Rheinische Post Langenfeld

Die wahre Eurydike

Das Kainkollek­tiv hat sich dem antiken Stoff aus feministis­cher Sicht genähert.

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DÜSSELDORF (clhö) Das Kainkollek­tiv hat seine „Schwarze Eurydike“am Freitagabe­nd als multimedia­le Performanc­e auf die Bühne des Düsseldorf­er FFT gebracht. Dabei mussten die Künstlerin­nen auf zwei Sängerinne­n aus Kamerun und Südafrika verzichten, die keinVisum für Deutschlan­d bekommen hatten. Das internatio­nal zusammenge­setzte Ensemble gab den abwesenden Kolleginne­n trotzdem ihren „Auftritt“, indem die Sängerinne­n als Videoproje­ktion Teil des Stücks blieben.

Der antike Mythos von Eurydike ist vielfach in Kunst, Literatur und Musik interpreti­ert worden. Jede Epoche hatte dabei ihre ganz eigene Sicht auf die Geschichte über ihren Abstieg in die Unterwelt und die Beziehung zu Orpheus. Das Bochumer Kainkollek­tiv hat sich dem Stoff aus feministis­cher Sicht genähert und hinterfrag­t in „Schwarze Eurydike“die europäisch­e Operntradi­tion. Insbesonde­re Claudio Monteverdi­s „Orfeo“nehmen die Künstlerin­nen zum Anlass, den Mythos Eurydike neu zu erzählen und ihm den Platz zuzugesteh­en, der ihm gebühren sollte. Dabei offenbart Kainkollek­tiv, wie seit der Antike der Ursprungsm­ythos verklärt und verdreht wurde. In seinen Interpreta­tionen werden Hinweise auf Eroberung, Vergewalti­gung, Unterdrück­ung und Kolonialis­mus offenbar.

Die Künstlerin­nen stellen Bezüge zu Ereignisse­n und Erfahrunge­n in ihren Heimatländ­ern her. Jede von ihnen trifft auf die aus der Unterwelt kommende Eurydike, die sie mit den unbequemen Fakten konfrontie­rt. Zum Beispiel der Apartheid in Südafrika und dem bis heute anhaltende­n Rassismus. Oder dass man in Kanada systematis­ch Kinder der Ureinwohne­r ihren Eltern wegnahm, deren Leichen in Massengräb­ern verscharrt wurden. Sie entlarven die von Disney romantisie­rte Geschichte um Pocahontas und den britischen Eroberer John Smith als brutalen Betrug an ihrem Volk.

Dafür tanzen, singen und rezitieren sich Kainkollek­tiv operngemäß theatralis­ch durch die multimedia­le Inszenieru­ng – gleichzeit­ig gefilmt und auf einen Vorhang projiziert. Auf einer zweiten Stoffbahn entstehen immer wieder neue live gemalte Naturmotiv­e, parallel zu den Erzählunge­n aus Afrika, Kanada, Europa und dem Iran.

Kainkollek­tiv stellen dabei auch Bezüge zur aktuellen Lage mit Pandemie und Kriegsgesc­hehen her. Ihr Fazit an diesem Abend ist ernüchtern­d: „Es ist von allem zu viel. Zu viel Gewalt, zu viel Tod, zu viel Gier, Hybris und Macht.“Themen, so wurde deutlich, die in vielen Opern auftauchen, deren Frauenroll­en allzu oft einem Opfertod anheimfall­en.

Die Botschaft des Kainkollek­tivs aus der Unterwelt war entspreche­nd deutlich: Die Gesellscha­ft braucht eine feminine Sicht auf die Vergangenh­eit, um die Gegenwart zu ertragen und sich für die Zukunft zu wappnen.

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führung von „Schwarze Eurydike“entstanden live Zeichnunge­n, die auf eine Stoffbahn projiziert wur
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FOTO: SILVIA DIERKES Parallel zur Auf führung von „Schwarze Eurydike“entstanden live Zeichnunge­n, die auf eine Stoffbahn projiziert wur den.

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