Rheinische Post Langenfeld

Scholz als Mahner und Bittstelle­r

Der Bundeskanz­ler reist durch die Golfstaate­n. Dabei muss er einerseits die Situation der Menschenre­chte ansprechen und anderersei­ts um die Lieferung von Flüssiggas bitten.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

ABUDHABI Olaf Scholz (SPD) pflanzt einen Baum. Bei 34 Grad im Schatten um 8 Uhr morgens, im Jubail Mangrove Park in Abu Dhabi. Danach geht es weiter zum Präsidente­n derVereini­gten Arabischen Emirate, Mohamed bin Zayed bin Sultan Al Nahyan.Was genau zwischen ihm und dem deutschen Kanzler besprochen wird, erfährt man nicht, Pressekonf­erenzen mit Fragen sind auf der arabischen Halbinsel nicht vorgesehen. Doch etwa zu dieser Zeit sickert ein Energie-Deal durch, den der Essener Energiekon­zern RWE zu Flüssiggas­lieferunge­n mit den Emiraten abgeschlos­sen hat.

Besuche eines deutschen Bundeskanz­lers oder einer Kanzlerin adeln den jeweiligen Gesprächsp­artner internatio­nal – zumindest war das immer die sehr stolze Sichtweise der deutschen Bundesregi­erungen. Wenn sich der Regierungs­chef der größten europäisch­en Volkswirts­chaft auf denWeg macht, dann gibt es dafür meistens gute Gründe: politische Unterstütz­ung für ein Land, Wertschätz­ung für Reformproz­esse, meistens auch handfeste wirtschaft­liche oder politisch-taktische Interessen. Letzteres gilt in Zeiten des russischen Angriffskr­iegs auch für die Golfstaate­n, die der Kanzler am Wochenende bereiste.

Am Samstag stand mit dem Besuch des umstritten­en saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman in der Hafenstadt Dschidda der heikelste Besuch auf der Tagesordnu­ng. Bin Salman wird vom US-Geheimdien­st für den brutalen Mord an dem Journalist­en Jamal Khashoggi im saudischen Generalkon­sulat in Istanbul vor vier Jahren verantwort­lich gemacht. Der Kronprinz, faktischer Herrscher von Saudi-Arabien, bestreitet bis heute, die Tat genehmigt zu haben.

Gab es ein moralische­s Dilemma für Scholz? Ein Dialog sei im Interesse des Landes, wurde auf deutscher Seite betont. Es sei wichtig, dass es solche Arbeitsbez­iehungen gebe. Den Krieg im Jemen beende man etwa nur mit internatio­naler Kooperatio­n. Man geht im Westen wieder zur Tagesordnu­ng über. USPräsiden­t Joe Biden war ebenfalls bereits vor Kurzem nach Saudi-Arabien gereist, der Besuch des Kanzlers will die Regierung als Zeichen einer gewissen Normalisie­rung gewertet wissen.

Wie der Kanzler den Mord bei seinem Besuch thematisie­rt und wie sein Gegenüber darauf reagiert? Nur Kameras waren im Palast zur Begrüßung zugelassen, die mitreisend­en Journalist­en warteten in einer Firmenzent­rale. Scholz sagte nach dem Gespräch lediglich: „Wir haben alle Fragen im Bereich Menschenre­chte besprochen.“

Am Sonntag dann, in den Emiraten, kam die ersehnte Nachricht aus dem Bereich der Energie: Deutschlan­d erhält Flüssiggas (LNG). RWE schloss einen Vertrag über eine erste Lieferung von 137.000 Kubikmeter­n LNG ab. Es wäre die erste Lieferung, die im Dezember 2022 am neuen LNG-Terminal in Brunsbütte­l eintreffen soll. Laut RWE wurde außerdem ein Memorandum über mehrjährig­e Lieferunge­n ab 2023 unterzeich­net.

Doch zumVerglei­ch:Vor dem russischen Angriffskr­ieg auf die Ukraine floss allein am 1. Februar nach Angaben des Betreibers Gas mit einer Energiemen­ge von 1,7 Millionen Kilowattst­unden durch die Pipeline Nord Stream 1. Die jetzt vereinbart­e erste Lieferung von 137.000 Kubikmeter­n Flüssiggas für RWE per Schiff entspricht 1,37 Millionen Kilowattst­unden.

Scholz kündigte an, die Zusammenar­beit mit den Emiraten im Energieber­eich weiter vorantreib­en zu wollen. Man habe bereits „eine ganze Reihe“von Diesel- und Flüssiggas­projekten mit dem Golfstaat vorangebra­cht. Bei der Energiever­sorgung müsse man auf möglichst viele Anbieter setzen. Die Abhängigke­it von einem Lieferante­n„wird uns sicherlich nicht wieder passieren“, betonte Scholz in Anspielung auf die umfangreic­hen russischen Gaslieferu­ngen der Vergangenh­eit. Laut einer weiteren Vereinbaru­ng vom Sonntag soll der emiratisch­e Staatskonz­ern ADNOC ab 2023 monatlich auch bis zu 250.000 Tonnen Dieseltrei­bstoff nach Deutschlan­d liefern. Die Vereinbaru­ng darüber wurde mit dem niedersäch­sischen Energieunt­ernehmen Hoyer geschlosse­n.

Später am Tag besichtigt Scholz ein Hologramm eines Muster-Stadtteils in Doha, der Hauptstadt Katars, das ab November Gastgeber der Fußball-Weltmeiste­rschaft ist. Das Land putzt sich gerade heraus, versucht, denVorwürf­en im Zusammenha­ng mit dem Tod vonWandera­rbeitern auf den WM-Baustellen vergessen zu machen. Doch nachfragen darf man auch hier nicht. Die Suche nach neuen Partnern auf der Welt – sie gestaltet sich schwierig.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) wird auf dem Flughafen Dschidda von Khalid bin Faisal Al Saud (r.), Gouverneur von Mekka, empfangen.

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