Albtraum Vereinigte Staaten
Die USA sind nicht die zivilisatorische Macht, die den demokratischen Westen führen sollte, behauptet der renommierte Historiker Bernd Greiner in seiner Betrachtung.
„Ohne die USA ist eine neue Weltordnung nicht zu haben. Aber unter ihrer Führung schon gar nicht.“So fasst Bernd Greiner in neun Kapiteln seinen „anderen“Blick auf die Schattenseiten des amerikanischen Jahrhunderts zusammen. In neun Kapiteln schildert der Autor fundiert den Albtraum USA. In „Für Gott und das Gute“beschreibt Greiner denWeg der USA zurWeltmacht. Er beginnt in den 1930er-Jahren mit einem missionarischen Nationalismus, mit den USA als einer ErlöserNation, die im göttlichen Auftrag für die Verteidigung der Freiheit auf Erden sorgt. Und so kommt es zu der mehrheitsfähigen Behauptung, als auserwählte Nation das Recht zu haben, sich über die Rechte anderer hinwegsetzen zu können.
Das zweite Kapitel „Casino Royale“zeigt, wie sich dieses Selbstverständnis der USA nach Hiroshima fortsetzt. Durchaus erkennend, dass der Einsatz von Atomwaffen zum Selbstmord der Menschheit führt, soll die Welt wissen, dass die USA zur Wahrung ihres Selbstanspruchs auch Atomwaffen einsetzen würden. Der Gegner – zunächst die UdSSR – sollte mehr Angst vor einem Krieg haben als die USA. „Unter anderem Guatemala“, das drit
te Kapitel, schildert, dass dieses Selbstverständnis nicht allein die UdSSR betrifft. In der eigenen Hemisphäre trifft es zuerst Guatemala. Ein gewählter Präsident „gefährdet“durch eine Landreform US-Interessen – die CIA organisiert einen Militärputsch, Diktatur und Bürgerkrieg folgen. Im Iran sind es Ölinteressen, die die CIA veranlassen, den gewählten Ministerpräsidenten Mossadegh zu stürzen, das diktatorische Regime des Schahs folgt. Beide Aktionen begründen den Aufstieg der CIA – nur in Kuba scheitert er.
„Selbstblockade“blickt auf Versuche der Selbstkontrolle der Weltmacht USA in den 1970er-Jahren. Der Aufdeckung von skandalösem
Unrecht durch CIA und FBI durch Nixon – dokumentiert in denWatergate Papers – folgten im Kongress Initiativen zur stärkeren Kontrolle. Sie waren erfolglos. Denn den Präsidenten zu kritisieren, so hieß es, lädiere die Handlungsfähigkeit der USA und mache die Gegner stark.Wie sich am
Ende in „Fortsetzung folgt“zeigt: Die Macht der Angst bleibt wirksam und erfordert weitere Bewaffnung. So werden Abrüstungsverträge der 1990er-Jahre infrage gestellt. 2020 gaben die USA 778 Milliarden Dollar für ihr Militär aus – 38 Prozent der weltweiten Ausgaben.
Es sind nicht einzelne Präsidenten, die diese Weltmachtpolitik wollen, es ist die Einstellung der Gesellschaft. „Tabuisiert ist weniger die Kriegsführung mit Atomwaffen als vielmehr der Gedanke an eine nuklear entkernte Kriegsmaschine. Und das in einer Gesellschaft, die ihren weltpolitischen Abstieg nicht wahrhaben will und sich an dem Getöse einer Wiedergeburt im Geiste von „America First“berauscht.
Im Nachwort sucht Greiner dann nach einem Ausstieg aus der Malaise. Sie bestünde in„gemeinsamer Sicherheit“, einem Konzept, dasWilly Brandt bereits 1940 zu Papier brachte und das in den 70er-Jahren von Egon Bahr aufgenommen wurde. So hart der Befund ist, eine solche Kritik ist kein platter Anti-Amerikanismus. Das zeigt der Verweis auf die Expertise Greiners: Ihm wurde 2009 der „Willi Paul Adams Award“der Organization of American Historians für das beste fremdsprachige Buch zur Geschichte der Vereinigten Staaten verliehen.