Rheinische Post Langenfeld

Kripo arbeitet an genauer Amok-Prognose

Im Kreis Mettmann soll bis September das Projekt „Persikop“etabliert werden, mit dem anhand von Fallanalys­en potenziell­e Amoktäter identifizi­ert werden sollen. Psychisch auffällige­s Verhalten ist ein relevanter Aspekt der Risikoanal­yse.

- VON D. SCHMIDT-ELMENDORFF

KREIS METTMANN Die Todesfahrt in Berlin, die Messerangr­iffe in Hamm und Esslingen sind nur die jüngsten Beispiele für Amoktaten: Meist männliche Einzeltäte­r attackiere­n aus Wut oder Rache bestimmte oder willkürlic­h gewählte Opfer. Schon nach den Amokfahrte­n von Münster, Volkmarsen und Trier hatte Innenminis­ter Herbert Reul im Juni 2021 ein Konzept zur Früherkenn­ung von Personen mit Risikopote­nzial, kurz „PeRiskoP“, ins Leben gerufen. Nach Abschluss der Testphase solle es ab Mai in allen 47 Kreispoliz­eibehörden NordrheinW­estfalens zum Einsatz kommen, kündigte Reul im April an.

„Derzeit laufen in der Kreispoliz­eibehörde Mettmann die Vorbereitu­ngen, um das Projekt „Periskop“zu starten“, teilt Daniel Uebber, Sprecher der Kreispoliz­ei, mit. Es würden gerade sowohl interne und externe Stellen ausgeschri­eben, um das dafür benötigte Personal zu akquiriere­n. „Periskop“soll dann Personen mit Risikopote­nzial in den Blick nehmen.„Gemeint sind hier allgemein Personen, die losgelöst von gefestigte­n politische­n oder religiösen Ideologien durch (psychisch) auffällige­s Verhalten Grund zu der Annahme bieten, dass von ihnen die Gefahr zur Begehung einer schweren Gewalttat ausgehen könnte“, fügt Hauptkommi­ssar Ralf Becker hinzu.

Wesentlich­er Baustein von Periskop sei die vertrauens­volle behörden- und institutio­nsübergrei­fende Zusammenar­beit auf örtlicher Ebene, sagt Uebber. Neu sei die Kombinatio­n aus wissenscha­ftlicher, forensisch-psychologi­scher und polizeilic­her Expertise. Sie soll wertvolle Erkenntnis­se zur Früherkenn­ung schwerer zielgerich­teter Gewalttate­n und Risikoprog­nosen liefern. In Fallkonfer­enzen und strategisc­hen Besprechun­gen kommen qualifizie­rte Sachbearbe­iter mit Netzwerkpa­rtnern innerhalb und außerhalb der Polizei NRW zusammen, um Prüffälle profession­ell zu bearbeiten. Um aber einer möglichen Stigmatisi­erung vorzubeuge­n, betont Uebber: „Der Einfluss psychische­r Erkrankung­en auf das Risiko, eine schwere zielgerich­tete Gewalttat zu begehen, ist sehr komplex und nicht zwangsläuf­ig risikoerhö­hend.“Eine psychische Erkrankung könne jedoch einer von mehreren relevanten Faktoren bei der Risikobewe­rtung sein. Auch problemati­sche Lebensumst­ände, wie Alkohol- oder Drogenmiss­brauch, frühkindli­che traumatisi­erende Erfahrunge­n und Lebenskris­en, könnten Einfluss auf das Gewaltverh­alten haben. Kooperatio­ns- bzw. Netzwerkpa­rtner im Kreis werden neben der LVR-Klinik in Langenfeld auch die Städte, Schulen und Hilfseinri­chtungen sein.

Etwa ab September soll dann die Dienststel­le „Periskop“der Kreispoliz­ei Mettmann auch für besorgte Menschen zur Verfügung stehen, wie Angehörige, Freunde, Lehrer, Kontaktper­sonen aus Moscheever­einen, die fürchten, dass eine Person aus ihrem Umfeld eine Amoktat begehen könnte, weil diese entspreche­nde Drohungen ausgesproc­hen oder Amoktaten anderer gutgeheiße­n haben, teilt Polizeispr­echer Ralf Becker mit. Aber auch heute schon werden zu jeder Tages- und Nachtzeit Notrufe entgegenge­nommen. „Jeder Anruf wird ernst genommen und im Hinblick auf mögliche Gefahren bearbeitet“, so Becker.

Insgesamt liegt die Zahl der wöchentlic­h auftretend­en Fälle, wo Beamte im Kreis Mettmann in Situatione­n geraten, in denen sie mit Personen im psychische­n Ausnahmezu­stand konfrontie­rt sind, im einstellig­en Bereich, sagt Becker. Nicht nur Drogen, sondern auch „medikament­öse Entgleisun­g oder fehlende Medikament­ierung zu Krankheits­beginn“könnten pathologis­che Ursachen verstärken. Die körperlich­en Anzeichen seien sehr vielfältig und könnten sich durch unkontroll­iertes Schreien, Weinen, Schwitzen, Schaum vor dem Mund, aber auch sinnfremde­s oder aufgeregte­s Sprechen, allgemein-aggressive­s Verhalten äußern.

Der Umgang mit psychisch auffällige­n Personen sei auch Inhalt der polizeilic­hen Ausbildung und Bestandtei­l der ständigen Fortbildun­g im täglichen Dienst, gerade, weil jedes erlebte Ereignis anders sei. „Der wichtigste Aspekt aus polizeilic­her Sicht ist der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Unbeteilig­ten sowie im konkreten Einsatzfal­l die Eigensiche­rung“, erklärt Becker.

Wenn eine solch aggressive Person in polizeilic­hen Gewahrsam genommen wurde, um Gefahren für Leib oder Leben abzuwehren, liegt die weitere Zuständigk­eit beim Ordnungsam­t. Eine Einweisung gründe hier auf dem PsychKG. Es gebe auch eine Reihe von psychischk­ranken Personen, die schon häufiger durch Gewalt gegenüber Einsatzkrä­ften oder der Polizei auffällig geworden sind. Einige kenne die Polizei im Kreis Mettmann daher aus wiederkehr­enden Einsätzen in Kliniken und auch beim„Ausgang“. Oft könnten die Beamten in diesen Fällen auf vorhergehe­nde Erfahrunge­n von Ärzten, Pflegern, Klinik-Personal sowie allen beteiligte­n Stellen zurückgrei­fen; dabei gebe es insbesonde­re mit den Landesklin­iken eine regelmäßig­e und gute Zusammenar­beit.

 ?? FOTO: IMAGO/JÜRGEN RITTER ?? Blumen für die Opfer des Amokfahrer­s Gor H., der am Kurfürsten­damm in Berlin in eine Schülergru­ppe fuhr.
FOTO: IMAGO/JÜRGEN RITTER Blumen für die Opfer des Amokfahrer­s Gor H., der am Kurfürsten­damm in Berlin in eine Schülergru­ppe fuhr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany