Wie Unternehmen ihre Widerstandsfähigkeit stärken können
Krieg und Pandemie setzen der Wirtschaft stark zu. Manche schaffen es nicht mehr, doch einige Unternehmen gehen sogar gestärkt aus den Krisen hervor. Wie kann die Resilienz, das heißt die Fähigkeit, schwierige Situationen ohne anhaltende Schäden zu überst
Für die von Prof. Dr. Sven-Joachim Otto, Partner in der Sozietät Ernst &Young Law und ausgewiesener Experte für Themen wie Energie, Infrastruktur und Öffentliches Recht, moderierte Runde haben die Organisatoren einen Impulsgeber eingeladen, der aus eigener Erfahrung einiges zum Thema Resilienz beitragen kann. Prof. Dr. Andreas Pinkwart kämpfte während der zurückliegenden zwei Jahre als Wirtschaftsminister des Landes NRW gegen die ökonomischen Folgen der Corona-Krise.„Wir mussten vieles anpassen, aber selbst während der Pandemie haben sich Firmen neu bei uns angesiedelt“, bilanziert der Minister. Sein Fazit: „Wir haben viel an Resilienz gewonnen und sind besser auf solche Szenarien vorbereitet als vor zwei Jahren.“Beim Impfen und der Digitalisierung sei man vorangekommen, und auch das Pandemiemanagement habe sich verbessert.
Doch nun stünden Politik undWirtschaft vor der nächsten Bewährungsprobe: „Der Ukraine-Krieg hat einen hohen Anpassungsdruck ausgelöst, uns bei der Energieversorgung von Russland zu lösen.“Pinkwart verweist auf eine Länderinitiative, die bereits 2019 im Bundesrat der Bundesregierung aufgetragen habe, mehr Terminals für Flüssiggas (LNG) zu bauen. „Besser ist es, solche Dinge umzusetzen, bevor man in Not gerät“, sagt Pinkwart. Um die Resilienz der Gesellschaft zu erhöhen, könne es hilfreich sein, mehr in Vorsorge zu investieren.
Hans Peter Bork (Rheinische Post) berichtet aus der unternehmerischen Praxis, was Resilienz konkret bedeutet: „Im März 2020 herrschte zunächst Katastrophenstimmung.“Im Lockdown wurden viele Aktivitäten heruntergefahren, auch in Unternehmen. Mitarbeiter mussten zu Hause bleiben. „Doch die Umstellung auf Homeoffice hat bei uns sensationell schnell funktioniert. Wir haben das Jahr sogar ergebnismäßig vergleichsweise gut überstanden.“Auch 2021 sei ein wirtschaftlich sehr ordentliches Jahr gewesen. „Nun dachten wir, ein entspannteres Jahr 2022 zu erleben. Doch seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind wir in einer anderen Welt angekommen“, sagt Bork.
Neue Herausforderungen für Unternehmen, die einmal mehr zeigen müssen, was Resilienz bedeutet. Es geht um Widerstandsfähigkeit, erklärt SvenJoachim Otto. Konkret bezogen auf die aktuelle Lage: Die Wirtschaft muss sich widerstandsfähiger machen, indem sie sich von Russland und möglicherweise auch von China unabhängiger macht. „Decoupling“lautet das Zauberwort. Auch auf das Lieferkettengesetz bezieht Otto den Begriff Resilienz und wertet positiv, dass es für mehr Transparenz sorgen kann. Diese wiederum kann zur Stärkung der Widerstandskräfte genutzt werden.
Chancen nutzen
Daran knüpft Prof. Dr. Dirk Uwer (Hengeler Mueller) direkt an: Zwar sei das Gesetz regulatorisch eine Belastung. „Aber es sorgt auch für eine Generierung neuer Daten, die das Unternehmen nutzen kann. Darin liegen auch
Chancen.“Im Gespräch mit Pinkwart nutzt Uwer die Gelegenheit für kritische Rückfragen an die Politik allgemein: „Es ist ambitioniert, sich erst dann mit dem Thema Resilienz zu befassen, wenn es eigentlich zu spät ist. Die Politik hatte offenbar keine Lösungen in der Schublade.“Den Ball nimmt der Minister gerne auf – sowohl auf die Pandemie bezogen als auch auf den Krieg: „Man hätte auf beide Herausforderungen sicher besser vorbereitet sein können.“Die westliche Politik habe im Russland-Ukraine-Konflikt nicht abgestimmt gehandelt. Und für die Pandemie habe es bereits lange vor ihrem Ausbruch entsprechende Szenarien gegeben.
„Es wurden nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen“, bilanziert Pinkwart und sieht darin auch ein Problem der „Wohlfahrtsgesellschaft“insgesamt: Man habe „Situationen, die sich als vorteilhaft zeigen, genutzt und Risiken verdrängt“. Ebenso aber auch Unternehmen: „Wie können Industrien, die die Digitalisierung ausbauen, akzeptieren, dass sie weltweit von nur zwei Chipfabriken beliefert werden?“Beim Thema Abkoppeln von Russland zeigt sich Pinkwart „überrascht, wie kurzsichtig wir das Thema reflektieren“, und verweist auf Entwicklungen der vergangenen Jahre: Während der Präsidentschaft Trumps in den USA habe man aufgeatmet, als sich Chi
na zum Welthandel bekannte, und auch bei Russland öfter mal „ein Auge zugedrückt“. In Deutschland habe man Gas-Fracking ebenso abgelehnt wie LNG-Terminals, über die solches Gas aus den USA importiert worden wäre. „Jetzt müssen wir ehrlicher werden und erkennen, wo wir in der Gefahr stehen, uns in Abhängigkeiten zu begeben.“
Ist Freiheit wichtiger als Welthandel? Diese häufig diskutierte Frage greift Moderator Sven-Joachim Otto auf und reicht sie an Prof. Dr. Birgit Spießhofer (Dentons Europe), der Impulsgeberin der ersten Gesprächsrunde, weiter. „Eigentlich war bislang Konsens, dass Freiheit die Basis für freien Welthandel ist“, präzisiert die Juristin. Die von Otto zitierte Frage beziehe sich auf den aktuellen Konflikt, in dem der Freiheit der Ukraine der Vorrang vor freiem Handel eingeräumt werde. Ähnlich mahnt Spießhofer auch bei der Diskussion des Konzeptes„Wandel durch Handel“zu einer differenzierteren Sichtweise:„Wandel durch Handel hat in denVölkern sehr wohl viel bewirkt.“
Herausforderungen für Unternehmen
Widerstandskraft in der Wirtschaft – ein Thema, zu dem Dr. Dirk Andres (AndresPartner) als Sanierungsexperte und Fachanwalt für Insolvenzrecht einige Impulse aus der Praxis geben kann. Neben Krieg und Corona stehe bei Unternehmen mit Blick auf die Resilienz das Thema Klimawandel langfristig noch stärker im Fokus, sagt Andres. Auf einem anderen Gebiet geht man offenbar sehr leichtfertig mit der Fähigkeit um, Widerstandskraft zu entwickeln. Jedenfalls zeigt sich Andres erstaunt über ein Phänomen, das er immer wieder beobachtet: Unternehmen verlassen sich auf nur einen einzigen Lieferanten. Fällt der aus, hat das gravierende Folgen. „Aber der wirtschaftlich kurzfristige Unternehmenserfolg wird über die Resilienz gestellt“, beklagt Andres. Pinkwart weiß allerdings auch aus der Pandemieerfahrung, dass sich einige Unternehmen aktiv um ihre Zulieferer gekümmert und damit deren Überleben gesichert hätten.
Bei den Lieferketten beobachtet Andres indes eine ähnliche Reduzierung der Möglichkeiten: „Lieferketten werden oft so gehalten, dass sie gerade noch funktionieren.“Zulieferer hätten wenig Spielraum, ihre eigene Resilienz auszubauen. Wenn es dann zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten komme, werde der Ruf nach der Politik laut,„und am Ende zahlt der Steuerzahler die Zeche“. Ebenso gebe man Unternehmen, die sich in einer Restrukturierung befinden, oft nicht „die Luft, die sie brauchen“.
Doch unterm Strich seien die mittelständischen Unternehmen gut durch die Krisenjahre gekommen, sagt Dr. Andreas Urban (Heuking Kühn Lüer Wojtek). „Sie haben früh gegengesteuert. Sie sind nicht sehr hoch fremdfinanziert und deshalb auch nicht so stark durch einen Zinsanstieg gefährdet.“Urban bescheinigt dem Mittelstand eine„eher konservative Grundhaltung“. Hier finden sich viele Weltmarktführer in ihren Segmenten, die so genannten Hidden Champions. „Sie haben eine gute Ausgangsbasis.“Natürlich habe die Krise einige auch hart getroffen, „aber die Grundaufstellung war sehr gut“. Jetzt stünden die Unternehmen allerdings vor einer anderen Situation. Die größte Gefährdung sehen sie in der Abhängigkeit von Energie und Rohstoffen. Viele Branchen wären betroffen, wenn es hier zu gravierenden Einschränkungen käme.„Ein Boykott würde uns so stark schädigen, dass wir auch anderen nicht helfen könnten“, fasst Urban zusammen.
Auch Daniel Schacherl (fintegra) sieht das Thema Resilienz bei Unternehmen zunehmend an Bedeutung gewinnen. „Viele haben ihre Strategien in den zurückliegenden zwei, drei Jahren deutlich geändert.“Als Beispiel nennt er Vermögensverwalter und andere Kapitalmarktunternehmen. In den vergangenen Jahren hätten Kapitalmarktakteure eine hohe Börsen- und Risikoaffinität entwickelt, mit zunehmendem Hang zu derivativen Finanzinstrumenten. Das habe sich sehr geändert, als durch Krisen- und Kriegsereignisse die Börsen auf Talfahrt gingen. Die Unternehmen seien jetzt defensiver, gingen mehr in Anleihen- und Barbestände, also in Richtung Absicherung.
Sven-Joachim Otto lenkt die Diskussion weiter in einen Bereich, der ebenfalls mit der Stärkung von Widerstandskräften zu tun hat: „Wir haben uns intensiv mit der Rohstoffpolitik befasst. Ein wichtiges Thema ist hier auch die Wiederverwertung.“Die Materialien sind ja bereits im Land. „Das hilft, uns unabhängiger und robuster aufzustellen.“Pinkwart steuert zu diesem Thema Aktivitäten in NRW bei und nennt als Beispiel das „Circular Valley“in Wuppertal, eine Initiative zum Ausbau der Kreislaufwirtschaft. Und die geplante Batteriezellen-Forschungsfabrik, deren Ansiedlung NRW gewinnen konnte und die in Münster entsteht, soll ergänzt werden um eine Forschungsanlage für Batterie-Recycling, die in Ibbenbüren entstehen soll.
Die Diskussionsrunde zeigte also nicht nur, wie Widerstandsfähigkeit aufgebaut werden sollte, sondern auch, was bereits in der Praxis geschieht. Ein Thema, das jedenfalls in Wirtschaft und Gesellschaft eine zunehmend wichtige Bedeutung bekommt.