Streit um die Schuldenbremse in NRW
Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur regt erst eine Debatte über ein Abweichen von der Regel an, verweist dann aber auf den Bund. Die Opposition hält ihr ein Rechtsgutachten vor, das sehr wohl Spielräume sieht.
DÜSSELDORF Als die Landesregierung am Dienstag ihren Nachtragshaushalt der Öffentlichkeit präsentierte, erkundigten sich die Journalisten unter anderem nach der Haltung von Schwarz-Grün zur Schuldenbremse. Der Grund: Wenige Tage zuvor hatte Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne) im WDR signalisiert, dass sie angesichts der gegenwärtigen Krise und der nötigen Investitionen eine Aussetzung der Schuldenbremse für eine Option halte.
Bei der Pressekonferenz hörte sich das dann allerdings schon wieder etwas zurückhaltender an: „Es ist vollkommen klar, dass die Entscheidung über eine Lockerung der Schuldenbremsebremse eine ist, die im Bund getroffen werden muss, weil dort die Ebene ist, die die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen kann und dementsprechend Ausnahmeregelungen finden kann“, sagte Neubaur. „Wir als Land NRW haben dazu keine Möglichkeit – auch nicht in der aktuellen Situation.“
Doch ist dem tatsächlich so? Daran hat die Opposition erhebliche Zweifel und verweist auf ein Gutachten des Deutschen Gewerkschaftsbun
des aus dem Jahr 2021. Die Länder seien nicht dazu verpflichtet, ihre eigenen Regelungen zur Schuldenbremse parallel zu der des Bundes auszulegen: „Der Bund und jedes Land sind frei zu entscheiden, ob und wann sie sich auf den Ausnahmetatbestand berufen, und in welchem Rahmen und Umfang – auf Basis der jeweiligen rechtlichen Spezifikation – sie sich dieser Norm bedienen wollen“, schreiben die Rechtsexperten des DGB.
Konfrontiert mit dieser Rechtsauffassung erklärte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums: „An den Äußerungen von Ministerin Neubaur hat sich nichts geändert. Die Entscheidung über eine Lockerung der Schuldenbremse muss vom
Bund getroffen werden, weil dort die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts festgestellt werden kann. Wir sind uns in der Landesregierung einig, jetzt alles dafür zu tun, eine weitergehende Störung zu verhindern.“
Stefan Zimkeit, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag NRW, warf Neubaur daraufhin vor, in Sachen Schuldenbremse nicht sattelfest zu sein.„Zuerst segelt sie weit raus und mahnt eine Aussetzung der Schuldenbremse an, dann rudert sie zurück und schwenkt auf den Kurs der CDU ein.“Zimkeit warf der Grünen-Politikerin vor, dabei auch noch sachlich falsch zu argumentieren und eine erschreckende Unkenntnis der Materie zu offenba
ren. „Natürlich kann sich auch das Land auf den Ausnahmetatbestand berufen und die Schuldenbremse aussetzen, wenn das wirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist. Das Saarland tut dies bereits.“Dort habe man es offenbar besser begriffen und für einen Transformationsfonds Kredite in Höhe von drei Milliarden Euro aufgenommen, um dieWirtschaft zu unterstützen.„Man kann das also auch als Bundesland machen, wenn man will und vor allem weiß, wie es geht.“
NRW dürfe sich hier nicht wieder hinter dem Bund verstecken. Das Land müsse jetzt alle finanziellen Spielräume nutzen, um die Menschen in der Krise zu unterstützen und einen Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern. „Ein dog
matisches Festhalten an der Schuldenbremse, sei es aus Unkenntnis oder aus ideologischen Gründen, darf dem nicht im Weg stehen“, sagte Sozialdemokrat Zimkeit.
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte seinerseits zuletzt Zweifel geäußert, ob die Schuldenbremse angesichts der drohenden Wirtschaftskrise im kommenden Jahr zu halten sein wird. „Erst die nächste Konjunkturprognose und die dann folgende Steuerschätzung werden zeigen, ob wir 2023 ohne neue Schulden auskommen, wie die Schuldenbremse das grundsätzlich verlangt, oder ob es eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gibt“, sagte Wüst im Interview mit unserer Redaktion.