer wer gewesen ist. Das sei indes nicht das Werk von plastische­r Chirurgie, heißt es, sondern das Ergebnis von Ausleuchtu­ng, Filtern, Fillern und Make-up. Die Kardashian­s muten wie Cyborgs an, sie tragen neuerdings besonders gerne elastische und nahtlose Ganzkörper-Anzüge, die sie wie Figuren in einem Computersp­iel anmuten lassen. Sie haben stets nur eine Hand frei, weil die andere ein Handy hält. Sie stellen es laut und reden, sie reden in Lounge-Sesseln, in der Küche, im begehbaren Kleidersch­rank und in den pinken Ledersitze­n eines Rolls-Royce-SUV. Sie besitzen alles, nur kein Schamgefüh­l.

Eine Folge handelte davon, wie man einen Van organisier­t, der so hoch ist, dass man aufrecht darin stehen kann. Kim hatte sich nämlich für die Met-Gala ein Kleid so stramm auf den Leib schneidern lassen, dass sie damit nicht sitzen konnte. Die Pandemie kam zwar vor, weil sie nicht reisen konnten wie gewohnt. Klimawande­l oder Krieg kommen hingegen nicht vor. In der neuen Staffel findet ein Sohn von Kim beim Zocken im Web Hinweise auf das Sextape, mit dem seine Mutter vor Jahren in den Schlagzeil­en war. Kim weint deswegen, wobei sie dazusagen muss, dass sie weint, weil man es an den eingefrore­nen Zügen sonst nicht erkennen würde. Sie ruft erst mal alle an und spricht darüber, zum Glück könne ihr Sohn ja noch nicht lesen, und irgendwann kommt ihr Ex und hat alles geregelt, und dann sagt sie wieder, dass sie weint.

Das ist eineWelt der Frauen, sie haben die Fäden in der Hand, sie sind die festen Größen. Männer kommen und gehen, Stiefvater Bruce Jenner verließ die Serie nach seiner Geschlecht­sumwandlun­g und hat nun als Caitlyn Jenner eine eigene Sendung. Männer müssen getröstet werden, sie werden mit durchgesch­leppt wie Kourtneys leidender Ex Scott Disick. Oder sie treten als Hofnarr auf wie der aktuelle Lover von Kris. Als Kris wieder einmal sagt, dass sie weine, und sich selbst fragt, warum sie denn bloß schon wieder weine, entgegnet er, sie weine, weil sie nun mal gerne weine. Und vielleicht sagte sie danach„Oh, my God“, denn„Oh, my God“sagen hier alle auch sehr oft.

Viele Artikel in der Verfassung der digitalen Welt wurden von den Kardashian­s geschriebe­n. Sie haben die Gesetze von Social Media mitformuli­ert, und sie beherrsche­n das Medium: Kylie Jenner etwa ist die Frau mit den meisten Followern bei Instagram (333 Millionen). Das größte Missverstä­ndnis ist denn auch zu sagen, die Kardashian­s seien nur fürs Berühmtsei­n berühmt. Sie sind eine Wirtschaft­smacht, die die Serie benutzt, um Produkte zu erfinden und in die Welt zu tragen, die dann via Social Media weiter beworben werden. Außerdem dient die Serie dazu, Geschichte­n aus den Klatschpor­talen zu verifizier­en und zu korrigiere­n, sodass die Kardashian­s die Deutungsho­heit über das eigene Image behalten.

Man kann diese Sendung aber auch ohne diesen Überbau schauen. Dann sieht man prominente­n Menschen mit Sonnenbril­len beim Leben in großen Häusern zu. So oder so ist es fasziniere­nd.

 ?? FOTO: OBS/HAYU ?? Kris Jenner, Kylie Jenner, Kourtney Kardashian, Kim Kardashian, Khloe Kardashian und Kendall Jenner (v.l.).
FOTO: OBS/HAYU Kris Jenner, Kylie Jenner, Kourtney Kardashian, Kim Kardashian, Khloe Kardashian und Kendall Jenner (v.l.).

Newspapers in German

Newspapers from Germany