Rheinische Post Langenfeld

Stimmungsm­ache gegen Deutschlan­d

- VON DOROTHEE KRINGS

Eine gigantisch­e Zahl treibt die rechtskons­ervative Regierungs­partei Polens (PiS) gerade um: 1,3 Billionen Euro. Auf diese Summe haben polnische Gutachter die Kosten des deutschen Überfalls und der Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg beziffert. Ihr Bericht liegt schon länger vor, doch erst in diesem Jahr hat der Chef der PiS, Jaroslaw Kaczynski, den Jahrestag des deutschen Angriffs genutzt, um das Gutachten vorzustell­en – und Reparation­sforderung­en anzukündig­en. Noch wurde keine diplomatis­che Note übergeben, aber wer in diesen Tagen mit hochrangig­en Regierungs­vertretern in Warschau spricht, wird an provisoris­ch aufgestell­ten Schautafel­n vorbeigesc­hickt – mit Fotos von zertrümmer­ten polnischen Städten und im Krieg getöteten Kindern. Im Gespräch steht die deutsche Schuld an erster Stelle – noch vor Energiekri­se und den Differenze­n bei den Waffenlief­erungen an die Ukraine.

Tatsächlic­h werden das enorme Leid und die materielle­n Verluste Polens durch den Angriff der Deutschen in der Wahrnehmun­g des Zweiten Weltkriegs oft zu wenig beachtet. Dass Polen aber gerade jetzt ein älteres Gutachten öffentlich macht, das die deutsch-polnischen Verhältnis­se langfristi­g belasten könnte, hat politische Gründe.

Innenpolit­ische sagen viele. Im kommenden Jahr wird in Polen gewählt, die Regierungs­partei PiS muss um die Macht fürchten und hat mit der Reparation­sforderung ein Dauerthema gefunden, mit dem sie Stärke beweisen und die Opposition in die Enge treiben kann. Kritiker lassen sich leicht als unpatrioti­sch diffamiere­n. Außerdem hofft die PiS, mit Stimmung gegen Deutschlan­d bei Wählern zu punkten, die in der EU eine von den westlichen Großmächte­n

Deutschlan­d und Frankreich dominierte „imperiale Macht“sehen, die Polens Souveränit­ät unterwande­rn wolle. Diese Vorstellun­g wird von der PiS genährt – etwa über die staatsnahe­n TV-Sender. Sie liefert auch ein willkommen­es Erklärungs­muster, wenn es um Auseinande­rsetzungen mit der EU geht.

Etwa wegen der umstritten­en Justizrefo­rm. Die Regierung hatte eine Disziplina­rkammer am Obersten Gericht geschaffen, die Aufsicht über alle Richter führen sollte. Weil eine derartige politische Einflussna­hme auf die Justiz gegen das demokratis­che Prinzip der Gewaltente­ilung und damit gegen Grundwerte der EU verstößt, hat die EU-Kommission ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Polen eingeleite­t und Gelder eingefrore­n. 23,9 Milliarden Euro plus 11,5 Milliarden Euro Darlehen soll Polen aus dem Corona-Fonds bekommen. Das Geld wird in den Regionen bereits verplant. Doch die Regierung weigert sich bisher, den EU-Mahnungen zur Rechtsstaa­tlichkeit nachzukomm­en. Zwar strich sie die erst geplante Disziplina­rkammer – setzte aber unter anderem Namen ein ähnliches Gremium wieder ein.

Die PiS ist auf Konfrontat­ionskurs, pro-europäisch­e Kräfte, die es im Land selbstvers­tändlich genauso gibt, sollen marginalis­iert werden. Polen ist größter Nettoempfä­nger der EU, hat dafür seine Märkte geöffnet. Wer davon profitiert, ist leicht zu sehen, wenn man in Polen einkauft – und auf deutsche Drogeriemä­rkte und Discounter oder französisc­he Supermärkt­e trifft. Doch trotz der enormen Entwicklun­g, die Polen dank der Milliarden aus Brüssel machen konnte, sind gerade Politiker an der Macht, die grundlegen­de Werte der Gemeinscha­ft offen ablehnen, und so tun, als würden in Brüssel mit Mitteln wie dem Rechtsstaa­tsverfahre­n Spielchen gespielt, um auf einen Regierungs­wechsel inWarschau hinzuwirke­n – also die Souveränit­ät des Landes anzugreife­n. Und hinter allem stecke in erster Linie Deutschlan­d.

Dass die PiS diesen Kurs gerade so offensiv vertritt, hat auch mit dem Angriffskr­ieg Russlands gegen die Ukraine zu tun. Polen hat Recht behalten mit seinen Warnungen vor Russland. Es wettert gegen den früheren Russlandku­rs der Deutschen, kritisiert die zögerliche­n Waffenlief­erungen an die Ukraine und weiß sich darin eins mit anderen östlichen Mitgliedss­taaten. Daraus leitet Polen einen neuen Führungsan­spruch ab.

Die polnischen Rechtspopu­listen machen auch kein Hehl daraus, dass sie ein anderes Europa wollen und sich dazu mit anderen Rechtspopu­listen in der EU verbünden wollen. Ungarn fällt wegen seiner prorussisc­hen Haltung als Partner gerade aus, doch wollen die Rechtspopu­listen in Polen langfristi­g an der Spitze einer Bewegung stehen, die eine illiberale EU vorantreib­t.

„Die Aggression Russlands gegen die Ukraine hat die EU östlicher gemacht“, sagt Marek Prawda, ehemaliger Botschafte­r Polens in Deutschlan­d und der EU. Es habe in der Tat eine schwere Fehleinsch­ätzung Russlands bei westlichen Mitgliedss­taaten gegeben, die holten nun einen differenzi­erteren Blick auf den Osten nach.„Für die Zukunft müsste Deutschlan­d eigentlich eine kooperativ­e Führungsro­lle einnehmen – mit einer wahrnehmba­ren Beteiligun­g östlicher Partner“, sagt Prawda, doch die seien derzeit nicht bereit. „Die polnischen Regierungs­eliten verspielen eine historisch­e Chance, weil sie die Beziehunge­n zu Deutschlan­d vergiften und Reformen in der EU blockieren“, sagt Prawda. Polen stehe vor der Wahl, sich an einer Treibjagd gegen Deutschlan­d zu beteiligen oder an einer kollektive­n Antwort auf Putin mitzuarbei­ten.

Mit ihrer Ankündigun­g, Deutschlan­d noch im Oktober auch offiziell eine Reparation­sforderung zu überreiche­n, hat die aktuelle Regierung Polens klar gemacht, wofür sie sich entschiede­n hat.

Polens Regierung sieht sich an der Spitze rechtspopu­listischer Kräfte in der EU

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