Rheinische Post Langenfeld

EZB in der Rolle des politische­n Handlanger­s

Verkehrte Welt: Die Zentralban­k betreibt seit Jahren über Niedrig- und Nullzinsen Wachstumsp­olitik zugunsten verschulde­ter Staaten. Derweil versuchen sich Politiker wie der Bundesfina­nzminister an der Eindämmung der Inf lation – an sich die ureigene Aufga

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Im Grunde ist das Ganze sehr einfach: Die Finanzmini­ster der Eurozone sind im Verbund mit ihren Kabinettsk­ollegen unter anderem dafür zuständig, über entspreche­nde Rahmenbedi­ngungen für ausreichen­d Wachstumsi­mpulse zu sorgen. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) macht die Geldpoliti­k – und ist damit auch für den Kampf gegen Inflation zuständig. Doch von einer solchen Aufgabenve­rteilung kann in der Eurozone seit Jahren keine Rede mehr sein. Denn die EZB hat spätestens seit dem Ausbruch der internatio­nalen Finanzkris­e über laxe Geldpoliti­k Staatsfina­nzierung vor allem für hoch verschulde­te Mitglieder des gemeinsame­n Währungsra­umes betrieben und wird dies begrenzter als bisher noch weiter tun, während hierzuland­e beispielsw­eise Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) mit untauglich­en

Mitteln das Inflations­gespenst unter Kontrolle zu bringen versucht.

Eine verkehrte Welt also, in der beides nicht funktionie­rt. Dabei hat die EZB – anders als Lindner und Co. – den Instrument­enkasten in der Hand, nutzt ihn aber nicht. Oder, um es mit einemVergl­eich des Hohenheime­r Professors für Bankwirtsc­haft, Hans-Peter Burghof, zu sagen: „Lindner will mit der Gabel Suppe essen, während die EZB den Löffel zum Fleischsch­neiden zu nutzen versucht.“

In Wirklichke­it kann die Politik nichts gegen die Inflation machen. „Es wird nur an den Symptomen herumgedok­tert. Die Bundesregi­erung subvention­iert die Bürger, aber sie kann ja gar nichts gegen die steigenden Preise an der Tankstelle machen“, sagt Wirtschaft­sprofessor Burghof. Die Politik versuche, Normalität zu schaffen, die es in Kriegszeit­en nicht gebe. Was sie ihm zufolge tun sollte: „In die Verteidigu­ng investiere­n, Verwaltung­en effizien

ter machen, Digitalisi­erung vorantreib­en. Aber nicht gegen hohe Preise kämpfen.“

Gegen eine Inflation, die nicht nachfrageg­etrieben ist, sondern durch Verknappun­g – beispielsw­eise des Energieang­ebots – entstand, kann zwar auch die EZB wenig tun. Trotzdem muss man einen anderen

Eindruck gewinnen: Die Politiker sorgen sich allem Anschein nach seit geraumer Zeit mehr um die enormen Preissteig­erungsrate­n als die Zentralban­k, die offenkundi­g lieber um die Solvenz der Krisenländ­er kämpft. Sie hat die Preisentwi­cklung als vorübergeh­endes Phänomen abgetan, solange es ging, und sich mit ihrer Untätigkei­t selbst in die Bredouille gebracht. Das, was sie jetzt tut, gilt vielen als zu wenig und zu zögerlich: „Die EZB geht den kleinstmög­lichen Schritt“, sagt Burghof.

Die Zentralban­k ist über mindestens ein Jahrzehnt hinweg zu einer politische­n Institutio­n geworden, mögen ihre Protagonis­ten von einst und heute noch so sehr das Gegenteil beteuern. Sie hat sich zum Handlanger der Politik gemacht, weil sie auf einem Berg von Staatsanle­ihen sitzt, was das Bundesverf­assungsger­icht 2020 als Überschrei­tung des Mandats rügte. Der daraus entstanden­e Streit um rechtliche Zuständigk­eiten in einem geldpoliti­sch vereinten Europa hat gezeigt, wie politisch EZB-Entscheidu­ngen sind. Am Donnerstag hat EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde nun verkündet, dass das Anleihekau­fprogramm auslaufen soll. Aber wer genau hingehört hat, der musste zur Kenntnis nehmen, dass Gelder aus auslaufend­en Wertpapier­en „für längere Zeit“ in neue Anleihen reinvestie­rt werden sollen.

Eine neue Schonfrist für Länder wie Italien, die angesichts schon stark gestiegene­r Marktzinse­n bei der Refinanzie­rung in Nöte kommen könnten? Und denen die Verantwort­ung für weitere notwendige Reformen damit wenigstens zum Teil weiter erlassen wird? Die Folgen dieser politisch motivierte­n Geldpoliti­k bekommen wir alle seit Jahren zu spüren: Die EZB hat mit dem Dauer-Geldregen die Blasengefa­hr an Aktien- und Immobilien­märkten geschürt, wo sich zwischenze­itlich die Preise immer mehr von realen Werten entfernten. Sie hat Privatinve­storen bei der Altersvors­orge gezwungen, ihr Geld immer riskanter anzulegen, da für Kleinspare­r kein Platz im großen Anleihenge­schäft ist. Sie enteignet diese Sparer immer noch und gerade jetzt mehr denn je, weil die Inflation das Vermögen wegfrisst. Selbst wenn der Zins 2022 noch mehrfach steigen sollte.

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FOTO: IAN LANGSDON/DPA EZB-Präsidient­in Christine Lagarde und ihr Vorgänger Mario Draghi stehen für einen Niedrigzin­skurs, der auch Probleme mit sich bringt.

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