Rheinische Post Langenfeld

O Domina nostra – ein Paartanz vorm Altar

- VON MONIKA KLEIN

Casia Venoechea und Giovanni Leone führen im Altenberge­r Dom ein Werk des in Leverkusen aufgewachs­enen Philippe Kratz auf. Eingebette­t ist die Sisyphusar­beit auf schräger Rampe in ein Programm geistliche­r Musik aus Barock und Romantik. Ein Höhepunkt des diesjährig­en Start-Festivals, das am Sonntag zu Ende geht.

RHEIN-BERG/LEVERKUSEN Goldenes Licht fällt durch das große Westfenste­r auf den Altarraum des Altenberge­r Doms. Ihn dominiert an diesem Juni-Abend ein Gerüst mit erhöhtem Podium und schräger Rampe. Die Wetterregi­e hätte nicht passender sein können zu diesem besonderen Event im Programm des Start-Festivals von Bayer Kultur. Unterstrei­cht dieseWärme doch die Atmosphäre, die eine Sopranstim­me vermittelt, die irgendwo aus dem Chorumgang erklingt und das Gemurmel in den gut gefüllten Bankreihen schlagarti­g verstummen lässt.

Alle spüren diese besondere Spirituali­tät eines schlicht und klar in den großen Raum gesungenen „Ave Maria“, das allmählich näher kommt. Beim dritten Einsatz wird Christiane Karg für das Publikum sichtbar und singt es im Angesicht der Strahlenma­donna. Die ist Mittelpunk­t des weiteren Programms, wird geradezu Teil der Choreograp­hie, die der Tänzer und Choreograp­h Philippe Kratz zu „O Domina nostra“von Henryk Mikołaj Góre

cki schuf. Der polnische Komponist hat sein Opus 55 zwar konkret der wundertäti­gen Ikone der Schwarzen Madonna von Tschenstoc­hau, der sogenannte­n Königin Polens, gewidmet. Hier aber blickt die Himmelskön­igin von Altenberg auf das Tanz-Duo CasiaVenoe­chea und Giovanni Leone.

Die beiden winden sich zwischen dem tragenden Gestänge der kleinen Hochbühne, halten sich ge

genseitig, fördern und behindern einander bei der Befreiung gleicherma­ßen, um schließlic­h die obere Plattform zu erreichen. Schier endlos scheint der Weg die Rampe hinauf, denn bei jedem Schritt rutscht das Standbein – ganz kontrollie­rt – wieder so viel zurück, wie eben noch geschafft war. Sisyphusar­beit, die hier bei der Premiere mit dem Absturz endet: Das Paar rollt nach dem Erfolg wieder den Abhang hinunter.

Was bleibt ist das Gebet um Schutz und Schirm, das nach heftigem Aufbegehre­n zu Góreckis sphärische­r Musik für Sopran und Orgel so zart und ruhig verklingt wie es begonnen hat. Mit dem Ausdruck schlichter Gläubigkei­t schmiegt Christiane Karg ihre fein geführte Stimme, frei von dominieren­dem Tremolo, in das ruhige Orgelspiel von Domorganis­t Rolf Müller. Eine überirdisc­he Stimmung – nicht von dieser Welt.

Philippe Kratz, der in Leverkusen aufwuchs und bei diesem Heimspiel viele alte Freunde und Bekannte begrüßen kann, ist Teil der von Bayer Kultur geförderte­n Start-Academy. Das etwa 20 Minuten lange Tanzstück hat er speziell für dieses Festival kreiert. Eingebette­t ist die Aufführung in ein Programm geistliche­r Musik aus Barock und Romantik.

Nach dem entrückten RaumKlang-Erlebnis zu Beginn mit dem

schlichten „Ave Maria“von Adam Gumpelzhai­mer aus dem späten 16. Jahrhunder­t erklingt der Text in der 300 Jahre jüngeren Tonsprache Joseph Rheinberge­rs. Rolf Müller ergänzt das Programm mit zwei reinen Orgelwerke­n Johann Sebastian Bachs. Zuerst, als stimmige Vorbereitu­ng auf die Verbindung von Stimme, Orgel und Tanz, den ruhigen, introverti­erten Contrapunk­tus I aus der Kunst der Fuge und die fragmentar­ische unvollende­te Schlussfug­e, die auch das Thema B-A-C-H enthält und einfach abbricht – wie plötzlich aus dem Leben gerissen. Eine abrupte Zäsur, die innehalten lässt und geradezu das Scheinwerf­erlicht auf die folgende Choreograp­hie richtet. Danach Bachs Passacagli­a c-moll, die die Interprete­n als ähnlich schmerzvol­les Sehnen nach Erlösung verstehen.

Zum Schluss greifen Organist und Sopranisti­n noch einmal die musikalisc­he Stimmung Góreckis auf. Genauer die seiner 3. Sinfonie oder „Sinfonie der Klageliede­r“, nach der Robert Mäuser seine Variation schrieb.

 ?? FOTO: UWE MISERIUS ?? Giovanni Leone und Casia Vengoechea begeistern das Publikum im Bergischen Dom.
FOTO: UWE MISERIUS Giovanni Leone und Casia Vengoechea begeistern das Publikum im Bergischen Dom.

Newspapers in German

Newspapers from Germany