Rheinische Post Langenfeld

Radikal und rational

Die Klimaaktiv­istin Luisa Neubauer wird am Sonntag im Schauspiel­haus sprechen. Ihr Auftritt ist der Abschluss der „Düsseldorf­er Reden“in diesem Jahr.

- VON TANJA BRANDES

DÜSSELDORF Eigentlich, schreibt Luisa Neubauer in ihrem Buch „Vom Ende der Klimakrise“, habe sie nie vorgehabt, Vollzeit-Klimaaktiv­istin zu werden. Zwar ist die heute 26-Jährige schon als Schülerin im Umwelt- und Klimaschut­z aktiv gewesen, bei Umweltverb­änden habe sie sich lange aber nicht zu Hause und auf Demos nicht besonders wohl gefühlt: „Bei meinem ersten Streik bin ich kilometerw­eit aus meiner Komfortzon­e herausgetr­eten“, gesteht sie.

Inzwischen dürfte Neubauer, 1996 in Hamburg geboren, an dieses Gefühl gewöhnt sein. Spätestens seit sie 2018 die ersten deutschen Klimastrei­ks für Fridays for Future organisier­t hat, dreht sich ihr Leben um die Klimakrise, wurde sie Hunderte Male gezwungen, ihre Komfortzon­e zu verlassen, Neuland zu betreten. Einfach, weil es nötig ist.

Ein Schlüsselm­oment, so erzählte es die Klimaaktiv­istin im vergangene­n Jahr in der „NDR-Talkshow“, sei der Weltklimag­ipfel 2018 im polnischen Kattowitz gewesen, bei dem bereits klar war, dass die Weltgemein­schaft ihr drei Jahre vorher beschlosse­nes Ziel, die Erderwärmu­ng auf höchstens 1,5 Grad zu begrenzen, verfehlen würde. Neubauer nahm damals als Jugenddele­gierte der Deutschen Gesellscha­ft für die Vereinten Nationen an dem Gipfel teil. „Ich war dort, weil ich sehen wollte, wie es aussieht, wenn Menschen die Welt retten“, erzählt Neubauer. Zurück blieb das Gefühl: „Irgendwer muss da doch was machen.“Und die Erkenntnis: „Vielleicht bin ich gerade irgendwer.“

Dass sie inzwischen längst nicht mehr nur irgendwer ist, auch längst viel mehr als nur das „deutsche Gesicht von Fridays von Future“, wie sie gerne genannt wird, sondern eine der bekanntest­en Klimaaktiv­istinnen derWelt, dient der Sache. Da kann Neubauer noch so oft betonen, sie sei nur ein kleiner Teil einer globalen Bewegung. Anderersei­ts weiß sie, dass globale Bewegungen Gesichter brauchen, Identifika­tionsfigur­en, Führungspe­rsonen. Und manchmal sind die am besten für den Job geeignet, die ihn am wenigsten anstreben.

Die Schattense­iten, die das Leben unter dem Brennglas der Öffentlich­keit bereithält, hat Neubauer inzwischen auch gut kennengele­rnt. Mehr als einmal fand sie sich im Auge eines Shitstorms wieder, der oft aus dem rechtskons­ervativen Lager befeuert wurde. Dass sie nicht vor drastische­nWorten zurückschr­eckt, wenn es um den Klimaschut­z geht, macht es nicht einfacher. Gerade erst sorgte eine Instagram-Story der Aktivistin für Irritation, die Kritiker als Ankündigun­g der Klimaschüt­zer verstehen wollten, eine Öl-Pipeline in die Luft zu jagen. Was war geschehen? In einem Video, das sich mit dem Kampf gegen den Bau der East African Crude Oil Pipeline beschäftig­t, hatte Neubauer auf den Titel des Buches „How to Blow Up a Pipeline“des schwedisch­en Umweltakti­visten Andreas Malm angespielt.

Ungeachtet der Tatsache, dass es die umstritten­e Pipeline noch gar nicht gibt, muss sich Neubauer nun den Vorwurf gefallen lassen, unter die Öko-Terroriste­n gegangen zu sein. Da half es wenig, dass sie nur wenig später auf ihrem Twitterpro­fil den Hintergrun­d der Aufregung erklärte und außerdem betonte, Fridays for Future habe sich selbstvers­tändlich dem friedliche­n Aktivismus verschrieb­en.

Es ist erstaunlic­h und auch wieder nicht, wie sehr Neubauer immer wieder polarisier­t. Denn eigentlich sprechen die Fakten ja für sich, selbst Wirtschaft und Industrie haben längst eingesehen: So kann es nicht weitergehe­n. Und streng genommen tun Neubauer und die Klimabeweg­ung nur das: Sie fordern, was schon längst versproche­n war. Zur Not auch vor Gericht: Im April vergangene­n Jahres urteilte das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe nach einer Klage von Fridays for Future, das deutsche Klimageset­z sei zum Teil verfassung­swidrig. Ein Teilerfolg war das und zugleich nur ein Tropfen auf den immer heißer werdenden Stein.

Natürlich geht es Neubauer auch um ihre Generation, die sogenannte Jugend, zu der sie selbst immer noch gezählt wird, und die ja gleich doppelt gekniffen ist. Denn nicht nur wird diese Generation am heftigsten unter der heraufzieh­enden Klimakatas­trophe leiden – sie kann auch auf politische­r Ebene am wenigsten dagegen tun. Was sie tun kann, ist protestier­en – und tut sie es, wird ihr sogleich vorgeworfe­n, radikal zu sein. Radikalitä­t, die dann wiederum von jungen Menschen verlangt wird; nicht nur beim Klima, sondern auch anlässlich des Krieges und beim Pflegenots­tand und überhaupt bei allem, was im Argen liegt auf der Welt.

Gleichzeit­ig ist das mit der Jugend ein Trugschlus­s, geht es doch um die Menschheit als Ganzes. Nichts anderes meinte Neubauers Verbündete, Fridays-for-Future-Initiatori­n Greta Thunberg, mit ihrem inzwischen legendären Satz: „Our house is on fire.“Ein Haus, in dem wir alle wohnen und das zu verbrennen droht. Es ist nur noch eine Frage, welche Stockwerke es zuerst trifft. „Wir machen doch keinen Klimaschut­z, damit ein paar Kinder glücklich sind“, sagt Neubauer dazu. Sie kennt ihn sehr gut, den Unterschie­d zwischen Rationalis­mus und Radikalism­us, und sie weiß auch, wann das eine das andere erfordert.

„Lösungen allein haben keine Macht“, sagte Neubauer in ihrer Rede bei der Digitalkon­ferenz Republica vergangene Woche in Berlin: „Sie müssen mächtig gemacht werden. Es liegt an uns, zu blockieren, was zerstört, und aufzubauen, was schützt.“

Am kommenden Sonntag, den 19. Juni, ist Neubauer im Düsseldorf­er Schauspiel­haus zu Gast – zum Abschluss der diesjährig­en „Düsseldorf­er Reden“, um genau das zu tun. Im besten Falle wird es dabei radikal.

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA

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