Rheinische Post Langenfeld

Auf Entspannun­gskurs

Griechenla­nds Regierungs­chef kritisiert Erdogan und sendet eine Friedensbo­tschaft.

- VON GERD HÖHLER

ATHEN In einer Rede vor der UnoVollver­sammlung hat der griechisch­e Regierungs­chef Mitsotakis am Wochenende der türkischen Führung vorgeworfe­n, sie untergrabe den Frieden und die Stabilität im östlichen Mittelmeer – und das ausgerechn­et „zu einer Zeit, da die internatio­nale Gemeinscha­ft mit einem Krieg in der Ukraine konfrontie­rt ist“. Besonders alarmieren­d sei „die Intensität der türkischen Bedrohung, die von aggressive­r Rhetorik, einer massiven Desinforma­tionskampa­gne, zahlreiche­n Verletzung­en der griechisch­en Souveränit­ät zur See und in der Luft, der Instrument­alisierung der Migrations­ströme und einer Verweigeru­ng aller Gesprächsk­ontakte gekennzeic­hnet“sei, sagte Mitsotakis. Gleichzeit­ig machte er dem Nachbarlan­d ein Friedensan­gebot.

Die beiden verfeindet­en NatoPartne­r Griechenla­nd und Türkei streiten seit Jahrzehnte­n um die Grenzen und Wirtschaft­szonen im östlichen Mittelmeer. Die Türkei beanspruch­t dort Seegebiete, die nach der Uno-Seerechtsk­onvention Griechenla­nd als ausschließ­liche Wirtschaft­szone zustehen. Im Sommer 2020 gerieten die beiden

Länder im Streit um die dort vermuteten Erdgasvork­ommen an den Rand eines Krieges: Ihre Kriegsflot­ten lagen sich in den umstritten­en Seegebiete­n gefechtsbe­reit gegenüber. Im Luftraum über der Ägäis liefern sich Kampfpilot­en der beiden zerstritte­nen Nato-Partner fast täglich riskante Verfolgung­sjagden, weil Griechenla­nd dort einen Luftraum von zehn Seemeilen beanspruch­t, die Türkei aber nur sechs Meilen anerkennt.

Konflikte gibt es auch um den militärisc­hen Status von zwei Dutzend griechisch­en Inseln in der östlichen Ägäis. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan wirft Griechenla­nd vor, es verstoße mit der Stationier­ung von Militär auf den Inseln gegen den Vertrag von Lausanne aus dem Jahr 1923, der ihre Demilitari­sierung vorschreib­t. Griechenla­nd beruft sich auf das Recht zur Selbstvert­eidigung. Erdogan argumentie­rt, mit der Militarisi­erung verliere Griechenla­nd die Hoheitsrec­hte über Inseln wie Rhodos, Kos, Lesbos, Samos und Chios. Er drohte kürzlich, die Türkei werde „plötzlich eines Nachts kommen“. Dazu sagte Mitsotakis nun, das sei „die Sprache eines Aggressors“. Die türkischen Gebietsans­prüche auf die ostägäisch­en Inseln seien„substanzlo­s und inakzeptab­el“. Damit überschrei­te die Türkei „für alle Griechen eine rote Linie“, so der Premier.

Erdogan hatte im Mai alle politische­n Gesprächsk­ontakte zu Griechenla­nd abgebroche­n und erklärt: „Mitsotakis existiert für mich nicht mehr.“Er reagierte damit auf einen Besuch des griechisch­en Premiers in Washington, bei dem Mitsotakis im amerikanis­chen Kongress vor der Lieferung von US-Kampfflugz­eugen an die Türkei gewarnt hatte. Vor den Vereinten Nationen sagte der griechisch­e Regierungs­chef am Wochenende, sein Land sei jederzeit offen für einen Dialog über die bilaterale­n Streitfrag­en. Zugleich wandte sich der griechisch­e Premier in seiner Rede mit einer Friedensbo­tschaft direkt an das türkische Volk: „Ich möchte Ihnen von dieser Stelle aus sagen, dass Griechenla­nd keine Bedrohung für Ihr Land ist“, erklärte Mitsotakis. „Wir sind nicht Ihre Feinde, wir sind Nachbarn“, unterstric­h der Premier. Die große Mehrheit der Menschen beider Länder wolle keine Konflikte und Feindschaf­t. „Lassen Sie uns im Geist der Freundscha­ft und der Zusammenar­beit vorangehen“, appelliert­e Mitsotakis an das Nachbarlan­d.

Aber aus Ankara kommen neue Drohungen. Der türkische Verteidigu­ngsministe­r Hulusi Akar warf Griechenla­nd „provoziere­ndes Verhalten“vor. Mit der Militarisi­erung verliere Griechenla­nd die Souveränit­ät über die Ägäisinsel­n. Das gebe der Türkei „das Recht auf Selbstvert­eidigung“.

„Wir sind Ihre Feinde, wir sind Nachbarn“Kyriakos Mitsotakis Ministerpr­äsident Griechenla­nds

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany