Auf Tiktok mit Schulden prahlen
An einer Hochschule in Erfurt wird über psychologische Mechanismen der Überschuldung geforscht.
ERFURT/MÜNCHEN (epd) Dass die Social-Media-Plattform Tiktok mit ihren weltweit rund eine Milliarde Nutzern oft irrsinnige und teils auch gefährliche Herausforderungen hervorbringt, ist kein Geheimnis. Ein neuer Trend, bei dem sich junge Menschen mit der Höhe ihrer Schulden überbieten wollen, gibt Anlass zur Besorgnis. Unter #klarnaschulden liefern sich Nutzer einen regelrechten Wettbewerb über die Höhe ihrer Schulden bei dem schwedischen Zahlungsanbieter Klarna. Mehr als 30 Millionen Aufrufe hat der Hashtag auf Tiktok bereits. Eine junge Frau hält ein Päckchen mit Klamotten hoch. Im Hintergrund sind rote Zahlen zu sehen. Der Text „Wenn du 23.412,61 Euro Schulden bei Klarna hast“. Ein anderer Nutzer prahlt:„Ich wette, niemand kann meine Klarnaschulden toppen.“Daraufhin zeigt er seine Kontenübersicht. Die Bilanz: ein Minus von fast 425.000 Euro. Überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Das Unternehmen Klarna weist darauf hin, dass ein Einzelner keinesfalls Schulden in dieser Höhe anhäufen kann. Laut Schuldneratlas 2021 der Wirtschaftsauskunftei Creditreform galten im vergangenen Jahr 6,16 Millionen Menschen als überschuldet. In der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen war die Quote mit über 15 Prozent am höchsten.
Was sind die psychologischen Mechanismen hinter einer Überschuldung? Julia Pitters ist Expertin für Konsumverhalten. Sie leitet als Professorin an der IUBH Internationalen Hochschule in Erfurt den Studiengang Wirtschaftspsychologie. „Klarna ist verlockend für junge Menschen mit wenig Geld“, sagte Pitters dem Evangelischen Pressedienst. Das Unternehmen wirbt mit dem Slogan „Kaufe jetzt, bezahle später.“„Klarna entkoppelt die Freude über den Erwerb eines Produkts vom‚Kaufschmerz‘, da die Rechnung erst 30 Tage später beglichen werden muss“, erklärt Pitters. Die Mahngebühr von 1,20 Euro bei einer nicht rechtzeitig beglichenen Rechnung wirke dabei verschwindend gering. Pitters hat sich damit beschäftigt, wie sich die CoronaPandemie auf die Psyche auswirkt. Der Lockdown habe den Trend des Onlineshoppings weiter verstärkt: „Wegen geschlossener Geschäfte konnte man vieles nur online bestellen. Dadurch haben viele Menschen Gefallen daran gefunden.“
„Das Geld verliert an mentaler Wertigkeit. Viele junge Menschen wissen, dass sie niemals erben oder Eigentum erwerben können. Sie wollen aber dennoch so leben wie der reiche Nachbar, der aus gutem Hause kommt“, so Pitters. Daraus entwickle sich eine Art Trotzreaktion: „Sie entwickeln eine Gleichgültigkeitsmentalität, kaufen viel, machen Schulden.“
Max Kalkhof, Media Relations Manager bei Klarna in München, sagte: „Wir beobachten mit Sorge, dass junge Menschen inVideos ihre Klarna-Kontostände zeigen.“Klarna habe „nicht das geringste Interesse daran, dass Menschen mit offenen Rechnungen prahlen“. Im Gegenteil: Das Geschäftsmodell beruhe darauf, dass Kundinnen und Kunden pünktlich zahlen.