Zukunftsangst rund um Yellowstone
Während der südliche Teil des US-Nationalparks seit einigen Tagen wieder eingeschränkt geöffnet ist, bangen die Menschen im Norden um die Sommersaison. Denn der Tourismus ist ihre wichtigste Einnahmequelle.
RED LODGE (ap) Die Unsicherheit ist groß in Gardiner am Yellowstone National Park, nachdem bislang nie dagewesene Überflutungen zur Schließung des Naturgebiets geführt und Straßen, Brücken und Häuser weggerissen haben. Die Stadt selbst entging denWassermassen, aber beherbergte vorübergehend Hunderte von Parkbesuchern, die gestrandet waren, als die Straße entlang dem angeschwollenenYellowstone River gesperrt werden musste. Als sie wieder geöffnet wurde, verschwanden die Touristen – und kamen bis heute nicht wieder.
„Die Stadt ist im Augenblick gespenstisch“, schildert Katie Gale. Sie arbeitet für eine Firma, die Raftingund andere Touren im Park anbietet. „Wir hatten all diese Leute, die hier festsaßen, und sobald sie die Straße öffneten, war es so, als ob jemand den Stöpsel aus einem Badewannenabfluss gezogen hätte.“
Der Verlust der Besucher bereitet Unternehmen in Städten wie Gardiner und Red Lodge große Sorgen. Beide sind die Tore zu den Yellowstone-Nordeingängen und von den Touristen abhängig, die auf ihrer Fahrt hier haltmachen. Der südliche Teil von Yellowstone mit dem berühmten Geysir Old Faithful ist inzwischen mit Einschränkungen wieder geöffnet. Aber das Nordende mit dem Tower Fall, einem mächtigenWasserfall, und das LamarValley, in dem Bären und Wölfe leben, könnte noch monatelang geschlossen bleiben, nachdem Abschnitte größerer Straßen im Park weggespült oder von Steinschlägen blockiert wurden. Auch Straßen, die in das Gebiet führen, sind zum Teil stark beschädigt, und die Reparaturarbeiten dürften länger dauern.
Red Lodge ist sogar doppelt betroffen. Teile der Stadt wurden ebenfalls überflutet, und jetzt muss gereinigt und repariert werden. Außerdem muss ein Weg gefunden werden, ohne das Sommergeschäft zu überleben, das normalerweise genügend Einkünfte bringt, um den Rest des Jahres über die Runden zu kommen.„Winter in Red Lodge sind hart“, sagt Chris Prindiville, während er mit einem Wasserschlauch den Gehweg vor seinem geschlossenen Café vom Schlamm befreit:„Du musst dein Geld im Sommer verdienen, damit du es schaffst, wenn die
Rechnungen weiter kommen, aber keine Besucher mehr.“
Die Menschen in Red Lodge waren nach den Überschwemmungen gehalten, Wasser aus ihren Hähnen abzukochen. Lastwagen versorgten die Hälfte der Stadt mit Trinkwasser. Mobile Toiletten wurden in Gebieten platziert, in denen die Menschen daheim nicht spülen konnten.
Das Yodeler Motel, das einst finnische Bergarbeiter beheimatete, ist nun mit seiner ersten Schließung konfrontiert, seit es 1964 als Besucherquartier öffnete. 13 Räume in der unteren Etage standen brusthoch unter Wasser. Diese muss nun gänzlich erneuert werden, wie Be
sitzer Mac Dean schildert. Er hatte mit einer starken Sommersaison gerechnet; das Yodeler Motel verzeichnete die höchste Zahl an Buchungen, seit Dean und seine Frau es vor 13 Jahren übernommen hatten. Jetzt hofft er auf staatliche Unterstützung. „Der Schaden ist katastrophal“, sagt Dean: „Wenn wir keine Hilfe bekommen, werden wir es nicht schaffen.“
Die Fluten – ausgelöst wurden sie von einer Kombination extrem starken Regens und rapider Schneeschmelze – kamen genau zu dem Zeitpunkt, als sich Hotels in der Umgebung des Parks mit Touristen zu füllen begannen. Der Juni ist
stets einer der am besten gebuchten Monate.
Die Tourismus-Saison hatte gut angefangen für Cara McGary, die Gruppen durch das Lamar Valley führt. An manchen Tagen in diesem Jahr hat sie mehr als 20 Grizzlys zu Gesicht bekommen. Jetzt, da die Straße von Gardiner in den nördlichenYellowstone vomWasser ausgewaschen wurde, sind die Bären, Wölfe, Elche und Bisons weiter da, aber für McGary nicht zu erreichen. Ihr Unternehmen In Our Nature steckt plötzlich in Schwierigkeiten. „Dies ist ein 80- bis 100-prozentiger Verlust an Umsatz während der Hochsaison“, klagt sie.
Manche meinen, dass Gardiner, Red Lodge und andere kleine Orte auch ohne geöffneten Zugang zum Park Besucher anziehen könnten. Auch hier sei die Gegend schön und habe viel zu bieten, argumentieren sie. Dazu zählt Sarah Ondrus, deren Unternehmen Paradise Adventure Company Blockhäuser vermietet und Rafting-, Kajak- sowie Reittouren anbietet. Sie ist frustriert über die vielen Stornierungen.„Montana und Wyoming existieren doch weiter“, sagt sie. Sobald die Wasserqualität in den Städten wieder hoch sei und die zuständigen Stellen grünes Licht gegeben hätten, „können wir wieder loslegen. Es ist weiter ein schöner Urlaubsort. Man kann weiter reiten, zu Cowboy-Grillpartys gehen und in Staatsforsten wandern.“
Aber das könnte denn doch zu aufwendig werden für Gäste, die von den südlichen oder östlichen Seiten des Parks kommen und gehofft hatten, ihn im Norden zu verlassen.Wer durch den Südeingang in den Park fährt, müsste einen Umweg von fast 320 Kilometern über West Yellowstone und Bozeman machen, um Gardiner zu erreichen. Und vom Osteingang bei Cody (Wyoming) aus wäre es eine fast 480 Kilometer lange Fahrt. Die Menschen im Norden bangen also weiter um ihre Zukunft.