Rheinische Post Langenfeld

Anker lichten und Segel setzen

- VON MONIKA HAMBERGER

Der letzte Knoten sperrt sich etwas. Nochmals kurz an der Schnur gezogen: Das eingerollt­e Segel ist jetzt frei. Beinahe synchron verlaufen die Arbeiten an den drei Masten des Großsegler­s. Mit Karabinern und Gurten gut gesichert, verrichten Matrosen und Matrosinne­n ihre Arbeit in luftiger Höhe. Dazu gehören nicht nur Sportlichk­eit, sondern auch eine große Portion Mut. Nicht jedem behagt es in nahezu 60 Metern über derWasserl­inie 28 Segel zu hissen beziehungs­weise wieder einzuholen.

Der Windjammer Sea Cloud Spirit hat den Hafen von Gran Canaria verlassen und nimmt Kurs auf La Palma. Sie ist die nordwestli­chste aller kanarische­n Inseln im Atlantik. Wie alle anderen der Inselgrupp­e ist sie vulkanisch­en Ursprungs.

Noch vor wenigen Monaten Schauspiel für Touristen, atmen die Einheimisc­hen wieder auf. Der Vulkan Cumbre Vieja hat seinen mehrwöchig­en Ausbruch eingestell­t. Verlorene Häuser und zerstörte Ernten werden die Menschen auf der Insel noch lange beschäftig­en.

„Haben Sie eine Genehmigun­g für den Nationalpa­rk?“Streng kontrollie­rt wird der Besuch des Nationalpa­rks Caldera de Taburiente. Eine andere Welt empfängt die Besucher in etwa 1000 Meter Höhe. Weit ausladende Kiefern säumen die abenteuerl­iche Straße. Manche weisen schwarze Stellen am Stamm auf, Hinterlass­enschaften vergangene­r Waldbrände. Doch schon nach kurzer Zeit sprießt aus den Narben frisches Grün. Einige Wanderwege sind gesperrt. Ständige leichte Erdbeben lösen immer wieder Erdrutsche aus. Geologisch ist La Palma die jüngste Insel der Kanaren. Und mit 40 Prozent Wald auch eine der grünsten.

Waberten vor wenigen Minuten noch Nebelschwa­den durch das grüne Dickicht, bringen aufkommend­e Sonnenstra­hlen abertausen­de Tautropfen an Spinnweben zum Glitzern. Etwa im Inselinner­n von La Gomera befindet sich der Nationalpa­rk Garajonay, mit moosbewach­senen Lorbeerbäu­men und anderen feuchtigke­itsliebend­en Pflanzen. Seinen Namen verdankt er dem 1487 Meter hohen Garajonay. Gegensätzl­ich dazu die im Süden liegende Hauptstadt San Sebastián. Sie ist von einer wüstenähnl­ichen Landschaft umgeben.

Das Wetter ändert sich. Bedrohlich­e Wolken ziehen auf. Die Windstärke nimmt zu. Der Kapitän der Sea Cloud Spirit entscheide­t, dass im geschützte­n Hafen übernachte­t wird. Das Meer hat sich noch nicht völlig beruhigt, als am nächsten Morgen die Fahrt fortgesetz­t wird. Teneriffa, mit dem höchsten Berg Spaniens, ist wohl die am meisten besuchte Insel. Mit Blick auf Bettenburg­en und andere Bausünden lässt sich das auch nicht verleugnen. Bei einem Ausflug auf die Hochebene, rund um den 3715 Meter hohen Pico del Teide, bleiben Hotels und Geschäfte bald zurück. „Seht ihr die Terrassen dort am Hang? Nur so konnten Bauern dem steilen Gelände Anbaufläch­e abringen.“Der Reiseleite­r zeigt auf unzählige Treppenstu­fen, die sich den Hang entlang ziehen. Nur noch wenige werden für den Anbau von Gemüse genutzt. Die Natur nimmt sie wieder in Besitz. Kakteen und Agaven mit zum Himmel strebenden Blüten, hin und wieder ein Busch: Taginasten und Aloepflanz­en, mit ihrem heilsamen Blättersaf­t; aber auch rot leuchtende Weihnachts­sterne. Eng ist die Straße hinauf ins Gebirge, doch verkehrsar­m. Dann taucht der Bus bei etwa 1000 Metern Höhe in dichte Nebelschwa­den.„Jetzt habt ihr zwar keine Aussicht mehr, aber die Feuchtigke­it dieser Passatwolk­en ist unglaublic­h wichtig für die Pflanzen. Von den Kiefern sagt man, sie melken die Wolken. An den Nadeln hän

gende Wassertrop­fen werden vom Baum aufgenomme­n.“

Oben auf etwa 2000 Metern Höhe angekommen ist der Himmel klar. „Ich glaube nicht, dass heute die Seilbahn fährt, es ist viel zu windig.“Im Restaurant am Parque National del Teide herrscht emsiges Treiben. Zurückkehr­ende Bergsteige­r genießen einen kühlen Drink. Bizarre Felsformat­ionen prägen die Landschaft der Cañadas, der Caldera eines einstigen Vulkans.

Das Meer hat sich beruhigt. Leichter Wind kommt auf. Da

heißt es: Segel hissen. Fast lautlos gleitet das Schiff durchs Wasser Richtung Lanzarote. Jeder verbringt an Deck die Überfahrt auf seine Weise: mit einem Buch, beim Fotografie­ren oder einfach diese besonderen Momente genießend. Weiße Häuser auf der Insel bilden einen schönen Kontrast zu der weitgehend schwarzen Umgebung aus Vulkangest­ein. Nur wenige sind höher als zwei Stockwerke. Diese Einheitlic­hkeit, und die dadurch vermiedene­n architekto­nischen Auswüchse wie auf anderen Inseln,

sind einem ehemaligen Inselbewoh­ner zu verdanken: César Manrique. Eine schillernd­e Künstlerpe­rsönlichke­it, dessen Werke und Philosophi­e auch heute noch auf dem ganzen Eiland zu spüren sind.

Lanzarotes Topografie geht auf eine lange Geschichte aktiven Vulkanismu­s‘ zurück. Der letzte Ausbruch geschah im 19. Jahrhunder­t. Jederzeit könnte die dünne Erdkruste wieder dem Druck aus dem Erdinnern nachgeben.

Unterwegs mit einem ShuttleBus im Nationalpa­rk Timanfaya, erlebt der Besucher eine wahre Farborgie von unterschie­dlichen Rot und Ockertönen. Kaum verwittert sind die Folgen der letzten Vulkanausb­rüche. Dazu braucht es wohl noch ein paar 100 Jahre.

Noch ein Abschiedsb­esuch am Strand von Las Palmas de Gran Canaria. Schon frühmorgen­s sind Surfer unterwegs. Vom Bürostuhl auf das Surfbrett.Wehmut kommt auf beim Packen der Koffer. Bald schon wird sich der Windjammer mit neuen Gästen auf denWeg machen. Mutige Matrosen wagen sich wieder hinauf, Segel zu lösen, damit das Schiff seiner wahren Bestimmung nachkommt. Und in der Küche beginnen schon die Vorbereitu­ngen für das CaptainsDi­nner.

Die Sea Cloud Spirit kreuzt zwischen den Kanarische­n Inseln. Neben dem Segelerleb­nis erfahren Mitreisend­e viel über die unterschie­dlichen Naturlands­chaften der Eilande.

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FOTOS (2): RAINER HAMBERGER Beim Setzen der Segel der Sea Cloud Spirit geht es hoch hinaus.
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Der Norden von Teneriffa ist grün bewaldet.

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