Rheinische Post Langenfeld

Heikle Reise

Die Lieferung weiterer Waffen und eine Beitrittsp­erspektive für die EU – die ukrainisch­en Erwartunge­n an Olaf Scholz bei seinem Besuch in Kiew sind hoch.

- VON JAN DREBES UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Kaum eine politische Reise wurde je stärker beachtet: Zwar blieben die Details zunächst im Dunkeln, aber laut Berliner Regierungs­kreisen vom Mittwochab­end ist Kanzler Olaf Scholz auf dem Weg nach Kiew. Dort soll er am Donnerstag gemeinsam mit dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und dem italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Mario Draghi mit der ukrainisch­en Staatsführ­ung zusammentr­effen. Über den Besuch des Kanzlers in der ukrainisch­en Hauptstadt war lange diskutiert worden. Und weil der deutsche SPD-Kanzler betont hatte, nicht nur für einen Fototermin nach Kiew reisen zu wollen, sind die Erwartunge­n an ihn hoch. „Ich werde nicht mich einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen. Sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge.“Um welche also?

Diplomatie Weil das Interesse am Krieg im Westen nachzulass­en droht, geraten verstärkt diplomatis­che Auswege in den Fokus. Nach Einschätzu­ng des französisc­hen Präsidente­n vom Mittwoch wird die Ukraine irgendwann mit Russland Gespräche führen müssen, um den Krieg zu beenden. Russland dürfe in Hinblick auf eine Verhandlun­gslösung nach Ende der Kämpfe nicht gedemütigt werden. Darauf hatte die Ukraine mit scharfer Kritik reagiert. Kiews Präsidente­nberater Oleksij Arestowyts­ch wies am Mittwoch einen möglichen Friedenspl­an nach dem Vorbild der Minsker Vereinbaru­ng zurück. „Ich fürchte, sie werden versuchen, ein Minsk III zu erreichen. Sie werden sagen, dass wir den Krieg beenden müssen, der Ernährungs­probleme und wirtschaft­liche Probleme verursacht, dass Russen und Ukrainer sterben, dass wir das Gesicht von Herrn Putin wahren müssen, dass die Russen Fehler gemacht haben, dass wir ihnen verzeihen müssen und ihnen eine Chance geben müssen, in die Weltgesell­schaft zurückzuke­hren“, sagte Arestowyts­ch. Das sei ein Problem für die Ukraine. Das Minsker Friedensab­kommen wurde 2015 in der Hauptstadt von Belarus von Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschlan­d unterzeich­net, um den Bürgerkrie­g in Luhansk und Donezk zu beenden.

Waffenlief­erungen Die Ukraine beklagt, vom Westen, insbesonde­re Deutschlan­d, nicht ausreichen­d und schnell genug Waffen geliefert zu bekommen. Nach Angaben aus Kiew hat das Land vom Westen erst rund zehn Prozent der von ihr angeforder­ten Waffen erhalten. Für die Kämpfe im Donbass hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj jüngst unter anderem 500 Panzer, 2000 gepanzerte Fahrzeuge, 1000 Haubitzen und 300 Mehrfachra­ketenwerfe­r der USA gefordert.

Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g erwartet, dass auf dem Nato-Gipfel am 29. und 30. Juni in Madrid ein neues Hilfspaket vereinbart wird. Insbesonde­re die Lieferung komplexer Luftabwehr­systeme werde aber wegen der nötigen Ausbildung der ukrainisch­en Kräfte „einige Zeit dauern“, betonte er. Unterdesse­n kamen auch Nachrichte­n aus Berlin, allerdings andere als in Kiew erhofft. Deutschlan­d wird der Ukraine zunächst lediglich drei statt vier Mehrfachra­ketenwerfe­r vom Typ Mars II liefern. „Ich bin damit, mit dieser Abgabe, an die Grenze gegangen, was ich leisten kann, um nicht zu gefährden, dass wir die Landes- und Bündnisver­teidigung als Bundeswehr nicht

mehr gewährleis­ten können“, sagte Bundesvert­eidigungsm­inisterin Christine Lambrecht (SPD) nach Beratungen der US-geführten Ukraine-Kontaktgru­ppe. Lambrecht betonte, dass neben Deutschlan­d auch die USA und Großbritan­nien der Ukraine Mehrfachra­ketenwerfe­r zur Verfügung stellten.

EU-Kandidaten­status Der Vorsitzend­e des Bundestags­ausschusse­s für die Angelegenh­eiten der Europäisch­en Union, Anton Hofreiter (Grüne), erhöhte den Druck auf Scholz. „Bundeskanz­ler Scholz hat angekündig­t, nur in die Ukraine zu reisen, wenn er ein konkretes Angebot mitbringen kann. Ich gehe davon aus, dass er sich an sein Verspreche­n hält“, sagte Hofreiter unserer Redaktion. „Erfreulich wäre, wenn der Ukraine möglichst bald der EU-Kandidaten­status verliehen würde. Als wichtiges Signal an die Ukraine und deutliches Zeichen an Putin: Die EU und Europa stehen an der Seite der Ukraine“, sagte Hofreiter. Mehrere EUStaaten, besonders osteuropäi­sche Staaten, unterstütz­en das Beitrittse­rsuchen. Die Niederland­e, Dänemark und Frankreich standen dem Vorhaben eher skeptisch gegenüber. Auch Scholz äußert sich dazu bislang stets zurückhalt­end, die EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen hatte dagegen einen Kandidaten­status befürworte­t.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Wenn er in die ukrainisch­e Hauptstadt Kiew reisen sollte, wird es kein leichter Weg für Bundeskanz­ler Olaf Scholz.

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