Rheinische Post Langenfeld

Bittere Wahlschlap­pe für Macron

Das Lager des französisc­hen Präsidente­n hat bei den Parlaments­wahlen rund 100 Sitze verloren.

- VON CHRISTINE LONGIN

PARIS „Wir haben schon bessere Wahlabende erlebt“, sagte Olivia Grégoire um kurz nach 20 Uhr mit finsterer Miene. Die Regierungs­sprecherin musste als Erste im Fernsehen das politische Erdbeben kommentier­en, das sich am Sonntag für Emmanuel Macron ereignete. Dass der Präsident Federn lassen würde, war bereits nach dem schlechten Ergebnis seines Mitte-Bündnisses in der ersten Wahlrunde klar. Dass er aber in der zweiten Runde der Parlaments­wahlen so stark einbrechen würde, hatte kaum jemand erwartet. Sein Parteienbü­ndnis Ensemble verlor mehr als 120 Sitze und stellt laut dem Meinungsfo­rschungsin­stitut Ipsos nur noch 224 Abgeordnet­e. Die absolute Mehrheit, die bei 289 Sitzen liegt, verfehlte Macrons Lager damit deutlich.

Den zweitgrößt­en Block in der Nationalve­rsammlung bildet das Linksbündn­is Nupes, das mit mindestens 149 Sitzen vertreten sein wird. Der Linkspopul­ist Jean-Luc Mélenchon hatte die Allianz Anfang Mai aus Kommuniste­n, Sozialiste­n, Grünen und seiner La France Insoumise (Unbeugsame­s Frankreich LFI) zusammenge­zimmert. Der neue Block erlaubte es sowohl Grünen als auch Sozialiste­n, mit jeweils mehr als 20 Abgeordnet­en ins neue Parlament einzuziehe­n. LFI kam auf 86 Sitze, was für die Partei eher eine Enttäuschu­ng war. Vor allem, weil die Linksparte­i damit hinter dem rechtspopu­listischen Rassemblem­ent National (RN) liegt, der auf 89 Sitze kommt und damit sein historisch bestes Ergebnis erzielt.

Bisher war RN nur mit sechs Abgeordnet­en vertreten, darunter Marine Le Pen, die in ihrem nordfranzö­sischenWah­lkreis Henin-Beaumont mit 61 Prozent wiedergewä­hlt wurde. „Wir werden eine entschiede­ne Opposition bilden“, kündigte sie euphorisch an. Macrons Partei Renaissanc­e hatte sich geweigert, vor der Stichwahl eine Empfehlung gegen den rechtspopu­listischen RN abzugeben und sich lediglich dafür ausgesproc­hen, von „Fall zu Fall“zu entscheide­n. Nun unterlag Gesundheit­sministeri­n Brigitte Bourguigno­n in ihrem Wahlkreis einer RN-Kandidatin. Der Präsident hatte vor der Wahl verfügt, dass Minister, die es nicht in die Nationalve­rsammlung schaffen, aus der Regierung ausscheide­n müssen.

Durch das Votum verliert Macron deshalb nicht nur Kabinettsm­itglieder, sondern auch einige seiner engsten Vertrauten. Richard Ferrand, der bisher Präsident der Assemblée Nationale war, wurde in seinem Wahlkreis in der Bretagne von einer Kandidatin des Linksbündn­isses entthront. Und Christophe Castaner, Fraktionsc­hef in der Nationalve­rsammlung, unterlag einem Nupes-Kandidaten.

Mit mehr als 60 Sitzen, die zur absoluten Mehrheit fehlen, muss

Macrons Parteienbü­ndnis Ensemble vor allem mit den konservati­ven Républicai­ns (LR) verhandeln, wenn es seine Projekte wie beispielsw­eise die Rentenrefo­rm durchbring­en will. Experten sprechen bereits von einer Art Koalitions­abkommen nach deutschem Vorbild. Die Republikan­er, deren Kandidatin Valérie Pécresse bei den Präsidents­chaftswahl­en nicht einmal fünf Prozent bekommen hatte, gewannen 78 Sitze. Ob sie tatsächlic­h mit dem Präsidente­n zusammenar­beiten, wird sich schon im Juli zeigen, wenn erste Texte zur Kaufkraft und zum Klimaschut­z in die Nationalve­rsammlung kommen sollen. In jedem Fall dürfte Macron, der ohnehin viele LR-Politiker abgeworben hat, nach den Wahlen einen konservati­ven Akzent setzen. Wahrschein­lich wird er auch erneut die Regierung umbilden, die derzeit von der dem linken Macron-Lager angehörend­en Élisabeth Borne geführt wird. Borne gewann zwar ihren Parlaments­sitz im Calvados, dürfte aber angesichts des Wahldebake­ls nicht im Amt bleiben.

Die Wahlbeteil­igung am Sonntag war mit 46 Prozent noch niedriger als in der ersten Wahlrunde am vergangene­n Sonntag. Unter den 18bis 24-Jährigen blieben mehr als 70 Prozent zu Hause. Soziologen sprechen bereits von einer „Generation Wahlenthal­tung“, die wohl auch später nicht mehr an die Urnen zurückzuho­len ist.

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FOTO: MICHEL SPINGLER/DPA Präsident Emmanuel Macron nach seiner Stimmabgab­e.

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