Sparen mit der Sommerzeit
Ein Ende der Zeitumstellung kann Berechnungen zufolge den Stromverbrauch senken. Auch NRW-Innenminister Herbert Reul meldet sich zu Wort.
DÜSSELDORF Die Sorge vor einem langen Winter treibt derzeit viele Menschen um. Steigt doch der Energiebedarf enorm.Was aber würde es bringen, wenn der Winter so dunkel nicht würde, und zwar durch das Beibehalten der Sommerzeit?
Ließe sich damit Strom sparen? Auf jeden Fall, sagt Professor Korbinian von Blanckenburg, Dekan der Technischen Hochschule OstwestfalenLippe. DerWissenschaftler hat 2016 die Stromersparnis von Privathaushalten für die Optionen Sommerzeit und Winterzeit, nur Winterzeit und nur Sommerzeit berechnet – mit klarem Vorteil für letztere Variante. „Das Ergebnis war auch für uns überraschend“, sagt er. Wurde die Zeitumstellung doch zuletzt 1980 eigens eingeführt, um Energie einzusparen. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Der Volkswirt plädiert daher nicht nur dafür, auf die Zeitumstellung zu verzichten und die Sommerzeit beizubehalten, sondern noch weitere Anpassungen vorzunehmen.
Mit demWunsch nach einem Aus für die Zeitumstellung hat er einen bekannten Mitstreiter an seiner Seite: NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Der Politiker hat in seiner Zeit als Abgeordneter im Euro
päischen Parlament jahrelang dafür gekämpft, die Zeitumstellung zu beenden. Zwar hat das EU-Parlament 2019 für eine Abschaffung der Zeitumstellung im Jahr 2021 gestimmt, der Beschluss wurde jedoch bisher nicht umgesetzt. Unter den europäischen Staaten ließ sich kein Konsens herstellen, zu welcher Zeit man zurückkehren soll. „Das Wichtigste ist, dass die Zeitumstellung endlich abgeschafft wird. Nicht nur, weil die Mehrheit der EU-Bürgerinnen und -Bürger das will. Es gibt viele gute Argumente für die Abschaffung – gesundheitliche, wirtschaftliche, ener
getische“, sagt Reul. Er plädierte bislang allerdings für die Rückkehr zu einer dauerhaften Winterzeit, weil nach seiner Kenntnis die Mehrheit der Wissenschaftler bislang davon ausgehe, dass die mehr Energie sparen würde. Reul:„Wenn es jetzt aber neue Erkenntnisse geben sollte und sich die EU-Mitgliedstaaten deshalb auf dauerhafte Sommerzeit einigen würden, wäre auch das ein Erfolg.“
Dass sich überhaupt Effekte durch die Sommerzeit ergeben, liegt daran, wann in Privathaushalten hauptsächlich Strom genutzt wird. Der relevante Verbrauch liegt in den
Abendstunden zwischen 18 und 20 Uhr, dabei spielt das Tageslicht eine große Rolle. „Je heller es abends ist, desto weniger Strom wird verbraucht“, sagt von Blanckenburg. Dann verändere sich das Freizeitverhalten, der Fernseher bleibe ausgeschaltet, man unternehme etwas. Morgens gegen 7 Uhr gibt es auch eine Verbrauchsspitze, die aber unabhängig von der Helligkeit ist, dann laufen etwa Kaffeemaschine und Toaster. Bliebe es also bis in den späten Herbst und ab dem frühen Frühling lange hell, ließe sich Strom sparen. Allerdings würde sich diese Ersparnis in sehr überschaubaren Dimensionen bewegen. Von Blanckenburg: „Ein privater Haushalt könnte bei ganzjähriger Sommerzeit etwa 0,5 Prozent seines jährlichen Stromverbrauchs einsparen.“
Was sich umgelegt auf den Einzelnen wenig anhört, bringt umgerechnet auf die gesamte Republik bei den hohen Strompreisen aber ein geschätztes Einsparvolumen von aktuell rund 600 bis 700 Millionen Euro pro Jahr, sagt der Wissenschaftler. Bei den Heizkosten ließe sich dagegen eher wenig sparen. Hier würde sich der etwas verringerte Bedarf am Abend wahrscheinlich mit dem erhöhten Verbrauch am Morgen ausgleichen. Allerdings ließen sich nach von Blanckenburgs Ansicht noch größere Effekte erzielen. Und zwar dann, wenn man die Tagesaktivität stärker an der Helligkeit orientieren würde, die Kinder also im Winter später zur Schule gingen und auch die Arbeitsprozesse später beginnen würden. Noch mehr Strom zu sparen, indem man die Sommerzeit um eine oder zwei Stunden ausbaut, um die helle Phase im Winter weiter in den Abend zu verschieben, sei zwar theoretisch denkbar, praktisch aber unmöglich zu realisieren.
Mit längerem Tageslicht im Winter gelänge es vielleicht auch, Strom aus erneuerbaren Energien dann zu erzeugen, wann er gebraucht werde, umVerluste durch Speichern zu minimieren. Dadurch könne das Sparpotenzial einer ganzjährigen Sommerzeit ausgereizt werden. Vorerst aber werden die Uhren am 30. Oktober auf Winterzeit zurückgedreht.