DFB-Team will Zweifel direkt beseitigen
Das Spiel an diesem Montag gegen England soll nach der Niederlage gegen Ungarn als Mutmacher für die WM dienen.
LEIPZIG/LONDON (dpa) Hansi Flick wollte alle WM-Zweifel am liebsten wegdribbeln. Vor der als Mutmacher für Katar dringend notwendigenWiedergutmachung inWembley lächelte und scherzte der Bundestrainer mit seinem Trainerteam. Dann steckte Flick aber, noch bevor der erste Ball beim Abschlusstraining im Leipziger Stadion überhaupt rollte, mit Oliver Bierhoff die Köpfe zusammen. Natürlich hatte der Coach nach der Ungarn-Pleite auch mit dem DFB-Direktor am Sonntag vor dem Flug nach England noch viel zu bereden.
Besonders in Flicks Fokus: Der auch im Deutschland-Trikot bedenklich schwächelnde SieglosBlock des FC Bayern. Flick weiß vor dem Duell am Montagabend (20.45 Uhr/RTL) gegen Nations-LeagueAbsteiger England genau: Er braucht seine Münchner um Antreiber Joshua Kimmich und auch Zauberdribbler Jamal Musiala in Gewinnerform. Und zwar schnell. Beim ernüchternden 0:1 gegen Ungarn offenbarten besonders Ersatzkapitän Thomas Müller und Serge Gnabry unerklärliche Mängel.
Ein weiterer Dämpfer gegen die Three Lions und die erste Krise unter Flick als Bundestrainer wäre nicht mehr wegzureden. Und das siebenWochen vor demWM-Abflug. „Wir wollenWiedergutmachung, zu unserem Spiel finden und natürlich Vertrauen sammeln“, sagte Bierhoff. „Wir müssen mehr an uns glauben. Und da hilft so ein Spiel gegen Ungarn nicht. Da müssen wir schauen, dass wir gegen die Engländer bestehen und auch die Dinge umsetzen, die von den Trainern gefordert werden“, lautete der klare Appell des DFB-Direktors.
Was da los war gegen Ungarn, konnte sich auch Kimmich nicht erklären. Einen Zusammenhang zwischen Bayern-Frust und DFB-Lethargie wollte der 27-Jährige nicht gelten lassen. „Generell sollte jeder
mit einem gewissen Selbstvertrauen auf den Platz gehen. Unabhängig davon, ob wir davor ein Spiel verloren oder gewonnen haben. Bei mir ist es so, dass ich das letzte Spiel abhake und mit Selbstvertrauen auf den Platz gehe“, sagte Kimmich.
Flick lenkte den Fokus nach seiner Premieren-Niederlage, mit der die Chance auf den Gruppensieg in der Nations League verspielt wurde, aber auf sich. Der bekennende WirTrainer, dem sein „Staff“so sehr am Herzen liegt, schaltete in den Ich
Modus. „Ich will keine Ausreden suchen“, sagte der 57-Jährige. „Ich bin natürlich schon enttäuscht, absolut, weil man nie gerne verliert.“Die Aufstellung habe nicht funktioniert.„Deswegen muss ich einen Teil des Ganzen auf meine Kappe nehmen“, sagte Flick. Das Spiel habe ihm „die Augen geöffnet“.
Das verbale Schutzschild, das Flick aufbaute, erfüllte einen Zweck. Der Negativ-Fokus soll sich nicht auf die Mannschaft richten, keine Übergröße entwickeln, die sich zu einem
WM-Schatten aufplustert. Flick spürt, wie schnell sich die FußballGroßwetterlage drehen kann. Acht Siege in Serie, 13 Spiele ungeschlagen. Die Statistiken seines als Verheißung registrierten ersten Jahres als DFB-Chefcoach sind plötzlich nichts mehr wert.
Jetzt heißt die Bilanz: Nur ein Sieg aus den vergangenen sechs Spielen, immer mindestens ein Gegentor kassiert und ein blutleerer Auftritt gegen beherzte Ungarn, die nicht einmal für das Turnier in Katar
qualifiziert sind. Der fünfte WM-Titel kurz vor Weihnachten erscheint jetzt schon als großspuriges Ziel.
Auch Bierhoff hat die Negativ-Dynamik, die zum WM-Debakel von Russland führte, nicht vergessen. „Wir haben es 2018 gesehen, sobald du dir eine Schwäche erlaubst bei einem Turnier, läufst du hinterher. Dann kommt die Psyche mit rein, dann wird es schwer. Insofern müssen wir gewappnet sein“, mahnte er.
Bei aller Enttäuschung: Alles wird der Bundestrainer nicht über den Haufen werfen. „Die Zeit der Experimente ist vorbei“, sagte er. Aktionismus ist sowieso nicht sein Ding. Für den gesperrten Antonio Rüdiger dürfte Nico Schlotterbeck in die Abwehrkette rücken. Jonas Hofmann wird nach dem Taktikfehler-Eingeständnis von Flick nicht mehr als rechter Außenverteidiger auflaufen. Thilo Kehrer steht bereit. Auf der linken Außenbahn sollte Robin Gosens nach einem Jahr wieder eine Bewährungschance erhalten und für den Neu-Leipziger David Raum kommen, der weit entfernt ist von Flicks erwartetem WM-Level.
Die spannende Frage ist: Wen degradiert Flick aus seinem von Bayern-Profis dominierten Offensiv-Quartett? Musiala und ChelseaAngreifer Kai Havertz hätten es nach der Einwechslung gegen Ungarn gut gemacht, meinte der Bundestrainer. Rücken beide in die Startelf, dann muss Flick knifflige Personalentscheidungen treffen.