Rheinische Post Langenfeld

Schläge im schallisol­ierten Keller

Die Stürmung ihrer Leverkusen­er Villa sorgte für Aufsehen. Nun sind sieben Angehörige des Al-Zein-Clans angeklagt.

- VON CLAUDIA HAUSER

DÜSSELDORF Schon eine Stunde vor Beginn des Prozesses drängen sich zahlreiche Zuschauer vor dem größten Saal des Düsseldorf­er Landgerich­ts. „Wir sind Familie“, sagt einer zu einem Justizange­stellten. „Es ist noch kein Einlass“, entgegnet der. Wenig später winken die Angehörige­n den Angeklagte­n aus dem Zuschauerb­ereich zu, es fließen Tränen. Auf der Anklageban­k sitzen das Familienob­erhaupt der libanesisc­hstämmigen Großfamili­e Al-Zein, dessen Frau, die Schwiegert­ochter und vier Söhne. Sie sind zwischen 22 und 47 Jahre alt.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihnen gewerbsmäß­igen bandenmäßi­gen Sozialbetr­ug vor – unter anderem. Einige Familienmi­tglieder lebten in einer Villa in Leverkusen, bezogen aber Sozialleis­tungen. In einem Zeitraum von sieben Jahren sollen sie so 456.000 Euro staatliche Hilfen bekommen haben. Dazu kommen die Tatvorwürf­e Erpressung, Raub, Steuerhint­erziehung, schwere Körperverl­etzung, Geldwäsche, Zwangsarbe­it und Geiselnahm­e. Der Staatsanwa­lt braucht mehr als eine Stunde, um alle Anklagepun­kte zu verlesen. Die Anklagesch­rift ist 127 Seiten lang.

Der Chef des Familiencl­ans und drei seiner Söhne sollen etwa einen Friseur wie einen Leibeigene­n behandelt und ihn ausgebeute­t haben. Anfang November 2020 eröffneten sie laut Anklage einen Friseursal­on in Leverkusen, in dem der Mann mit der Option arbeitete, irgendwann Geschäftsf­ührer zu werden. Die Familie soll den Salon mit Kameras überwacht und den Friseur dazu gezwungen haben, sechs Tage in derWoche je zwölf Stunden zu arbeiten. Auch die Pausenzeit war vorgegeben: 15 Minuten soll er gehabt haben, um mittags etwas zu essen. Sein Monatslohn: 1000 Euro. Der Mann erkrankte an Corona, woraufhin das Clan-Oberhaupt seinen Lohn komplett gestrichen haben soll. Als der Friseur von Kündigung sprach, soll ihm gesagt worden sein:

„Du kannst über deinen Ausstieg nicht selbst entscheide­n.“Erst müsse er 26.000 Euro bezahlen, die die Familie in den Salon investiert habe. Ende März 2021 floh der Mann laut Anklage nach München. Der ClanChef soll ihn in einem Telefonat allerdings derart bedroht und unter Druck gesetzt haben, dass er zurückkehr­te und noch mehrere Monate weiter schuftete – bis zur Festnahme der nun Angeklagte­n.

In einem anderen Fall soll der Hauptangek­lagte den Inhaber einer Pizzeria in Essen bedroht und Schutzgeld von ihm erpresst haben. 30.000 Euro soll er gefordert haben, der Lokalbetre­iber bekam allerdings nur rund 14.000 Euro zusammen. Eines Morgens waren die Scheiben seines Lokals eingeschla­gen und die Inneneinri­chtung zer

trümmert. Auch ein Werkstatti­nhaber in Düsseldorf sollte laut Anklage Schutzgeld bezahlen. Der Hauptangek­lagte soll in einem weiteren Fall mit seinen Söhnen einen Mann in Düsseldorf bedroht und in einen schallisol­ierten Keller verschlepp­t haben. Dort sollen sie ihn verprügelt und in Todesangst versetzt haben.

Der Staatsanwa­lt beschreibt bei der Anklagever­lesung auch brutalste Szenen vonVerstüm­melungen und Ermordunge­n – es sind Videoseque­nzen, die innerhalb der Großfamili­e an Minderjähr­ige verschickt worden sein sollen. Was damit bezweckt werden sollte, bleibt unklar.

Im Juni 2021 hatte die Polizei das Tor zur Leverkusen­er Villa mit einem Polizeipan­zer durchbroch­en. Im Gebäude stellten die Einsatzkrä­fte scharfe Schusswaff­en, sechsstell­ige Summen und Luxusuhren sicher. Die Villa mit 300 Quadratmet­ern Wohnfläche und einem 1000-Quadratmet­er-Grundstück hatte die Familie für 650.000 Euro gekauft, ein Teil des Geldes stammte laut Anklage aus den Sozialleis­tungen. Die Einziehung der Villa und weiterer Vermögensw­erte sind beantragt. Der Hauptbesch­uldigte war in Duisburg festgenomm­en worden. In seinem Auto entdeckten Polizisten damals mehr als 14.000 Euro Bargeld. Auch drei scharfeWaf­fen wurden bei ihm gefunden.

Der Prozess wird am 28. Juni fortgesetz­t. Dann wollen das Familienob­erhaupt und zwei Söhne sich äußern. Allerdings nicht zu den Vorwürfen, nur zum Lebenslauf. Ein Urteil wird nicht vor November erwartet.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Einer der Angeklagte­n (2.v.r.) steht zum Auftakt des Prozesses in Düsseldorf neben seinen Anwälten.

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