Inflation legt im Juni eine Pause ein
BERLIN Im Mai war die Teuerungsrate mit 7,9 Prozent so hoch ausgefallen wie seit dem Winter 1973/74 nicht mehr. Im April betrug sie 7,4 Prozent. Energie verteuerte sich im zu Ende gehenden Monat Juni mit 38,0 Prozent nicht mehr ganz so stark wie im Mai mit 38,3 Prozent. Nahrungsmittel kosteten dagegen 12,7 Prozent mehr als im Juni 2021. Hier hat sich der Preisauftrieb sogar noch einmal beschleunigt (Mai: plus 11,1 Prozent).
Volkswirte sprachen von einer Atempause, nicht von einem Wendepunkt bei der Teuerung. Die staatlichen Entlastungsmaßnahmen wie Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket hätten den Preisanstieg um etwa 0,9 Prozentpunkte gedrückt, laufen aber im August wieder aus.„Der Höhepunkt der Inflation dürfte eher im September erreicht werden“, sagte der Chefökonom des Vermögensverwalters HQ Trust, Michael Heise.
„Man darf sich nicht Sand in die Augen streuen lassen“, sagte auch Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater: „Es sind ja insbesondere fiskalische Entlastungsmaßnahmen, die die Inflation etwas herunter gebracht haben.“Erst ab Januar 2023 dürfte es bei den Preisen wieder nach unten gehen, wenn nicht neue Krisen ausbrechen.
„Spätestens mit dem Ende der staatlichen Entlastungen im September sollte die Inflation wieder nach oben springen“, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer: „Das gilt umso mehr, als die deutschen Unternehmen die massiv gestiegenen Materialkosten noch lange nicht vollständig an die Verbraucher weitergegeben haben.“In der Wahrnehmung der Verbraucher steigen die Preise noch schneller als offiziell gemessen: Die gefühlte Inflationsrate liege derzeit bei fast 18 Prozent, so Dekabank-Chefvolkswirt Kater: „Das ist ebenfalls historisch hoch.“Viele Haushalte müssten auf Erspartes zurückgreifen, um über die Runden zu kommen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) steht weiter unter Druck, die auch im Euro-Raum stark gestiegene Inflation unter Kontrolle zu bringen. EZB-Chefin Christine Lagarde deutete an, der Leitzins könne im Juli auch stärker als um 0,25 Prozent angehoben werden. Manche Volkswirte rechnen nun mit einer Erhöhung um 0,5 Punkte. Allerdings steckt die Notenbank in einem Dilemma: Steigert sie den Zins zu sehr, verstärkt sie die Refinanzierungsprobleme stark verschuldeter Staaten wie Italien. Eine neue Eurokrise zusätzlich zur Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg darf sich Europa nicht leisten.