EZB in der Rolle des politischen Handlangers
Verkehrte Welt: Die Zentralbank betreibt seit Jahren über Niedrig- und Nullzinsen Wachstumspolitik zugunsten verschuldeter Staaten. Derweil versuchen sich Politiker wie der Bundesfinanzminister an der Eindämmung der Inf lation – an sich die ureigene Aufga
DÜSSELDORF Im Grunde ist das Ganze sehr einfach: Die Finanzminister der Eurozone sind im Verbund mit ihren Kabinettskollegen unter anderem dafür zuständig, über entsprechende Rahmenbedingungen für ausreichend Wachstumsimpulse zu sorgen. Die Europäische Zentralbank (EZB) macht die Geldpolitik – und ist damit auch für den Kampf gegen Inflation zuständig. Doch von einer solchen Aufgabenverteilung kann in der Eurozone seit Jahren keine Rede mehr sein. Denn die EZB hat spätestens seit dem Ausbruch der internationalen Finanzkrise über laxe Geldpolitik Staatsfinanzierung vor allem für hoch verschuldete Mitglieder des gemeinsamen Währungsraumes betrieben und wird dies begrenzter als bisher noch weiter tun, während hierzulande beispielsweise Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit untauglichen
Mitteln das Inflationsgespenst unter Kontrolle zu bringen versucht.
Eine verkehrte Welt also, in der beides nicht funktioniert. Dabei hat die EZB – anders als Lindner und Co. – den Instrumentenkasten in der Hand, nutzt ihn aber nicht. Oder, um es mit einemVergleich des Hohenheimer Professors für Bankwirtschaft, Hans-Peter Burghof, zu sagen: „Lindner will mit der Gabel Suppe essen, während die EZB den Löffel zum Fleischschneiden zu nutzen versucht.“
In Wirklichkeit kann die Politik nichts gegen die Inflation machen. „Es wird nur an den Symptomen herumgedoktert. Die Bundesregierung subventioniert die Bürger, aber sie kann ja gar nichts gegen die steigenden Preise an der Tankstelle machen“, sagt Wirtschaftsprofessor Burghof. Die Politik versuche, Normalität zu schaffen, die es in Kriegszeiten nicht gebe. Was sie ihm zufolge tun sollte: „In die Verteidigung investieren, Verwaltungen effizien
ter machen, Digitalisierung vorantreiben. Aber nicht gegen hohe Preise kämpfen.“
Gegen eine Inflation, die nicht nachfragegetrieben ist, sondern durch Verknappung – beispielsweise des Energieangebots – entstand, kann zwar auch die EZB wenig tun. Trotzdem muss man einen anderen
Eindruck gewinnen: Die Politiker sorgen sich allem Anschein nach seit geraumer Zeit mehr um die enormen Preissteigerungsraten als die Zentralbank, die offenkundig lieber um die Solvenz der Krisenländer kämpft. Sie hat die Preisentwicklung als vorübergehendes Phänomen abgetan, solange es ging, und sich mit ihrer Untätigkeit selbst in die Bredouille gebracht. Das, was sie jetzt tut, gilt vielen als zu wenig und zu zögerlich: „Die EZB geht den kleinstmöglichen Schritt“, sagt Burghof.
Die Zentralbank ist über mindestens ein Jahrzehnt hinweg zu einer politischen Institution geworden, mögen ihre Protagonisten von einst und heute noch so sehr das Gegenteil beteuern. Sie hat sich zum Handlanger der Politik gemacht, weil sie auf einem Berg von Staatsanleihen sitzt, was das Bundesverfassungsgericht 2020 als Überschreitung des Mandats rügte. Der daraus entstandene Streit um rechtliche Zuständigkeiten in einem geldpolitisch vereinten Europa hat gezeigt, wie politisch EZB-Entscheidungen sind. Am Donnerstag hat EZB-Präsidentin Christine Lagarde nun verkündet, dass das Anleihekaufprogramm auslaufen soll. Aber wer genau hingehört hat, der musste zur Kenntnis nehmen, dass Gelder aus auslaufenden Wertpapieren „für längere Zeit“ in neue Anleihen reinvestiert werden sollen.
Eine neue Schonfrist für Länder wie Italien, die angesichts schon stark gestiegener Marktzinsen bei der Refinanzierung in Nöte kommen könnten? Und denen die Verantwortung für weitere notwendige Reformen damit wenigstens zum Teil weiter erlassen wird? Die Folgen dieser politisch motivierten Geldpolitik bekommen wir alle seit Jahren zu spüren: Die EZB hat mit dem Dauer-Geldregen die Blasengefahr an Aktien- und Immobilienmärkten geschürt, wo sich zwischenzeitlich die Preise immer mehr von realen Werten entfernten. Sie hat Privatinvestoren bei der Altersvorsorge gezwungen, ihr Geld immer riskanter anzulegen, da für Kleinsparer kein Platz im großen Anleihengeschäft ist. Sie enteignet diese Sparer immer noch und gerade jetzt mehr denn je, weil die Inflation das Vermögen wegfrisst. Selbst wenn der Zins 2022 noch mehrfach steigen sollte.