Scholz als Mahner und Bittsteller
Der Bundeskanzler reist durch die Golfstaaten. Dabei muss er einerseits die Situation der Menschenrechte ansprechen und andererseits um die Lieferung von Flüssiggas bitten.
ABUDHABI Olaf Scholz (SPD) pflanzt einen Baum. Bei 34 Grad im Schatten um 8 Uhr morgens, im Jubail Mangrove Park in Abu Dhabi. Danach geht es weiter zum Präsidenten derVereinigten Arabischen Emirate, Mohamed bin Zayed bin Sultan Al Nahyan.Was genau zwischen ihm und dem deutschen Kanzler besprochen wird, erfährt man nicht, Pressekonferenzen mit Fragen sind auf der arabischen Halbinsel nicht vorgesehen. Doch etwa zu dieser Zeit sickert ein Energie-Deal durch, den der Essener Energiekonzern RWE zu Flüssiggaslieferungen mit den Emiraten abgeschlossen hat.
Besuche eines deutschen Bundeskanzlers oder einer Kanzlerin adeln den jeweiligen Gesprächspartner international – zumindest war das immer die sehr stolze Sichtweise der deutschen Bundesregierungen. Wenn sich der Regierungschef der größten europäischen Volkswirtschaft auf denWeg macht, dann gibt es dafür meistens gute Gründe: politische Unterstützung für ein Land, Wertschätzung für Reformprozesse, meistens auch handfeste wirtschaftliche oder politisch-taktische Interessen. Letzteres gilt in Zeiten des russischen Angriffskriegs auch für die Golfstaaten, die der Kanzler am Wochenende bereiste.
Am Samstag stand mit dem Besuch des umstrittenen saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman in der Hafenstadt Dschidda der heikelste Besuch auf der Tagesordnung. Bin Salman wird vom US-Geheimdienst für den brutalen Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Generalkonsulat in Istanbul vor vier Jahren verantwortlich gemacht. Der Kronprinz, faktischer Herrscher von Saudi-Arabien, bestreitet bis heute, die Tat genehmigt zu haben.
Gab es ein moralisches Dilemma für Scholz? Ein Dialog sei im Interesse des Landes, wurde auf deutscher Seite betont. Es sei wichtig, dass es solche Arbeitsbeziehungen gebe. Den Krieg im Jemen beende man etwa nur mit internationaler Kooperation. Man geht im Westen wieder zur Tagesordnung über. USPräsident Joe Biden war ebenfalls bereits vor Kurzem nach Saudi-Arabien gereist, der Besuch des Kanzlers will die Regierung als Zeichen einer gewissen Normalisierung gewertet wissen.
Wie der Kanzler den Mord bei seinem Besuch thematisiert und wie sein Gegenüber darauf reagiert? Nur Kameras waren im Palast zur Begrüßung zugelassen, die mitreisenden Journalisten warteten in einer Firmenzentrale. Scholz sagte nach dem Gespräch lediglich: „Wir haben alle Fragen im Bereich Menschenrechte besprochen.“
Am Sonntag dann, in den Emiraten, kam die ersehnte Nachricht aus dem Bereich der Energie: Deutschland erhält Flüssiggas (LNG). RWE schloss einen Vertrag über eine erste Lieferung von 137.000 Kubikmetern LNG ab. Es wäre die erste Lieferung, die im Dezember 2022 am neuen LNG-Terminal in Brunsbüttel eintreffen soll. Laut RWE wurde außerdem ein Memorandum über mehrjährige Lieferungen ab 2023 unterzeichnet.
Doch zumVergleich:Vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine floss allein am 1. Februar nach Angaben des Betreibers Gas mit einer Energiemenge von 1,7 Millionen Kilowattstunden durch die Pipeline Nord Stream 1. Die jetzt vereinbarte erste Lieferung von 137.000 Kubikmetern Flüssiggas für RWE per Schiff entspricht 1,37 Millionen Kilowattstunden.
Scholz kündigte an, die Zusammenarbeit mit den Emiraten im Energiebereich weiter vorantreiben zu wollen. Man habe bereits „eine ganze Reihe“von Diesel- und Flüssiggasprojekten mit dem Golfstaat vorangebracht. Bei der Energieversorgung müsse man auf möglichst viele Anbieter setzen. Die Abhängigkeit von einem Lieferanten„wird uns sicherlich nicht wieder passieren“, betonte Scholz in Anspielung auf die umfangreichen russischen Gaslieferungen der Vergangenheit. Laut einer weiteren Vereinbarung vom Sonntag soll der emiratische Staatskonzern ADNOC ab 2023 monatlich auch bis zu 250.000 Tonnen Dieseltreibstoff nach Deutschland liefern. Die Vereinbarung darüber wurde mit dem niedersächsischen Energieunternehmen Hoyer geschlossen.
Später am Tag besichtigt Scholz ein Hologramm eines Muster-Stadtteils in Doha, der Hauptstadt Katars, das ab November Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft ist. Das Land putzt sich gerade heraus, versucht, denVorwürfen im Zusammenhang mit dem Tod vonWanderarbeitern auf den WM-Baustellen vergessen zu machen. Doch nachfragen darf man auch hier nicht. Die Suche nach neuen Partnern auf der Welt – sie gestaltet sich schwierig.