Nord Stream 1 liefert bald nichts mehr
Im Juli wird wegen Wartung kein Gas mehr ankommen. Die Netzagentur warnt bereits vor Engpässen. Nun soll die Industrie freiwillig ihren Verbrauch reduzieren. RWE und Eon lehnen eine längere Laufzeit für Atommeiler ab.
DÜSSELDORF Die Gaskrise verschärft sich. Russland liefert nur noch 40 Prozent seiner sonst üblichen Menge durch die Pipeline Nord Stream 1. Bald dürfte es noch weniger werden: Mitte Juli steht die jährliche, mehrtägige Wartung der OstseeRöhre an. „Während der Inspektion kann die Leitung kein Gas transportieren“, betont die Bundesnetzagentur. Sie bezweifelt, dass bei den aktuellen Mengen die Versorgung im Winter sicher sein wird. „Stand heute haben wir ein Problem“, sagte Netzagentur-Präsident Klaus Müller am Dienstag. „Die Reduzierung von Nord Stream 1 ist dramatisch.“Er wisse nicht, wie der Stand nach der Wartung sein werde.
Wie voll sind die Gasspeicher? Aktuell sind die Speicher in Deutschland zu 58,1 Prozent gefüllt. Das ist ein höherer Stand als etwa 2017, 2018 oder 2021. Der größte deutsche Speicher in Rehden, der Gazprom Germania gehört, ist aber nur zur 12,4 Prozent gefüllt. Gazprom hatte ihn fast leerlaufen lassen. Seit die Netzagentur Treuhänder von Gazprom Germania ist, wird so viel eingespeichert wie möglich.
Wie soll die Industrie nun Gas sparen?
Die Netzagentur sucht nun gemeinsam mit der Industrie nach Einsparmöglichkeiten. Großverbraucher wie Chemie- und Stahlkonzerne können dem zentralen Gasbeschaffer, der Trading Hub Europe (THE) mit Sitz in Ratingen, Gasmengen anbieten, die sie aktuell nicht brauchen. Die günstigsten Angebote erhalten wie bei einer Auktion den Zuschlag. „So können Unternehmen selbst mitbeeinflussen, zu welchen Zeitpunkten eine Drosselung oder Abschaltung ihrer Prozesse sinnvoll ist. Wenn die Bundesnetzagentur Reduzierungen des Verbrauchs anordnet, wird dies nicht mehr möglich sein“, erklärte die Behörde. Überschüssige Mengen könnten gespeichert werden.
WannkommtdienächsteWarnstufe?
Am 30. März hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Müller und die Branche halten nichts davon, jetzt die zweite oder gar dritte Warnstufe folgen zu lassen. Dahinter steht auch die Sorge vor Panik am Gasmarkt und weiter steigenden Preisen. Dann müssten die Einkäufer vom Großhändler bis zum Stadtwerk für ihre Geschäfte noch mehr Sicherheiten hinterlegen.Weil das manchen überfordern würde, schnürt die Bundesregierung bereits ein milliardenschweres Hilfspaket mit der Förderbank KfW. Gegenüber dem Vorjahr hat sich der Großhandelspreis bereits verdreifacht.
Sollen die Atomkraftwerke länger laufen?
Union und FDP machen weiter Druck. Bayern würde das Eon-Kraftwerk Isar 2 gerne länger laufen lassen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Johannes Vogel, fordert ein „Winterpaket“, die Laufzeiten sollten „zumindest über diesen Winter“verlängert werden. Habeck und Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatten im März dagegen eine Verlängerung als nicht sinnvoll abgelehnt. Ihre Argumente: Die Sicherheitsprüfungen seien auf eine Abschaltung Ende 2022 ausgerichtet, die Brennelemente dann weitgehend aufgebraucht. Zudem kommt das Uran meist aus Russland.
Und die Branche? Sie winkt ab. Ein Eon-Sprecher sagte: „Anfang März haben sich Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke öffentlich gegen eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken in Deutschland ausgesprochen. Damit hat die Bundesregierung eine politische Abwägungsentscheidung getroffen.“EonChef Leonhard Birnbaum warb in einem Brief an die Mitarbeiter der Atomtochter Preussen Elektra um Verständnis: „Die Bundesregierung ist nach einer Abwägung zu der Entscheidung gelangt, dass Kernenergie nicht Teil der Lösung sein sollte. Diese Entscheidung müssen wir respektieren.“Die Belegschaft habe trotz der vielen Wendungen zuverlässig gearbeitet. RWE hält ohnehin am Aus fest: „Unser Kraftwerk im Emsland ist auf den Auslaufbetrieb zum Ende des Jahres ausgerichtet, zu dem Zeitpunkt wird der Brennstoff aufgebraucht sein. Ein Weiterbetrieb über den 31. Dezember hinaus wäre mit hohen Hürden technischer und genehmigungsrechtlicher Natur verbunden.“