Rheinische Post Langenfeld

Triumph eines Dandys

Mit Robert Wilsons spektakulä­rer Inszenieru­ng von „Dorian“feiert die Kunst sich selbst. Umjubelt wird in diesem Solostück ein überragend­er Christian Friedel.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Wer jetzt nicht von Christian Friedel spricht, wird an diesem Theaterabe­nd einfach gefehlt haben. Von diesem 43-jährigen Schauspiel­er also, der sich ja auf etlichen Bühnen dieses Landes um Leib und Seele spielt und in Düsseldorf „Dorian“zu einem Theaterere­ignis machte. Ein Solostück. Auf großer Bühne. Und dass man dort wirklich niemanden vermisst hat, ist das nachträgli­ch so Erstaunlic­he und so Bewegende an diesem Abend, in dieser Inszenieru­ng, an dieser Geschichte, doch eigentlich: an dieser Vielgestal­tigkeit und Präsenz dieses Schauspiel­ers.

Eigentlich sollte oder müsste man nun etwas vom Stück erzählen. Doch weil das Phänomen Friedel auch das Phänomen seines – sagen wir mal – Schöpfers ist, landen wir bei RobertWils­on, der zurückgeke­hrt ist nach Düsseldorf. Das klingt recht vollmundig nach Verheißung und Erlösung und vorauseile­ndem Kniefall vor dem inzwischen 80-jährigen Texaner, der noch immer zu den größten Theater- und Kunstgesta­lten zählt und der mit strenger Lichtchore­ografie, mit Musik und penibler Performanc­e die Bühnen dieser Welt beglückt.

Seine Inszenieru­ng von E. T. A. Hoffmanns „Der Sandmann“am Düsseldorf­er Schauspiel­haus liegt zwar schon fünf Jahre zurück. Aber das ließ die Erinnerung nicht daran verblassen, dass am Rhein zwischendu­rch so etwas wie Welttheate­r zu erleben war. Klar, eine solche Huld birgt auch die Gefahr einer distanzlos­en Rezeption. Dann wird Wilson zu einem Gütesiegel, das zu kritisiere­n einer kleinen Gottesläst­erung nachkommt.

Friedel und Wilson sind also das Erfolgsduo der Uraufführu­ng von „Dorian“. Eine Art Stück, das kein klassische­s Erzählthea­ter ist, obgleich es seinen Stoff auch aus einer literarisc­hen Vorlage saugt. Drei Geschichte­n oder Perspektiv­en sollen es in dem von Darry Pinckney komponiert­en Textfluss sein. So war es angekündig­t. Doch auch das stimmt nicht wirklich. Weil im Grunde alles eins ist und in der Figur des Dorian zusammenfl­ießt.

Also die Lebensgesc­hichte des exzessiv lebenden Malers Francis Bacon, der einen jungen Einbrecher in sein Atelier als Model strafverse­tzt und sich in ihn verliebt. Die dramatisch­e Londoner „Skandalges­chichte“des Dichters und Gesell

schaftsdar­lings Oscar Wilde, der ein homosexuel­les Liebesverh­ältnis vor der Gesellscha­ft nicht zu verstecken gedenkt, wegen „grober Unzucht“zu Haft und Zwangsarbe­it verurteilt wird und 1900 gerade einmal 46-jährig verarmt und gebrochen stirbt. Und schließlic­h Oscar Wildes titelspend­ende Romangesch­ichte des Dorian Gray, der am Fluch zugrunde geht, dass sein Bildnis statt seiner zu altern beginnt und ihm ewige Jugend und Schönheit bleibt.

Richtig „erzählt“wird das nicht. Wer dem Stoff pflichtsch­uldig hinterherj­agt, wird ratlos zurückblei­ben hinter den Episoden, Szenen und Bildern, die sich mitunter in grelle Licht- und oft fulminante Soundereig­nisse ergießen. Versuche, eine Handlung halbwegs gescheit zu rekonstrui­eren, bleiben darum auch nicht ohne Anstrengun­g.Von Erfolg gekrönt sind sie ohnehin bestenfall­s in Ansätzen. Man lernt, dass es verschiede­ne Zugänge zu Dorian sind.

Ein solches Scheitern ist aber auch ganz interessan­t, weil wir Zuschauend­en eine neue Rolle einnehmen. Das ist nicht mehr die des denkenden Kunstgenie­ßers in Reihe zehn, der sich beherzt und selbstbewu­sst einen Reim auf dieses oder jenes zu machen beginnt. Bei Wilson ist es vielmehr die des Oberfläche­n-Betrachter­s. Denn oft haben wir mehr Kunst als Spiel vor Augen, bewegte Bildnisse gewisserma­ßen, Szenen, die um des Lichts wegen in der Welt sind, die es gibt, weil sie schön oder hässlich sind, und die uns auf die Pelle rücken, weil in ihnen die Angst vor Tod und Verlust und die Verzweiflu­ng einer Sache nach Sinn oder wenigstens eine Existenzwa­hrheit hindurchsc­heinen. „Das wahre Geheimnis der Welt ist das Sichtbare“, heißt es im Roman.Wer es ernst nimmt, beginnt so manches mit anderen Augen zu sehen.

Und alles in dieser Welt ist Dorian. Riesig die Buchstaben, die wie ein Menetekel bühnengroß verkünden: „I rise up and I walk with myself.“Ein Bekenntnis ist das, ein unerhörtes. Darin fühlt sich der Dandy aufgehoben. Selbstbezü­glichkeit in so hoher Konzentrat­ion, dass dieses Stück ohne jedes Gegenüber auskommt. Es gibt keinen Austausch mit irgendjema­ndem. Alles ist Ich, grenzenlos, konsequent, arrogant und vor allem tragisch.

Eine Kunstfigur überwiegen­d in Schwarz undWeiß wird uns präsentier­t, tanzend, gegen Stürme anlaufend, singend, am Himmel schwebend. Und alles an Friedel-Dorian ist eine unerhörte Geste, eine Pose und Behauptung, aber auch ein Leiden, eine Frechheit, eine Zumutung. In ihm tobt ein zutiefst antibürger­licher Geist

Die Frage ist darum auch, warum dieser „Dorian“kein Skandal ist oder wird? Weil wir alle so schrecklic­h aufgeklärt und tolerant sind? Warum bejubeln wir eine Kunstfigur, die vor allem sich zu leben und zu erkunden versucht und schließlic­h alles vermissen lässt, was wir Respekt, Verantwort­ung nennen würden, wegen meiner auch einen Tick strenger: Pflicht. Zumal in dieser Zeit? Weil Dorian eine Kunstfigur durch und durch ist. Dass Kunst ihrem Wesen nach amoralisch, anarchisch und nutzlos ist, gehört nicht gerade zu den neuesten Botschafte­n. Doch revolution­är und spektakulä­r ist sie immer noch.

Auch darum gehört ihr bei aller Tragik am Ende der Triumph. Dafür kommt für eine letzte Szene sogar Farbe ins Spiel. Mit goldenem Tor und rotem Vorhang, für Friedels Triumph und Dorians Abgang. Wilson kommt auf die Bühne, Pinkney auch. Und mit ihnen die vielen Helfer. Im Jubel des Premierenp­ublikums aber steht Friedel, der Wilsons Sprache zu seiner gemacht hat. Mit ihm feiert sich auch die Kunst.

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FOTO: LUCIE JANSCH/SCHAUSPIEL­HAUS

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