Schläge im schallisolierten Keller
Die Stürmung ihrer Leverkusener Villa sorgte für Aufsehen. Nun sind sieben Angehörige des Al-Zein-Clans angeklagt.
DÜSSELDORF Schon eine Stunde vor Beginn des Prozesses drängen sich zahlreiche Zuschauer vor dem größten Saal des Düsseldorfer Landgerichts. „Wir sind Familie“, sagt einer zu einem Justizangestellten. „Es ist noch kein Einlass“, entgegnet der. Wenig später winken die Angehörigen den Angeklagten aus dem Zuschauerbereich zu, es fließen Tränen. Auf der Anklagebank sitzen das Familienoberhaupt der libanesischstämmigen Großfamilie Al-Zein, dessen Frau, die Schwiegertochter und vier Söhne. Sie sind zwischen 22 und 47 Jahre alt.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen gewerbsmäßigen bandenmäßigen Sozialbetrug vor – unter anderem. Einige Familienmitglieder lebten in einer Villa in Leverkusen, bezogen aber Sozialleistungen. In einem Zeitraum von sieben Jahren sollen sie so 456.000 Euro staatliche Hilfen bekommen haben. Dazu kommen die Tatvorwürfe Erpressung, Raub, Steuerhinterziehung, schwere Körperverletzung, Geldwäsche, Zwangsarbeit und Geiselnahme. Der Staatsanwalt braucht mehr als eine Stunde, um alle Anklagepunkte zu verlesen. Die Anklageschrift ist 127 Seiten lang.
Der Chef des Familienclans und drei seiner Söhne sollen etwa einen Friseur wie einen Leibeigenen behandelt und ihn ausgebeutet haben. Anfang November 2020 eröffneten sie laut Anklage einen Friseursalon in Leverkusen, in dem der Mann mit der Option arbeitete, irgendwann Geschäftsführer zu werden. Die Familie soll den Salon mit Kameras überwacht und den Friseur dazu gezwungen haben, sechs Tage in derWoche je zwölf Stunden zu arbeiten. Auch die Pausenzeit war vorgegeben: 15 Minuten soll er gehabt haben, um mittags etwas zu essen. Sein Monatslohn: 1000 Euro. Der Mann erkrankte an Corona, woraufhin das Clan-Oberhaupt seinen Lohn komplett gestrichen haben soll. Als der Friseur von Kündigung sprach, soll ihm gesagt worden sein:
„Du kannst über deinen Ausstieg nicht selbst entscheiden.“Erst müsse er 26.000 Euro bezahlen, die die Familie in den Salon investiert habe. Ende März 2021 floh der Mann laut Anklage nach München. Der ClanChef soll ihn in einem Telefonat allerdings derart bedroht und unter Druck gesetzt haben, dass er zurückkehrte und noch mehrere Monate weiter schuftete – bis zur Festnahme der nun Angeklagten.
In einem anderen Fall soll der Hauptangeklagte den Inhaber einer Pizzeria in Essen bedroht und Schutzgeld von ihm erpresst haben. 30.000 Euro soll er gefordert haben, der Lokalbetreiber bekam allerdings nur rund 14.000 Euro zusammen. Eines Morgens waren die Scheiben seines Lokals eingeschlagen und die Inneneinrichtung zer
trümmert. Auch ein Werkstattinhaber in Düsseldorf sollte laut Anklage Schutzgeld bezahlen. Der Hauptangeklagte soll in einem weiteren Fall mit seinen Söhnen einen Mann in Düsseldorf bedroht und in einen schallisolierten Keller verschleppt haben. Dort sollen sie ihn verprügelt und in Todesangst versetzt haben.
Der Staatsanwalt beschreibt bei der Anklageverlesung auch brutalste Szenen vonVerstümmelungen und Ermordungen – es sind Videosequenzen, die innerhalb der Großfamilie an Minderjährige verschickt worden sein sollen. Was damit bezweckt werden sollte, bleibt unklar.
Im Juni 2021 hatte die Polizei das Tor zur Leverkusener Villa mit einem Polizeipanzer durchbrochen. Im Gebäude stellten die Einsatzkräfte scharfe Schusswaffen, sechsstellige Summen und Luxusuhren sicher. Die Villa mit 300 Quadratmetern Wohnfläche und einem 1000-Quadratmeter-Grundstück hatte die Familie für 650.000 Euro gekauft, ein Teil des Geldes stammte laut Anklage aus den Sozialleistungen. Die Einziehung der Villa und weiterer Vermögenswerte sind beantragt. Der Hauptbeschuldigte war in Duisburg festgenommen worden. In seinem Auto entdeckten Polizisten damals mehr als 14.000 Euro Bargeld. Auch drei scharfeWaffen wurden bei ihm gefunden.
Der Prozess wird am 28. Juni fortgesetzt. Dann wollen das Familienoberhaupt und zwei Söhne sich äußern. Allerdings nicht zu den Vorwürfen, nur zum Lebenslauf. Ein Urteil wird nicht vor November erwartet.