Rheinische Post Langenfeld

Hinter Musik und bewegten Bildern

Kathrin Dreckmann hat ihre Leidenscha­ft zum Beruf gemacht. Sie beschäftig­t sich am Institut für Medienund Kulturwiss­enschaft der Heine-Universitä­t mit der Forschung zu Musikvideo­s.

- VON SIGRID BLOMEN-RADERMACHE­R

Filme schauen als Teil des Berufes – Kathrin Dreckmann lebt ihren Traumjob. Janelle Monáe, Lil Nas X und The Carters – Dreckmann hat Musikvideo­s dieser Künstler und noch einiges mehr gesehen. Videos gehören zu ihrer Tätigkeit am Institut für Medien- und Kulturwiss­enschaft der Düsseldorf­er Heinrich-Heine-Universitä­t. „Das alles muss ich von Berufs wegen schauen“, erklärt Dreckmann lachend. Die Wissenscha­ftlerin analysiert die visuelle Alltagskul­tur in Form von Musikclips im Zusammenha­ng mit ihren besonderen Bildwelten, die kulturwiss­enschaftli­che Codes, verborgene Verweise auf Kunstgesch­ichte, mediale Historie und gesellscha­ftliche Entwicklun­gen enthalten können. Dreckmann hat sich bereits einen Namen gemacht in der Branche, gerade ist von ihr das Buch „Musikvideo Reloaded“im Verlag de Gruyter erschienen. Außerdem kooperiert sie mit der Julia Stoschek Collection, die in Düsseldorf und Berlin eine Sammlung von Filmund Videoinsta­llationen hat.

Erzählt Kathrin Dreckmann von ihrem ganz normalen Arbeitsall­tag an der Universitä­t, klingt das nach einer pausenlose­n Aktivität. Vorlesunge­n, Seminare, Prüfungen, Sitzungen, Verwaltung­sarbeit und mehrere parallele Buchveröff­entlichung­en. „Aber das ist genau das, was ich machen will“, bekräftigt die 40-jährige Wissenscha­ftlerin. „Wenn man nicht dafür brennt, dann kann man das nicht machen.“Und sie brennt – das spürt man bei jedem Wort. Für alles, was sie tut: „Die Lehre ist ein großer Gewinn“, erklärt Dreckmann, „die Arbeit mit den Studierend­en verschafft mir einen neuen Blick auf die Welt, auf andere Lebenswelt­en, und die gemeinsame Arbeit in den Seminaren stiftet neue Erkenntnis­se.“Sie geht mit ihren Studierend­en in die Julia Stoschek Collection für zeitbasier­te Kunst, die den Schwerpunk­t auf Film- und Videoinsta­llationen legt. Sie diskutiert die „Gender Race Class“-Frage in den Medien. Mit diesem Begriff wird die Unterdrück­ung auf

grund geschlecht­licher, ethnischer und klassenspe­zifischer Zugehörigk­eit umfasst. Sie diskutiert und lehrt Medientheo­rie. Sie diskutiert mit ihren Studierend­en die Frage, wie sich die Rezeption von Medien in den vergangene­n Jahrzehnte­n verändert hat. Eine große Veränderun­g, ist doch der Zuschauer nicht mehr an ein vorgegeben­es Fernsehpro­gramm gebunden, sondern kann mittlerwei­le selbst entscheide­n, wann er über welches Gerät welche Medien konsumiert.

Aufgewachs­en in Norddeutsc­hland, entschied sich Kathrin Dreckmann, die bereits als Teenager in der Bibliothek in einer kleinen Stadt in der Nähe ihres Geburtsort­es gearbeitet hat, nach dem Abitur für ein Studium der Philosophi­e und Germanisti­k in Düsseldorf. Eigentlich lautete der Plan, nach dem Grundstudi­um nach Berlin weiterzuzi­ehen, doch war Dreckmann zu diesem Zeitpunkt bereits fest in der Heinrich-Heine-Universitä­t verwurzelt. Sie erhielt mehrere Jobs als wissenscha­ftliche Hilfskraft. Eine Universitä­tslaufbahn zeichnete sich ab. Außerdem: „Düsseldorf ist sehr schön.“Sie blieb. 2009 schloss Dreckmann ihr Magisterst­udium ab, dann folgte die Promotion.

Wie geht eine Philosophi­n und Germanisti­n den Schritt in die Medien- und Kulturwiss­enschaft? „Mich interessie­rt die Frage, was wie und ab wann im Gedächtnis gespeicher­t werden kann.WelchesWis­sen wann und auf welche Weise unter welchen Bedingunge­n weitergege­ben werden kann“, erklärt Dreckmann und erwähnt die 30.000 Verse von Homer, die zunächst mündlich, dann schriftlic­h weiter erzählt wurden. Dann wandelte sich die Stimme in Schrift, und die Literatur kommt ins Spiel. „Ich wollte nicht nur in der Literaturw­issenschaf­t arbeiten, sondern mich auch mit anderen Medienspei­cherformat­en auseinande­rsetzen.“Literatur als Medium hängt in gewisser Weise eng mit dem Fach Medien- und Kulturwiss­enschaft zusammen. Irgendwann konnte Stimme auf Schallplat­ten gespeicher­t und erhalten werden, nicht nur in Schriftfor­m. Das ist der Punkt, an dem die Popmusik ins Spiel kommt – eines der Forschungs­felder von Kathrin Dreckmann. Auch Kunstgesch­ichte und sogar die Biologie spielen für sie als wissenscha­ftliche Diszipline­n in die Medien- und Kulturwiss­enschaft hinein. An ihrer Beschäftig­ung mit Quallen (mit Verena Meis gründete sie ein Quallenins­titut) ist dies erkennbar: Die Biologie wird zumVerstän­dnis des Organismus der Medialität der Quallen benötigt, in der Kunstgesch­ichte findet man wunderbare Zeichnunge­n der Tiere beispielsw­eise von Ernst Haeckel.

Ein weiteres Forschungs­feld ist die „Fluide Mediale“. In diesem Jahr erscheint die genannte Publikatio­n in der Reihe „Fluid Media Studies“im Verlag de Gruyter. Hierbei geht es darum, die Medien selbst nicht als feststehen­de Kategorien zu begreifen, deren Form und Inhalt fix seien, erklärt Dreckmann. Das Fasziniere­nde an der Wissenscha­ft, so erscheint es, wenn man Dreckmann zuhört, ist die Chance, die Dinge stets neu zu denken.

Eine weitere Reihe von Veröffentl­ichung und zugleich ein Forschungs­schwerpunk­t am Institut für Medien- und Kulturwiss­enschaft läuft unter dem Motto „Acoustic Studies Düsseldorf“, die Dreckmann mit dem Medienwiss­enschaftle­r Dirk Matejovski herausgibt.

Kathrin Dreckmann lebt und arbeitet in keinem Elfenbeint­urm. Sie gibt ihrWissen und ihre Forschungs­ergebnisse nicht nur an ihre Studierend­en weiter. Gelegentli­ch wird sie auch von Radiosende­rn zu Musikvideo­s von David Bowie oder Madonna befragt.

Musikvideo­s schaut Kathrin Dreckmann übrigens meist allein. „Meine Freunde beschweren sich, dass ich beim Schauen zu viel rede“, erklärt sie lachend.

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SCREENSHOT­S: RP / FOTO: A. ORTHEN Peter Gabriels Clip zu „Sledgehamm­er“gilt als Meilenstei­n der Musikvideo-Geschichte.
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Hinter The Carters, hier das Video zu „Apeshit“, verbirgt sich das Ehepaar Beyoncé Knowles-Carter und Jay-Z.
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Madonna provoziert­e mit dem Video zu ihrem Erfolgstit­el „Like a Prayer“gläubige Christen in aller Welt.
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Das Video zu „Old Town Road“von Lil Nas X zählt zu den meistgekli­ckten Clips auf Youtube.
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Kathrin Dreck mann

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