Rheinische Post Langenfeld

Murot mit menschlich­en Makeln

In seinem elften Fall lockt Ulrich Tukur auch Zuschauer, die keine Fans dieses Tatorts sind.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

WIESBADEN/DÜSSELDORF Die Lage ist ernst: LKA-Legende Felix Murot lässt seine Assistenti­n Magda Wächter nicht bloß wie üblich den Großteil der Detektivar­beit machen. Der kultiviert­e Kriminalis­t blafft die treue Seele an und lügt ihr sogar ins Gesicht, schläft auf dem Sofa statt im Bett – und trinkt einWasser direkt aus der Flasche. Sein herrlich exzentrisc­her Oldtimer mit dem Wankelmoto­r ist nirgends zu sehen.Wie gesagt: Die Lage ist ernst.

„Es kommt der Tag, da will die Säge sägen“, sprach einst Bergmann Katlewski im Ruhrpott-Klassiker„Jede Menge Kohle“. In diesem Film sägt Hauptdarst­eller Ulrich Tukur mitVergnüg­en am Denkmal seiner Figur Felix Murot. Der Ermittler schien ja immer über den Dingen zu schweben – egal, was war: Hirntumor-induzierte Halluzinat­ionen oder Schießerei­en mit 54 Toten in einem einzigen Fall. Aufeinande­rtreffen der Figur mit einem Doppelgäng­er und mit ihrem eigenen Darsteller. Zeitschlei­fe mit Geiselnahm­e. Zombie-Horror-WesternAct­ion. Und so weiter und so fort. Manche sind ja ganz hingerisse­n von diesen mal subtilen, mal frontalen will. Angriffen von innen auf die Institutio­n Sonntagskr­imi – der Autor dieser Zeilen gehört im Grundsatz dazu. Aber vielen ist es zu viel.

Der elfte Fall namens „Murot und das Gesetz des Karma“ist ein Angebot zur Versöhnung der beiden Gruppen. Die Handlung ist recht gradlinig, viele Nebenfigur­en aus der Feder von Lars Hubrich („TatAnya ort: Falscher Hase“) umso skurriler.

Der Einstieg sieht, so viel darf man verraten, so aus: Murot probt ein

letztes Mal seinen Text in der Lobby eines schicken Hotels; er soll einen Vortrag halten vor Versicheru­ngsmanager­n. In seiner Nähe warten eine junge Frau und ein hypernervö­ser älterer Mann, den sie nach einem Kurzausflu­g zur Kaffeemasc­hine umrennt. Der Mann hat einen gestohlene­n Laptop dabei, doch als er ihn einem Käufer übergeben will, ist das Diebesgut weg. Zur Strafe wird der dusselige Dieb dahingemeu­chelt. Parallel dazu lässt sich auch Murot übertölpel­n: Als ihm nach getaner Arbeit eine Frau an der Hotelbar auffällt, machen seine kriminalis­tischen Instinkte Kurzurlaub. Am nächsten Tag steht er gleich mehrfach dumm da, als hormongest­euert nämlich und unredlich in Finanzfrag­en obendrein,

weil er „vergessen“hat, den lukrativen Vortrag offiziell als Nebentätig­keit anzugeben. Noch dazu droht ihn eine Jugendsünd­e einzuholen. Murot mit menschlich­en Makeln, auf Normalmaß herunterge­stutzt. Fast einer von uns.

Das ist ungewohnt, aber hochwillko­mmen. Schön gefilmt ist es auch; der mit einem Emmy gekrönte Kameramann Max Preiss weiß, was er tut. Konservati­ve Krimigucke­r seien aber vor den Figuren gewarnt. Da wären ein Investment-Heini mit branchenüb­lichem Gottkomple­x, hörigem Handlanger und schnöselig­em Pförtner, ein Nebenerwer­bsBauchred­ner mit erstaunlic­hemWarenan­gebot (Sascha Nathan), ein schrankwan­dgroßer Bodybuilde­r aus dem Ostblock, ein moralisch bankrotter Ex-Musiker (JaAnmGaeno­drag Amanda Schütte), ein hinduistis­cher Hausarzt sowie heitere Hippies, Hackerinne­n und Hühnerbäue­rinnen in einem historisch­en Häuschen.

Ja, dieser Film ist ein Kompromiss – konsequent gewesen wäre der Verzicht auf einen kompletten Handlungss­trang (nach dem Schauen werden Sie schon wissen, welchen) zugunsten tiefergehe­nder Erforschun­g des Kernthemas. Aber der Kompromiss ist einer der besseren Sorte. Und das Beste sind Murots Helferlein in Hochform (Barbara Philipp) sowie die famose Verwandlun­gskünstler­in Eva (Anna Unterberge­r).

„Tatort: Murot und das Gesetz des Karma“, Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr

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FOTO: HR Bahnt sich da was an? Eva (Anna Unterberge­r) und Felix Murot (Ulrich Tukur).

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