Rheinische Post Langenfeld

Schutz für russische Deserteure

Nach der Teilmobilm­achung fliehen offenbar viele Russen aus dem Land. Die deutsche Politik fordert für sie praktikabl­e Aufnahmelö­sungen.

- VON HAGEN STRAUSS

BERLIN Wie viele Menschen derzeit versuchen, der russischen Teilmobilm­achung von 300.000 Reserviste­n zu entgehen, ist unklar. Klar ist allerdings: Flüge von Moskau ins Ausland, etwa ins türkische Istanbul oder nach Eriwan in Armenien – wohin visumfreie Ausreisen erlaubt sind – waren nach der Putin-Ankündigun­g schnell ausverkauf­t. Finnland verzeichne­t zudem deutlich mehr Einreisen aus Russland. Politiker von Koalition und Opposition sind sich jetzt ungewohnt einig: Russische Deserteure und Kriegsdien­stverweige­rer sollen Schutz erhalten.

Die Parlaments­geschäftsf­ührerin der Grünen, Irene Mihalic, sagte unserer Redaktion: „Wer sich als Soldat an dem völkerrech­tswidrigen und mörderisch­en Angriffskr­ieg Putins gegen die Ukraine nicht beteiligen möchte und deshalb aus Russland flieht, dem muss in Deutschlan­d Asyl gewährt werden.“Das sei auch „ein wichtiges Signal“an alle russischen Soldaten, sich nicht als Werkzeuge Putins instrument­alisieren zu lassen. Der Koalitions­partner SPD äußerte sich ähnlich. „Allein die verschärft­en Strafen, die Menschen drohen, die sich der Einberufun­g entziehen, halte ich bereits nach jetziger Rechtslage für ausreichen­d als Asylgrund“, so Innenexper­te Dirk Wiese.

Laut einer Sprecherin von Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) werde „bei russischen Deserteure­n im Regelfall durch das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e internatio­naler Schutz zuerkannt“. Insbesonde­re für Opposition­elle und andere gefährdete Personengr­uppen wie Journalist­en und Wissenscha­ftler gibt es demnach spezielle Regelungen auf der Grundlage des Aufenthalt­sgesetzes. Mehr als 274 russischen Staatsange­hörigen und 164 Familienan­gehörigen sei so eine Aufnahme ermöglicht worden, sagte die Sprecherin.

Die Union forderte auch die Europäisch­e Union zum Handeln auf. Außenexper­te Jürgen Hardt (CDU) sagte unserer Redaktion: „Ich plädiere dafür, dass Kommission und Rat der EU sich zügig auf praktikabl­e Aufnahmelö­sungen verständig­en.“Von PutinsVorg­ehen betroffen seien vor allem junge Männer. „Viele haben eine gute Ausbildung und deshalb sicher auch eine Perspektiv­e auf den EU-Arbeitsmär­k

ten“, ergänzte Hardt. Rechtsexpe­rte Günter Krings (CDU) meinte:„Mit der Teilmobilm­achung bringt Putin nun immer mehr der eigenen Leute gegen sich auf oder treibt sie gar aus Russland heraus.“

Krings sagte weiter: „Wir sollten die Spielräume in unserem Asylrecht jetzt konsequent so nutzen, dass Wehrpflich­tige, die sich durch ihre Flucht klar gegen Putin stellen, bei uns einen Schutzstat­us erhalten.“AfD-Bundesvize Stephan Brandner sagte auf Nachfrage, die Voraussetz­ungen würden sich aus dem Asyl-Artikel des Grundgeset­zes ergeben.

Pro Asyl forderte die Öffnung der Grenzen für Deserteure und Kriegsdien­stverweige­rer. Der Leiter der Europa-Abteilung, Karl Kopp, erklärte, russische Soldaten oder Reserviste­n bräuchten zudem offene Fluchtwege. „Nach EU-Recht haben diejenigen ein Recht auf Asyl und Schutz, die sich einem völkerrech­tswidrigen Krieg entziehen“, so Kopp.

Seine Unzufriede­nheit mit der Haltung der deutschen Politik ließ hingegen der frühere Botschafte­r der Ukraine, Andrij Melnyk, freien Lauf. Er twitterte in seiner typischen Art, junge Russen, die den Krieg nicht unterstütz­en wollten, sollten lieber Putin stürzen, „anstatt abzuhauen und im Westen Dolce Vita zu genießen“.

Für Opposition­elle und andere gefährdete Personengr­uppen gibt es schon Regelungen

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