Tag und Nacht mit dem Floß auf der Maas
Auf den Seen nahe Roermond kann in Booten auf dem Wasser übernachtet werden. Mit den kleinen schwimmenden Holzhäusern geht es gemächlich voran. Man kann entweder in Kojen schlafen – oder direkt unter den Sternen.
Sie heißen Runa, Ragna, Kera, Lorn und Suna und haben sich gut hinter dem Maasdeich im niederländischen Örtchen Buggenum nahe Roermond versteckt. Ein kleines Schild an der Treppe weist auf „Treibgut“hin, aber davon ist das, was wir auf der anderen Seite im kleinen Hafen entdecken, weit entfernt. Statt willkürlich zusammengewürfelter Fundstücke aus dem Wasser erwartet uns eine Flotte von fünf äußerst stabilen Flößen des Verleihs „Treibgut“samt „Häuschen“, in dem sich je nach Modell vier bis fünf Schlafplätze und eine Küche eröffnen. Und „Treib gut“ist dann auch mehr als Aufforderung zu verstehen, denn den Alltag gibt man hier am Ufer ab, um mehr als entspannt über die Maas und deren ausgedehnte Seenlandschaft zu gondeln – natürlich nicht ganz „losgelassen“, sondern mit Motorkraft, Steuerrad und Anker zum Festmachen.
Chefin der Flotte ist Corinna Köhler, die 2019 mit zwei Flößen als Franchiseunternehmerin des „Floßverleih Treibgut“in Buggenum in eine neue Selbstständigkeit gestartet ist. Seitdem vermietet sie Runa, Ragna, Kera, Lorn und – ganz neu im Jahr 2022 – Suna für Mehrtagestouren, in der Nebensaison auch tageweise. „Floß fahren bei ‚Treibgut‘ ist wie Camping auf demWasser“, erklärt Corinna Köhler uns mit einem Lächeln. Und das ist wörtlich zu nehmen, denn Ausrüstung wie Luftmatratzen, Schlafsäcke und Kissen muss man mitbringen. Statt Zelt befindet sich auf den drei mal sechs Meter großen Flößen ein geräumiger hölzerner Aufbau, dank aufklappbarer Holzpritschen je nach Modell mit vier bis fünf Schlafplätzen, auf denen man es sich gemütlich machen kann. „Bei warmem Sommerwetter ziehen viele Gäste es auch vor, auf dem Dach des schwimmenden Häuschens unter freiem Himmel zu schlafen, auch das ist möglich. Oder man leiht sich bei uns eine Hängematte“, berichtet Corinna Köhler.
Im vorderen Teil des Floßes kann man auf einer „Terrasse“mit Tisch und Sitzmöglichkeiten sowie Steuerstand die Seele baumeln lassen und die Aussicht genießen, während hinten der Außenbordmotor seine Arbeit verrichtet (nur bei Runa und Ragna ist das Steuer im Heck). Ein zweiflammiger Gasherd bildet die Campingküche, Geschirr und Frischwasser zum Kochen oder Spülen für die entsprechende Personenanzahl ist bei Floßübernahme an Bord, ebenso eine Campingtoilette. Trinkwasser in Flaschen sollte man aber selbst besorgen – und braucht dabei auch auf ein wenig Kühlung nicht zu verzichten. „Das hier ist unser Weinkeller“, scherzt Corinna Köhler und zeigt auf eine Klappe im Boden, unter der sich ein Hohlraum verbirgt. Die kühlste Stelle an Bord liegt direkt über dem Wasser und bietet genug Stauraum für weitere Vorräte. Ansonsten rät der Floßverleih, einen Eimer mitzunehmen und mit Seewasser zu füllen, um Getränke oder Vorräte darin einigermaßen kühl zu halten.
Nun aber endlich zumWichtigsten – dem Fahren. Dafür braucht man keinen speziellen Führerschein, sondern bekommt vom Verleih eine detaillierte Einweisung, die eine gute halbe Stunde dauert.Wie man den Motor an- und ausstellt, Gashebel und Steuerrad richtig bedient, den Rückwärtsgang einlegt und manövriert – klingt viel, ist aber tatsächlich gar nicht so schwierig. Der dicke Gummi-Fender, also ein Abstandshalter, der an den Seiten der Flöße montiert ist, gibt zusätzliche Sicherheit zum Beispiel beim Anlegen neben anderenWasserfahrzeugen. Auch Infos zum richtigen Verhalten in Schleusen und beim Anlegen sowie einige Seefahrtsregeln und eine Schilderkunde gehören zur Einweisung. „Die Maas ist eine internationale Schifffahrtsroute, auf der auch sehr große Schiffe unterwegs sind, die immer Vorfahrt haben“, erläutert Corinna Köhler. Zum Glück ist der Fluss zum einen aber auch breit genug und hat zum anderen kaum nennenswerte Strömung, sodass man einer solchen Begegnung mit einem Frachter gelassen entgegensehen kann – Platz ist genug für alle. Ganz im Gegenteil macht es sogar Spaß, sich von den entsprechend großen Wellen ein wenig schaukeln zu lassen. Seekrank sei übrigens noch keiner ihrer Gäste geworden, erzählt Corinna Köhler. „Vielleicht liegt es daran, dass überall Ufer zu sehen ist und das Auge immer einen festen Punkt ausmachen kann“, mutmaßt sie.
An Bord finden sich im„Logbuch“Karten der Maas samt angrenzender Seen und möglicher Ankerplätze, sodass sich eine Tour gut planen lässt. In liebevoller Detailarbeit hat dieVerleiherin außerdem Tipps für empfehlenswerte Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitaktivitäten in der Region zusammengestellt. Corinna Köhler empfiehlt, die Entschleunigung, die solch ein Urlaub auf dem Floß bietet, auch anzunehmen und nicht möglichst viel Strecke machen zu wollen. „Bei fünf Kilometern pro Stunde Höchstgeschwindigkeit rate ich meinen Gästen, höchstens 20 Kilometer pro Tag zu fahren. Die Gegend ist so schön, es gibt so viel zu sehen und zu entdecken, dass es zu schade ist, einfach nur viel zu fahren“, findet sie.
Wie recht sie hat, entdeckt man schnell, wenn man den kleinen Hafen von Buggenum verlässt. Das Gebiet der Maasplassen, Seen, die durch den Kiesabbau in der Region entstanden sind, erstreckt sich über gut 3000 Hektar bis an die belgische Grenze und bietet viel Abwechslung sowie sehr gute Wasserqualität. Wer Natur pur und Ruhe sucht, wird hier ebenso fündig wie Wassersportfreunde, denen der Sinn mehr nach Schwimmbädern mit aufblasbaren Rutschenparks oder Adrenalinkicks beim Wasserski steht.
Nördlich von Buggenum erreicht man zum Beispiel, wenn man ein Stück auf der „großen“Maas fährt, die „Asseltse Plassen“, einen der ruhigeren Seen, auf dem man auch gut für eine Nacht ankern kann. Sauberes Wasser zum Schwimmen oder für das Ausprobieren eines Stand-up-PaddleBoards, Zeit zum Vögel beobachten, die Stille der Abendstunden genießen – das ist besagte Entschleunigung, von der Corinna Köhler gesprochen hat. Strom gibt es an Bord übrigens bewusst nicht, dafür eine Petroleumlampe, die in der Dämmerung romantisches Licht spendet, und einen zusätzlich mietbaren Grill fürs Barbecue unterm Sternenzelt, wenn das Wetter mitspielt. Stromaufwärts von Buggenum in südlicher Richtung erreicht man in kurzer Zeit das Gegenteil von Ruhe, zumindest tagsüber: Durch eine Schleuse gelangt man entweder in den Stadthafen von Roermond (Anlegen kostenlos über Tag, nicht möglich über Nacht; Innenstadt und Outlet-Center fußläufig erreichbar) oder fährt weiter in das Seengebiet von De Weerd und Hatenboer, wo sich neben einem Freibad (www. palmbeach-roermond.nl) auch eine Wasserskianlage (www.wake-park.nl) und ein Hundestrand befinden sowie einige Strandbars und Restaurants fürs perfekte Urlaubsfeeling. Die Orientierung auf dem Wasser erleichtern übrigens ganz wie im Straßenverkehr Hinweisschilder mit Ortsnamen.
Für das Anlegen oder Ankern über Nacht gibt es ein paar Dinge zu beachten, wie Corinna Köhler ihren Gästen erklärt: „Anlegen darf man an jedem Steg, an dem kein Verbotsschild steht. In größeren Orten oder Städten gibt es meist auch einen Hafen, in dem man gegen eine Liegegebühr Strom bekommt und sanitäre Anlagen nutzen kann. Auf den Seen, die bis zu 40 Meter tief sein können, darf man überall den Anker werfen. Wir empfehlen, in Ufernähe zu ankern. Aus Naturschutzgründen muss man jedoch mindestens zehn Meter vom Gewässerrand und dem Schilfgürtel entfernt bleiben. Auch können in Ufernähe Untiefen vorhanden sein, dann kann das Floß aus Versehen auf Grund laufen.“Verboten ist das Ankern auf der Maas sowie unter Brücken. Einen Tipp hat Corinna Köhler noch für laue Sommernächte: „Besser auf dem Wasser ankern als zu nah am Ufer – denn auf dem Wasser hat man deutlich weniger Mücken.“
Womit wir beim Thema Wetter wären, was ähnlich wie beim Camping auch auf dem Floß keine Rolle spielen sollte, wenn die Sommernächte mal nicht so lau sind: Das Häuschen bietet Schutz bei Regen oder Gewitter, auf Wunsch kann eine Petroleumheizung dazugemietet werden, und ansonsten bleibt nur, das Beste aus den äußeren Umständen zu machen. „Lediglich bei Wind über Windstärke fünf können die Flöße nicht auslaufen“, erklärt Corinna Köhler. „Sie kämen nicht mehr gegen den Wind an.“
Floßfahren ist übrigens etwas für alle Personen- und Altersgruppen:„Von der Jugendgruppe über die Familie mit Kindern bis hin zu Paaren im Alter von über achtzig Jahren war schon alles hier“, erzählt Corinna Köhler. Mal komplett raus aus dem Alltag ist man auf jeden Fall, wenn man sich auf das rustikale Erlebnis einlässt – und gerade das will man mit einem Urlaub doch eigentlich erreichen.