Rheinische Post Langenfeld

Sparen mit der Sommerzeit

Ein Ende der Zeitumstel­lung kann Berechnung­en zufolge den Stromverbr­auch senken. Auch NRW-Innenminis­ter Herbert Reul meldet sich zu Wort.

- VON JÖRG ISRINGHAUS UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Die Sorge vor einem langen Winter treibt derzeit viele Menschen um. Steigt doch der Energiebed­arf enorm.Was aber würde es bringen, wenn der Winter so dunkel nicht würde, und zwar durch das Beibehalte­n der Sommerzeit?

Ließe sich damit Strom sparen? Auf jeden Fall, sagt Professor Korbinian von Blanckenbu­rg, Dekan der Technische­n Hochschule Ostwestfal­enLippe. DerWissens­chaftler hat 2016 die Stromerspa­rnis von Privathaus­halten für die Optionen Sommerzeit und Winterzeit, nur Winterzeit und nur Sommerzeit berechnet – mit klarem Vorteil für letztere Variante. „Das Ergebnis war auch für uns überrasche­nd“, sagt er. Wurde die Zeitumstel­lung doch zuletzt 1980 eigens eingeführt, um Energie einzuspare­n. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Der Volkswirt plädiert daher nicht nur dafür, auf die Zeitumstel­lung zu verzichten und die Sommerzeit beizubehal­ten, sondern noch weitere Anpassunge­n vorzunehme­n.

Mit demWunsch nach einem Aus für die Zeitumstel­lung hat er einen bekannten Mitstreite­r an seiner Seite: NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU). Der Politiker hat in seiner Zeit als Abgeordnet­er im Euro

päischen Parlament jahrelang dafür gekämpft, die Zeitumstel­lung zu beenden. Zwar hat das EU-Parlament 2019 für eine Abschaffun­g der Zeitumstel­lung im Jahr 2021 gestimmt, der Beschluss wurde jedoch bisher nicht umgesetzt. Unter den europäisch­en Staaten ließ sich kein Konsens herstellen, zu welcher Zeit man zurückkehr­en soll. „Das Wichtigste ist, dass die Zeitumstel­lung endlich abgeschaff­t wird. Nicht nur, weil die Mehrheit der EU-Bürgerinne­n und -Bürger das will. Es gibt viele gute Argumente für die Abschaffun­g – gesundheit­liche, wirtschaft­liche, ener

getische“, sagt Reul. Er plädierte bislang allerdings für die Rückkehr zu einer dauerhafte­n Winterzeit, weil nach seiner Kenntnis die Mehrheit der Wissenscha­ftler bislang davon ausgehe, dass die mehr Energie sparen würde. Reul:„Wenn es jetzt aber neue Erkenntnis­se geben sollte und sich die EU-Mitgliedst­aaten deshalb auf dauerhafte Sommerzeit einigen würden, wäre auch das ein Erfolg.“

Dass sich überhaupt Effekte durch die Sommerzeit ergeben, liegt daran, wann in Privathaus­halten hauptsächl­ich Strom genutzt wird. Der relevante Verbrauch liegt in den

Abendstund­en zwischen 18 und 20 Uhr, dabei spielt das Tageslicht eine große Rolle. „Je heller es abends ist, desto weniger Strom wird verbraucht“, sagt von Blanckenbu­rg. Dann verändere sich das Freizeitve­rhalten, der Fernseher bleibe ausgeschal­tet, man unternehme etwas. Morgens gegen 7 Uhr gibt es auch eine Verbrauchs­spitze, die aber unabhängig von der Helligkeit ist, dann laufen etwa Kaffeemasc­hine und Toaster. Bliebe es also bis in den späten Herbst und ab dem frühen Frühling lange hell, ließe sich Strom sparen. Allerdings würde sich diese Ersparnis in sehr überschaub­aren Dimensione­n bewegen. Von Blanckenbu­rg: „Ein privater Haushalt könnte bei ganzjährig­er Sommerzeit etwa 0,5 Prozent seines jährlichen Stromverbr­auchs einsparen.“

Was sich umgelegt auf den Einzelnen wenig anhört, bringt umgerechne­t auf die gesamte Republik bei den hohen Strompreis­en aber ein geschätzte­s Einsparvol­umen von aktuell rund 600 bis 700 Millionen Euro pro Jahr, sagt der Wissenscha­ftler. Bei den Heizkosten ließe sich dagegen eher wenig sparen. Hier würde sich der etwas verringert­e Bedarf am Abend wahrschein­lich mit dem erhöhten Verbrauch am Morgen ausgleiche­n. Allerdings ließen sich nach von Blanckenbu­rgs Ansicht noch größere Effekte erzielen. Und zwar dann, wenn man die Tagesaktiv­ität stärker an der Helligkeit orientiere­n würde, die Kinder also im Winter später zur Schule gingen und auch die Arbeitspro­zesse später beginnen würden. Noch mehr Strom zu sparen, indem man die Sommerzeit um eine oder zwei Stunden ausbaut, um die helle Phase im Winter weiter in den Abend zu verschiebe­n, sei zwar theoretisc­h denkbar, praktisch aber unmöglich zu realisiere­n.

Mit längerem Tageslicht im Winter gelänge es vielleicht auch, Strom aus erneuerbar­en Energien dann zu erzeugen, wann er gebraucht werde, umVerluste durch Speichern zu minimieren. Dadurch könne das Sparpotenz­ial einer ganzjährig­en Sommerzeit ausgereizt werden. Vorerst aber werden die Uhren am 30. Oktober auf Winterzeit zurückgedr­eht.

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FOTO: CHRISTIAN KANDZORRA Seit Jahren wird über eine Abschaffun­g der Zeitumstel­lung diskutiert.

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