Opfer bei Gefahr nicht alleinlassen
Die Kölner Polizeikommissarin Elke van Ooyen leitet seit vielen Jahren Workshops zum Thema Zivilcourage. Werde jemand belästigt, beschimpft oder bedroht, gebe es ein paar Verhaltensregeln, um zu helfen.
KÖLN Eine Frau wird in der U-Bahn belästigt, vor einer Kneipe kommt es zu einer Schlägerei, oder eine Gruppe Jugendlicher beleidigt einen Obdachlosen auf offener Straße – es gibt viele Situationen, in denen es darum geht, hinzusehen und zu helfen. Doch je mehr Menschen die Situation mitbekommen, desto weniger greifen ein. Weil jeder sich darauf verlässt, dass der andere sich kümmert. Bystander-Effekt nennt sich dieses Phänomen.
Doch wie kann man am besten helfen, wenn jemand belästigt, beschimpft oder bedroht wird? Elke van Ooyen (55), Kriminalhauptkommissarin im Kommissariat Prävention/Opferschutz im Polizeipräsidium Köln, leitet seit vielen Jahren Workshops zum Thema Zivilcourage. Sie sagt: „Für die Mehrheit der Menschen ist klar, dass sie bei gewalttätigen, bedrohlichen oder ungewohnten Situationen in der Öffentlichkeit den Geschädigten helfen möchten.“Aber viele seien unsicher, wie sie reagieren sollten – sei es aus Angst, selbst angegriffen zu werden, oder weil die Situation sie überfordere.
Um das Risiko, sich selbst in Gefahr zu bringen, so gering wie möglich zu halten, rät sie zu folgendem Verhalten.
Andere um Hilfe bitten und den Notruf 110 wählen
Nicht darauf warten, dass ein anderer etwas tut, sondern selbst reagieren und Umstehende in die Situation holen. „Am besten spricht man andere direkt an“, sagt die Kommissarin. Gilt es etwa, in einer U-Bahn zu reagieren, weil zum Beispiel eine Frau belästigt wird, sollte man über die Sprechanlage, die sich meist unter der Notbremse befindet, dem Fahrer Bescheid geben.
Das Opfer aus der Situation holen
„Man sollte immer vermeiden, sich mit den Tätern anzulegen“, sagt van Ooyen. „Stattdessen sollte man versuchen, das Opfer aus der Situation zu holen.“Die Kommissarin nennt das „Opferklau“. So kann man etwa aus sicherem Abstand rufen:„Brauchen Sie Hilfe?“und dem Opfer signalisieren, dass es zu einem kommen soll. „Man geht dann mit dem Opfer weg und sucht sich die nächste Rettungsinsel – also schaut: Wo sind andere Menschen?“
Sich nicht selbst in Gefahr bringen
Wer Zeuge einer Schlägerei wird oder sieht, dassWaffen im Spiel sind, sollte auf keinen Fall körperlich eingreifen. Besser: Die 110 wählen und aus sicherer Entfernung brüllen:„Die Polizei ist unterwegs!„ Auch auf die Gefahr hin, dass die Täter flüchten.
Als Zeuge aussagen
Kann man nicht mehr tun, als die Polizei zu alarmieren, sollte man sich die Täter genau anschauen, sich Merkmale und Kleidung einprägen, um später als Zeuge auftreten zu können. Es kann auch helfen, sich die Richtung zu merken, in die der Täter flüchtet.
Fokus auf das Opfer
Wurde jemand verletzt, sollte man sich um ihn kümmern. Auch hier gilt, sich Unterstützung von Umstehenden zu holen, wenn man unsicher ist, wie man jemanden etwa in die stabile Seitenlage dreht. Danach den Weg frei machen für die Rettungskräfte.
Was kann man falsch machen?
„Falsch ist es, nichts zu tun“, sagt van Ooyen.„Die 110 kann jeder wählen.“Jeder solle im Rahmen seiner Möglichkeiten helfen, sagt sie.
Wie ticken die Täter?
„Ein Täter will es einfach haben, der will keine Zeugen, der will nicht kämpfen, der will keine Aufmerksamkeit“, sagt van Ooyen. „Er wird deshalb nach jemandem Ausschau halten, der schwächer ist, wehrlos, passiv, leise oder unaufmerksam, jemandem, der allein ist.“Manche Menschen geraten schneller in den Fokus von Tätern als andere, sagt die Kommissarin.„Das heißt aber nicht, dass sie schuld sind – dieVerantwortung trägt immer der Täter.“Wichtig sei es, dann sofort aktiv zu werden, schnell aus der Situation zu gehen. Und andere anzusprechen.
Wie fühlen sich die Opfer?
„Wenn ein Opfer mitbekommt, dass Menschen da waren, aber einfach weitergegangen sind, kann das zu einer zusätzlichen Traumatisierung führen“, sagt Elke van Ooyen. „Sie erinnern sich noch sehr lange an das Gefühl von Ohnmacht, völlig allein gelassen worden zu sein.“Jeder könne im Laufe seines Lebens unverschuldet in eine brenzlige Situation geraten.„Wenn dann da eine Stimme ist, die sagt, dass die Polizei unterwegs ist, oder eine Hand, die einen rauszieht, hat man das tröstende Gefühl, dass man nicht allein ist.“